Cookie-Einstellungen

Dieses Tool hilft Ihnen bei der Auswahl und Deaktivierung verschiedener Tags / Tracker / Analysetools, die auf dieser Website verwendet werden.

Essentiell

Funktional

Marketing

Statistik
© Thommy Mardo
© Michael Pöhn
ERWIN SCHROTT als ESCAMILLO in CARMEN
© Michael Pöhn
ERWIN SCHROTT als DULCAMARE in L'ELISIR D'AMORE
© Michael Pöhn
ERWIN SCHROTT als SCARPIA in TOSCA

Zauberreich Oper

KS Erwin Schrott ist ein kleines Universum für sich. Man kennt ihn in erster Linie – natürlich – als Opernsänger. Aber auch als Solist in Konzerten. Er besticht als charismatischer Darsteller. Und nicht zuletzt als ebenso fokussierter wie engagierter Gesprächspartner, der das Detail wie auch das Umfassende in der Musik anspricht. Als Giovanni da Procida steht er nun in der Wiederaufnahme von Verdis großformatiger Oper I vespri siciliani abermals auf der Staatsopernbühne. Und machte sich im Interview Gedanken über die Oper – aber auch über die Musik und den Kulturbetrieb als solchen.

OL Sie sangen die Rolle des Procida vor über zehn Jahren zum ersten Mal. Im Grunde ist die Figur also ein alter Bekannter.

ES Zehn Jahre sind im Grunde genommen nichts, um eine komplexe Figur wie Procida zu entwickeln und die Technik zu verfeinern, die die einzigartige Musik von Verdi fordert. Seit Beginn der Auseinandersetzung mit diesem Meisterwerk habe ich die Entscheidung getroffen, die Rollen, die ich gegenwärtig und zukünftig singen möchte, sehr sorgfältig auszuwählen. Wobei: Ein Repertoire sorgfältig, mit Präzision und Bescheidenheit zu wählen war mir seit Beginn meiner Karriere ein leitender Grundsatz. Diese Herangehensweise bot mir die Möglichkeit, tiefer in jede musikalische Nuance einzutauchen und mir jene Zeit zu nehmen, die es braucht, jedes einzelne Wort ebenso akribisch wie einen Diamanten zu formen. So will ich jede Aufführung zu einem einzigartigen Erlebnis für das Publikum machen! Diese künstlerischen Entscheidungen bestimmen nicht nur meine stimmliche Reise, sondern auch den Respekt, die Empathie und das Verständnis bei der Interpretation von Charakteren wie Procida, Scarpia, Méphistophélès. Es war mir immer wichtig, meine Stimme gesund zu halten und dennoch in der Lage zu sein, in jeder Vorstellung hundert Prozent zu geben. Dafür aber brauche ich viel Zeit zum Lernen: Selbst wenn ich denke, dass ich auf dem richtigen Weg bin, werde ich wahrscheinlich immer wieder von vorne anfangen, um aus meiner Komfortzone auszubrechen und neue Möglichkeiten zu erforschen. Es gibt immer Raum für Verbesserungen, daher gibt es immer die Notwendigkeit zu lernen, zu lernen und zu lernen.

OL Was hat Ihnen Procida als Bühnencharakter beigebracht?

ES In Procida fand ich eine Kraft, eine inspirierende Figur, ja, eine Offenbarung, die über historische Grenzen hinausgeht und in das Innerste des menschlichen Geistes vordringt. Er war einer, der alles für Gerechtigkeit und Freiheit gab. Und die Bedeutung von Freiheit und Gerechtigkeit hat sich im Laufe der Zeit nicht stark verändert, auch heute würden Menschen alles dafür opfern. Er könnte also durchaus eine exponierte Rolle in unserer heutigen Welt spielen. Ob wir ihn nun als politischen Guru oder als seltsamen Charakter wahrnehmen: Procida war ohne Zweifel eine Schlüsselfigur in einer Zeit, die die Welt, in der wir heute leben, geprägt hat. Während meiner Suche, ihn zu verstehen und kennenzulernen, entdeckte ich interessante historische Schichten, die mir seine Motivationen für die Revolution klar machten. Ich entdeckte Parallelen zwischen den Herausforderungen unserer und der damaligen Zeit – und das macht diese Figur heute so lebendig. Sein eröffnendes »O tu, Palermo«, das die Liebe und den Stolz auf das eigene Land und die Kultur verkörpert, führt ihn in die Handlung ein. Ich erkannte, dass wir auch heute Menschen mit denselben Prinzipien finden könnten, und dies macht deutlich, dass die Suche nach Gerechtigkeit und Freiheit eine ewige Fackel ist, die mit ihrem Licht unser ganzes Dasein erleuchtet.

OL Es gibt eine französische und eine italienische Version der Oper. Was sind die Stärken der italienischen Version, die an der Wiener Staatsoper erklingt?

ES Ich lade die Leserinnen und Leser ein, in beide Versionen einzutauchen und sich in beide Fassungen zu vertiefen. Ich lade Sie alle ein, die einzigartige sprachliche Reise in jeder Darbietung zu erleben und beiden Versionen zu erlauben, Sie emotional zu überraschen. Lassen Sie Ihre Ohren die Feinheiten unterscheiden und entdecken – und Sie werden feststellen, dass es nicht darum geht, welche besser ist. Es geht um den magischen Tanz zwischen Worten und Musik. Die italienische Version mit ihrer leidenschaftlichen Resonanz kann Sie in eine andere emotionale Welt ziehen als die französische Fassung, in der sprachliche Feinheiten eine besondere Melodie erschaffen. Genießen Sie also beide Versionen, lassen Sie die Schönheit von Sprache und Musik verschmelzen. Sie bieten eine Symphonie von Unterschieden, die das Gesamterlebnis bereichert.

OL In dieser Oper gibt es nicht einen oder zwei Hauptcharaktere, sondern vier. Ändert das etwas an Ihrer Herangehensweise? In dem Sinne, dass Sie eher wie in einem Netzwerk agieren müssen?

ES Teamarbeit macht einen Traum wahr! Für mich hat diese Handlung einen fesselnden Effekt, wie ein »Heist-Film«, etwa Ocean’s Eleven. In Vespri wird man in eine Welt eingeführt, in der jeder Charakter etwas Besonderes mitbringt. Da gibt es die edle und mitfühlende Elena, den leidenschaftlichen und idealistischen Arrigo, den konfliktbeladenen und emotionalen Guido di Monforte und den rachsüchtigen, vergeltungsbereiten, berechnenden und moralisch zweideutigen Procida. Jede und jeder von ihnen trägt mit ihren bzw. seinen Emotionen und Fähigkeiten dazu bei, eine fesselnde Geschichte zu erzählen. Aber die wahre Magie liegt in der Zusammenarbeit dieser Charaktere, die zusammenwirken wie eine gut geölte Maschine.  Wenn ich an I vespri siciliani denke, erkenne ich, wie wunderbar die Handlung ist, so zeitgemäß, dass wir leicht Bezüge zu unserer soziopolitischen Umgebung von heute finden könnten. Der einzige Unterschied zwischen einem guten Film und I vespri siciliani ist, dass auf der Opernbühne die Schauspielerinnen und Schauspieler auch singen können – und wie! (lacht) Jede Live-Aufführung ist wie eine Zeitmaschine, die es uns ermöglicht, Geschichte vor unseren Augen lebendig werden zu lassen, und uns vielleicht die Gelegenheit gibt, nicht dieselben Fehler zu machen und unsere Gegenwart und Zukunft hoffentlich zu verbessern. Mit den Worten meines geliebten Autors Isaac Asimov: »Das Traurigste an der heutigen Zeit ist, dass die Wissenschaft Wissen schneller sammelt als die Gesellschaft Weisheit.«

OL Sie sangen mit neun Jahren den Hirten in Tosca, die Oper hat also immer Ihr Dasein geprägt. Was aber ist ihr Zweck? Soll sie die Menschen unterhalten? Sie in andere Gedankenwelten entführen? Politisch wirken?

ES Die Oper ist eine universelle und gewaltige Kraft, die die Grenzen einfacher Unterhaltung überwindet. Persönlich war und ist sie für mich eine transformative Reise, der Anfang von allem. Sie wirkt wie ein Zauber. Dieser Zauber ergriff meine gesamte Existenz und schuf in den Kammern meines intellektuellen Wachstums viel Platz, indem er in diesen leeren Räumen ein Echo erklingen ließ, das einen einfachen Refrain wiederholte: »Erfülle mich mit Musik, mit Liebe und Respekt für sie.« Seit meiner von meiner Mutter geleiteten Annäherung an die Oper hat sich alles verändert. Nicht nur, weil ich im zarten Alter auf die Bühne trat, sondern aufgrund der tiefgreifenden Wirkungen, die sie auf mich hatte. Sie diente als Katalysator für gewaltige Veränderungen, öffnete Türen sowohl in meinem Universum als auch für die Menschen rund um mich. Der Himmel und seine Musik zerstreuten die dunklen Wolken und leuchteten verborgene Ecken aus. Sie enthüllten unzählige Sterne, von denen jeder ein Universum des Wissens barg und führten mich zu brillanten Persönlichkeiten, zu Weisheit, zu Fragen mit Antworten, die darauf warteten, gesucht zu werden. Jeder Stern bildete eine Konstellation, die mich zu so vielen Autoren, Dichtern, Malern und Bildhauern brachte, von denen jede und jeder wiederum Welten in meiner Geisteswelt schuf. Dies ist das Geschenk, das die Oper für mich bereithielt, und es ist ein Geschenk, das ich gerne mit allen teile, die die Chance nutzen möchten, mit der besten und vollständigsten Kunstform vertraut gemacht zu werden.

OL Eine universelle Kunst also.

ES Das Geschenk der Oper ist universell, ein Schatz, der auf uns alle wartet. Geduld, aufmerksames Zuhören, Demut und das Freisetzen unserer Vorstellungskraft sind der Schlüssel, um ihre grenzenlose Natur neu zu entdecken. Ich bin überzeugt, dass die Stärkung der eigenen Widerstandskraft gegenüber externen Etikettierungen, das Vermeiden von Klatsch und die Priorisierung des persönlichen Wachstums entscheidend sind, um diese Tür zu öffnen. Wagen Sie die Reise, auf der Sie Wahrheiten entdecken, mit Menschen in Verbindung treten, Vorlieben erkunden und die Fülle des Lebens erforschen. Oper hilft, sich mit allen Facetten der menschlichen Erfahrung zu verbinden. Ich betrachte sie als einen großartigen Zugang zu wertvollem Wissen, das nicht so verunreinigt ist wie die Fehlinformationen, die uns die alltägliche Unterhaltung vorsetzt. Für mich ist sie ein Katalysator für Selbsterkenntnis und Selbstverbesserung. Jede Aufführung wirkt wie ein kultureller Spiegel, oder genauer wie ein Kaleidoskop. Nicht nur wegen dem, was auf der Bühne passiert, sondern auch wegen dem, was hinter den Kulissen geschieht, indem es Bestrebungen, Konflikte und das komplexe Mosaik unserer gemeinsamen Realität reflektiert. Die Oper hat mein Bewusstsein für die Welt auf tiefgreifende Weise verändert: hinsichtlich der menschlichen Verfassung und gesellschaftlicher Dynamiken. Sie war ein Pass zu zunächst verborgenen Dimensionen des Denkens und der Emotionen, eine Reise durch Kulturen und historische Epochen, die meine Perspektive auf die Welt, in der wir leben, bereichert hat.

OL Sie nannten die Musik einmal auch einen Pass zur Freiheit.

ES Musik öffnet Türen zu einer multidimensionalen Befreiung. Diese Freiheit ist nicht auf äußere Ketten beschränkt, sondern entfaltet sich in unseren Emotionen und in den unbekannten Weiten des menschlichen Geistes. Es ist eine Freiheit, die nur die Musik bieten kann und die Barrieren der physischen Welt überwindet. Eine Freiheit, die uns in die Welt der Vorstellungskraft eintauchen lässt, wo unser Geist durch ein wie von Magritte geschaffenes, mit lebendigen Klängen erfülltes Universum wandert. In der Welt der Musik nimmt die Freiheit verschiedene Formen an: Es ist die Freiheit des Ausdrucks, die es Emotionen gestattet, frei zu strömen. Die Überschwänglichkeit der Freude, die Tiefe der Trauer oder die stille Introspektion der Kontemplation: jede Emotion ist frei und zulässig. Es ist die Freiheit, sich zu verbinden und Verknüpfungen zu schaffen, die Sprachen und Kulturen überschreiten. Sie schafft eine universelle Sprache, die in allen Herzen auf der ganzen Welt widerhallt. Die Freiheit, die die Musik uns schenkt, ist eine Reise nach innen, eine Pilgerfahrt zum Kern unseres eigenen Seins. Es ist ein inspirierter und erleuchteter Ort des Ausruhens, wo Harmonien und Melodien zu Leitlichtern werden, die den Weg zur unermesslichen Ausdehnung des menschlichen Geistes weisen. In diesen Pass schreibe ich ein Zitat von Beethoven: »Fahre fort, übe nicht allein die Kunst, sondern dringe auch in ihr Inneres; sie verdient es, denn nur die Kunst und die Wissenschaft erhöhen den Menschen bis zur Gottheit.« Und wer weiß, vielleicht werden wir durch das Göttliche auch jene Freiheit erreichen, auf die ich mich beziehe. Möchten Sie ein Beispiel für diesen Pass? Ein siebenjähriges Kind aus Uruguay, das nachts mit seinem Vater Autos wäscht, um Essen auf den Tisch zu bringen. Es hört währenddessen Mozart und träumt davon, seine Musik eines Tages in Wien zu singen. Meine Eltern haben mich mehrmals in der Staatsoper in Don Giovanniund Le nozze di Figaro auftreten sehen. Ich habe meinen Pass bekommen.

OL Wie steht es um die musikalische Freiheit? Wie viel gestatten Sie sich? Heute sind wir mitunter streng, wenn es um »Werktreue« geht. Zu streng?

ES Die musikalische Freiheit muss ein Gleichgewicht zwischen der Würdigung der Absichten des Komponisten und einer interpretatorischen Kreativität finden. Einerseits ist es eine Pflicht, die Wünsche des Komponisten zu respektieren, andererseits birgt eine allzu pedantische und rigide Haltung in Bezug auf Konventionen Risiken. Ich denke, es ist fair, hier einen Mittelweg zu suchen, der der Aufführung Leben einhaucht. Dieser könnte vielleicht eine dynamische Musikszene sichern, die sowohl Tradition als auch Innovation respektiert. Die Frage aber, ob wir in der heutigen Herangehensweise an die »Werktreue« zu streng sind, bleibt subjektiv. Das Publikum, mit seinen vielfältigen Blickwinkeln und Vorlieben, ist da letztendlich Schiedsrichter.

OL Wie sieht es mit der Freiheit auf der Bühne aus? Stoßen Sie da manchmal an Grenzen?

ES Das Navigieren auf der Bühne beinhaltet ein logisches Zusammenspiel zwischen künstlerischer Freiheit und den einer Aufführung innewohnenden Parametern. Wenn Künstler*innen auf Grenzen stoßen, sollte dies nicht als Hindernis, sondern als wichtiger Teil der kreativen Reise verstanden werden. Wenn die feine Interaktion zwischen der Freiheit der Darsteller*innen, die teilweise durch die Risiken, die sie eingehen und ihre einzigartige Sicht auf Rollen und Charaktere geformt werden, mit den strukturierten Parametern, die durch die Partitur und die Handlung vorgegeben sind, sowie mit den musikalischen Einblicken der Dirigent*innen und der Vision der Regisseur*innen harmonisiert wird, kann das Ganze zu einer Freiheit werden, die magisch ist. Freiheit nur durch die Linse des individuellen Willens zu erforschen, Entscheidungen isoliert von externen Einflüssen zu treffen und die kollaborativen Dynamiken mit anderen Bühnenpartner*innen zu vernachlässigen, steht nicht im Einklang mit der konstruktiven Freiheit, die ich auf einer kooperativen Ebene schätze. Ebenso finde ich es unkonstruktiv, die Ideen anderer abzulehnen oder die Risiken anderer abzutun, weil wir Angst davor haben, mit dem Talent anderer nicht umgehen zu können. Dies untergräbt das Potenzial einer positiven Zusammenarbeit. Die Ideen anderer zu akzeptieren und ihre Risiken anzuerkennen, schafft eine Umgebung, in der Synergie gedeiht und zu besseren Ergebnissen führt. Wahre Freiheit, wenn sie mit der Fähigkeit verbunden ist, im Einklang mit Vernunft und Menschenverstand zu handeln, beeinflusst die Dynamik auf der Bühne positiv. Das bedeutet, dass die Freiheit zu handeln nicht unbedingt bedeutet, jede spontane Idee ohne Überlegung zu präsentieren. Es geht darum, gutem Geschmack zu folgen und die Auswirkungen der eigenen Handlungen auf die gemeinsame Leistung zu analysieren, um willkürliche Entscheidungen nur um der Aufmerksamkeit willen zu vermeiden. Ich halte es immer für wichtig, der Stanislawski-Methode zu folgen, mich auf das innere emotionale Leben eines Charakters zu konzentrieren und eine psychologische Authentizität zu schaffen. Freiheit während der Aufführung kommt für mich von der Fähigkeit, eine Verbindung zu echten Emotionen herzustellen und echte Lebensinteraktionen zu schaffen, um eine wahrheitsgemäße Darstellung zu ermöglichen. Außer in Ein-Personen-Shows agieren Künstler*innen nicht allein; sie interagieren mit anderen Menschen, und jede Handlung auf der Bühne muss einen Zweck haben. Wenn jede*r das Interesse an und die positive Einstellung zur Schauspielerei sowie zum kreativen Prozess hat, sollte es allen möglich sein, eine sichere und kreative Umgebung zu genießen, in der begabte Künstler*innen natürlich und intuitiv ihre Rollen darstellen können. Also sich darauf zu konzentrieren, was sie tun können, anstatt darauf, was andere tun, und gleichzeitig zu lernen und zu interagieren, während andere auf dem kreativen Weg sind. Etwas, das ich für sehr wichtig halte, wenn es um Schauspielerei geht, ist, dass es nicht ausreicht, nur die Höhepunkte einer Aufführung zu betonen, während der Rest wirkt, als würde das Leben des Charakters aussetzen. Im wirklichen Leben hören die Menschen nicht auf zu leben.

OL Man hat das Gefühl, dass Sie auf der Bühne unglaublich präzise und fokussiert sind. Ist das bewusst erlernt? Oder ein Talent?

ES Ich habe verschiedene Techniken gelernt, aber die Präzision und Fokussierung gehen Hand in Hand mit meiner Intuition und den vielen Stunden, die ich täglich übe. Ich kombiniere gerne die Lehren des Stanislawski-Systems mit praktischen Techniken, die auf meinen eigenen Erfahrungen basieren.  Emotionales Gedächtnis und sensorisches Bewusstsein sind Teil meines Bühnenlebens und helfen mir, präzise Emotionen zu kanalisieren. Die Laban-Bewegungsanalyse hat mir geholfen, eine bessere Perspektive auf meine Bewegungen zu bekommen und mein eigenes körperliches Ausdrucksvermögen auf der Bühne zu verstehen. In letzter Zeit habe ich begonnen, mit der Meisner-Technik zu arbeiten, um mich auf ehrliche und spontane Reaktionen zu konzentrieren. Es ist eine Technik, die ich ungemein hilfreich finde, und ich würde sie jedem und jeder empfehlen, der oder die Authentizität in der Darbietung sucht. Ich betrachte jede Aufführung, sei es auf der Bühne oder auf der Leinwand, als Möglichkeit zum Lernen, zum Anpassen, zum Wachsen und zur Integration neuer Ansätze.

OL Mirella Freni hat Ihnen am Anfang Ihrer Karriere geraten, Geduld zu haben. Welchen Rat haben Sie heute für junge Sängerinnen und Sänger?

ES Geduld ist Ihr größter Verbündeter, und sie ist einer der wichtigsten Schlüssel in fast allem, denn Geduld ist die große Schwester der Bescheidenheit, und Bescheidenheit ist der Weg zum persönlichen Wachstum. Nehmen Sie sich viel Zeit, um Ihre Fähigkeiten zu verfeinern. Widmen Sie jeder Übung zu Hause dieselbe Energie, die Sie auf die Bühne aufwenden werden. Erweitern Sie Ihren Horizont, indem Sie nicht nur bei Musikerinnen und Musikern, sondern auch bei intelligenten und inspirierenden Menschen aus anderen Bereichen Rat suchen. Investieren Sie in Ihre Bildung, nicht nur in Bezug auf Musik, sondern in verschiedenen Aspekten des Lebens. Widmen Sie sich der Meditation, körperlichen Aktivitäten und kehren Sie in Ihren freien Momenten zu Ihren Büchern und Übungen zurück. Rüsten Sie sich mit Finanzkompetenz aus. Das Leben ist unvorhersehbar und niemand kann eine lange und erfolgreiche Karriere garantieren. Es hängt viel von Ihren unermüdlichen Anstrengungen ab, gepaart mit einer Prise Glück. Der einzige wahre Weg, unsere Reise zu gestalten, besteht in unserer Hingabe, Widerstandsfähigkeit und der Bereitschaft, sich anzupassen. Vermeiden Sie Personen, die Erfolg haben, zu kritisieren, und widerstehen Sie der Verführung von Klatsch. Verstehen Sie, dass mit wachsendem Erfolg auch das dazugehörige Getuschel und Gerede zunehmen. Denken Sie daran, dass der Erfolg nicht fordert, irgendeinen Aspekt Ihrer selbst zu kompromittieren. Bewahren Sie Ihre Werte, erkennen Sie kleine Triumphe an, und wenn bedeutende Meilensteine erreicht werden, feiern Sie sie, indem Sie zu wohltätigen Zwecken beitragen. Studieren Sie konsequent, nützen Sie Ihre Zeit, um Ihr Handwerk zu verfeinern. Ein einziges Zitat des Genies Isaac Asimov spiegelt meine gesamte Philosophie wider: »Leute denken, dass Bildung etwas ist, das sie abschließen können.« Wir sind nie fertig, nutzen Sie Ihre Zeit weise. Zu guter Letzt erkennen Sie an, dass Ihr Privatleben nicht der Öffentlichkeit präsentiert werden muss. Statt intime Details preiszugeben, konzentrieren Sie sich darauf, Aspekte Ihrer künstlerischen Reise zu teilen. Betrachten Sie soziale Medien als Werkzeug, um Ihre Präsenz als der Künstler zu verstärken, der Sie behaupten zu sein. Ich würde sie nicht zu einer Plattform für die Präsentation von körperlicher Attraktivität machen: schließlich ist die Oper keine Modeschau.