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Synthese zweier Sprachen

Matthew Rowe debütiert mit der Wiener Staatsballett-Premiere Shifting Symmetries in der Wiener Staatsoper. Live am Programm stehen Kompositionen von Frank Martin und Johannes Brahms in der Bearbeitung von Arnold Schönberg. Dramaturgin Anne do Paço sprach mit dem britischen Dirigenten.

Sie sind Musikdirektor von Het Nationale Ballet Amsterdam und Künstlerischer Leiter des Niederländischen Ballettorchesters, Sie arbeiten seit langem mit dem Nederlands Dans Theater zusammen und sind regelmäßig Gast bei renommierten Compagnien weltweit. Was fasziniert Sie daran, Musik für den Tanz zu machen?

Matthew Rowe: Die Synthese zweier Sprachen: die Sprache der Musik und die Sprache der Bewegung. Ich bin fasziniert von der Art und Weise, wie sie interagieren. Sie sind scheinbar miteinander verbunden, aber in Wirklichkeit so unterschiedlich. Tanz und Musik gehen Hand in Hand, aber die Art und Weise, wie Tänzer*innen und Musiker*innen Musik hören und auf sie reagieren, ist völlig unterschiedlich. Ich liebe es, auf der Brücke zwischen beiden zu stehen und dazu beizutragen, sie zusammenzubringen, aber auch zu erleben, was Choreograph*innen in der Musik finden und wie sie Klänge in Bewegung umsetzen. Wir alle wissen, was es heißt, sich zu bewegen, und wir alle reagieren auf Musik. Aber es ist eine ganz besondere Reaktion, wenn wir sehen, wie ein Meister Bewegungen zur Musik kreiert. Die Bewegung gibt dem Klang und der Klang der Bewegung eine zusätzliche Dimension.

Ballett zu dirigieren ist eine Kunst, die viel Flexibilität, Einfühlungsvermögen und ein genaues Auge für Bewegungsabläufe erfordert. Was ist das Geheimnis eines guten Ballettdirigenten?

Matthew Rowe: Die Bühne ist für die Tänzer*innen ein sehr anspruchsvoller, exponierter und manchmal auch beängstigender Ort. Sie müssen die Möglichkeit und Freiheit haben, sich voll und ganz ausdrücken zu können. Meine Aufgabe ist es, ihnen die bestmögliche Umgebung und ein Gefühl des Vertrauens zu bieten. Wenn alle wissen, was sie von der Musik zu erwarten haben, können sie sich voll auf das Tanzen konzentrieren. Ein Ballettdirigent muss also die Bedürfnisse der Bühne ganz genau kennen und in der Lage sein, im richtigen Moment auf das Geschehen zu reagieren. Deshalb ist es wichtig, die Tänzer*innen in den Proben kennenzulernen, sie »lesen« zu können, zu verstehen, wie sie sich bewegen und was ihre individuellen Bedürfnisse sind. Diese Arbeit ist wie die Zusammenarbeit mit einem Solisten in einem Instrumentalkonzert. Ich liebe die Anforderungen, die das Dirigieren für Tanz an mich als Musiker und Dirigent stellt. Man muss je nach den Bedürfnissen der Choreographie und der Tänzer*innen flexibel und offen sein – aber ich übernehme natürlich auch die Rolle des Anwalts des Komponisten und des Verantwortlichen für die Musik.

Die Premiere Shifting Symmetries ist nicht nur ein State of the Art des Balletts des 20. Jahrhunderts mit Balletten von Hans van Manen, William Forsythe und George Balanchine, sondern auch im Hinblick auf die Kompositionen sehr interessant. Was ist der musikalische Bogen des Programms?

Matthew Rowe: Die Eröffnung macht die Petite Symphonie Concertante, die Frank Martin 1945 für Klavier, Cembalo, Harfe und zwei Streichergruppen schrieb. Das Zusammenspiel dieser drei eng verwandten Soloinstrumente und der raffinierte Einsatz des doppelten Streichorchesters schaffen ein faszinierendes Werk. Der Schweizer Komponist vereinte in seinem Schaffen verschiedene Einflüsse: Die Inspiration durch Johann Sebastian Bach steht neben Anregungen durch bulgarische und indische Rhythmen, durch Volksmusik, aber auch Elemente des Jazz und Schönbergs Zwölfton-Technik. Die Musik zu William Forsythes In the Middle, Somewhat Elevated stammt von dem Niederländer Thom Willems, mit dem Forsythe seit über 40 Jahren zusammenarbeitet. Das Werk entstand 1987, und die Musik wurde speziell für die Choreographie komponiert. Willems’ elektronische Klangpalette ist von der des Orchesters weit entfernt, aber die kraftvolle, pulsierende und hochrhythmische Partitur verbindet sie eng mit den Werken, die sie umrahmen. Zum Schluss folgt Brahms’ Klavierquartett Nr. 1 g-Moll in der Orchesterversion Arnold Schönbergs. Dieses Quartett aus dem Jahr 1861 ist eine der mitreißendsten Kompositionen von Brahms, es verbindet jugendlichen Überschwang mit einer meisterhaften Struktur und thematischen Entwicklung.

Was hat Schönberg aus dieser Kammermusik gemacht?

Matthew Rowe: Schönberg war ein brillanter Komponist, aber er war auch ein Meister der Orchestrierung. Trotz seiner bahnbrechenden Neuerungen in der Kompositionstechnik – darunter die Erfindung der Zwölftontechnik – hatte er große Hochachtung vor seinen Vorgängern, was sich u.a. in seinen Bearbeitungen und Transkriptionen von Werken Bachs, Busonis, Schuberts oder Mahlers spiegelt. 1937 wurde er von Otto Klemperer und dem Los Angeles Philharmonic Orchestra eingeladen, eine Transkription von Brahms’ 1. Klavierquartett zu erstellen. Klemperer und Schönberg kannten sich aus Wien, waren aber beide nach Kalifornien übersiedelt, um der Bedrohung durch die Nazis zu entgehen. Schönberg bewunderte das Klavierquartett sehr und war der Meinung, dass es nicht die Aufmerksamkeit erhielt, die es verdiente: »Es wird immer sehr schlecht gespielt, denn je besser der Pianist ist, desto lauter spielt er, und von den Streichern hört man nichts«, sagte er und fuhr fort: »Ich wollte einmal alles hören, und das habe ich erreicht.« Bei allem Respekt vor der Originalkomposition schöpfte Schönberg aus der instrumentalen Farbpalette des 20. Jahrhunderts und schuf Kombinationen, von denen Brahms zu seiner Zeit nur träumen konnte.

Was, glauben Sie, hat Balanchine an dieser Musik inspiriert?

Brahms hat die vier Sätze des Quartetts in einer klaren und schönen Architektur gebaut und in einer weitgehend »klassischen« Form angelegt. Er war aber auch ein Meister des Prinzips der entwickelnden Variation, bei dem kleine Motive als Bausteine für die Schaffung und Entfaltung von Ideen verwendet werden. Jeder Satz des Klavierquartetts ist nach dieser Methode gebaut und enthält charakteristische motivische Zellen, die einer ständigen Variation und Entwicklung unterworfen sind. Diese Aspekte (sowohl makro- als auch mikroökonomisch) eröffnen der Choreographie zahlreiche Möglichkeiten. Die groß angelegten Gruppierungen und Muster auf der Bühne spiegeln die Gesamtstruktur der Musik wider, während die kontinuierliche Entwicklung und Variation endlose Möglichkeiten für Vielfalt und Innovation bieten. Darüber hinaus erstrahlt die Partitur in ihrer Orchesterfassung in Farbe und Licht. Die Kombination Brahms-Schönberg ergibt eine Musik, die vor kontrastierenden Ideen, Stimmungen und Bildern nur so strotzt. Es gibt Momente von großer Kraft und Majestät, Momente von hoher Energie und Erregung, aber auch Momente von außergewöhnlicher Süße, Intimität und zärtlichem Dialog. Und nicht zuletzt gibt es atemberaubend schöne Melodien. Es ist also leicht zu verstehen, warum das Werk eine so unwiderstehliche Inspiration für einen Choreographen von Balanchines Musikalität und Genialität war.

Was verbindet Sie mit Hans van Manen, William Forsythe und George Balanchine?

Matthew Rowe: Ich fühle mich allen drei Choreographen sehr verbunden, weil sie alle einen äußerst musikalischen Ansatz verfolgen. Alle drei schaffen Werke, die von der von ihnen gewählten Musik inspiriert sind. Bei allen kann ich die Musik in den Bewegungen, die sie schaffen, sehen. Ich hatte das außerordentliche Privileg, fast 20 Jahre lang eng mit Hans van Manen zusammenzuarbeiten, habe viele seiner Ballette dirigiert, durfte ihn kennenlernen und ihm bei der Arbeit zusehen. Er ist eine inspirierende Persönlichkeit und auch mit 91 Jahren noch voller Energie und Leidenschaft für den Tanz – ein wirklich bemerkenswerter Mensch. William Forsythe setzt nur gelegentlich Live-Musik ein. Aber kürzlich hatte ich das Vergnügen, mit ihm an seinem Vertiginous Thrill of Exactitude zu arbeiten, einem atemberaubenden Ballett zum Finale von Schuberts 9. Symphonie. Es war wunderbar, mit ihm Details der Partitur zu besprechen und zu beobachten, wie er mit den Tänzer*innen arbeitete, damit sie die innige Beziehung zwischen der Musik und den Bewegungen verstehen. Für ihn war es von entscheidender Bedeutung, dass die Schritte extrem genau auf die Musik abgestimmt waren – trotz ihrer großen Geschwindigkeit und Komplexität! Und nicht zuletzt hatte ich das Glück, im Lauf meiner Karriere zahlreiche Balanchine-Ballette zu dirigieren. Dies ist immer eine große Freude und lohnende Erfahrung, da Balanchine ein so wunderbares Repertoire auswählte und auf eine Weise choreographierte, die ein tiefes Verständnis für die Musik zeigt. Ich wünschte nur, ich hätte ihn persönlich treffen können!