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© Anna Dabrowska

Lebensmotto Musik

Es gibt mittlerweile praktisch keine Spielpläne internationaler Opern- und Konzertveranstalter mehr, in denen die französische Sopranistin Sabine Devieilhe nicht zu finden ist (zuletzt etwa im Sommer als Susanna in Mozarts Le nozze di Figaro bei den Salzburger Festspielen). Kein Wunder: sängerisch wie schauspielerisch gleichermaßen fabelhaft, dazu ein gewaltiges Repertoire, das vom Barock bis zum Zeitgenössischen reicht – mehr kann man nicht wollen! An der Wiener Staatsoper sang sie bereits 2018 eine großartige Marie in einer Aufführungsserie von Donizettis Komödie La Fille du régiment. Nun kehrt sie mit einer ihrer Paradepartien, die sie weltweit mit größtem Erfolg gibt, zurück: als Constance in Poulencs Dialogues des Carmélites – in jener neuen Produktion dieser kostbaren Rarität, die im Mai des Vorjahres ihre akklamierte Premiere feierte. Mit der Künstlerin sprach Andreas Láng.


Dirigent Bertrand de Billy betont, das es sich bei den Carmélites um ein Werk handelt, dass ihn sein Leben lang begleitet, weil es so bedeutend und besonders ist. Was fasziniert Sie an dieser Rolle, haben Sie die Partie aus eigenen Stücken in ihr Repertoire aufgenommen – schließlich handelt es sich bei den Dialogues des Carmélites nicht um ein Werk des Kernrepertoires?

SD Meine erste Bekanntschaft mit der Constance machte ich bereits als Studentin am Pariser Konservatorium. Natürlich recherchierte ich – wie bei allen neuen Partien, die ich damals lernte, auf eigene Faust über die Hintergründe des Werkes, las die Vorlage von Bernanos und die Novelle Die Letzte am Schafott von Gertrud von le Fort. Allen voran aber beschäftigte ich mich einerseits mit Poulenc und seiner inneren Beziehung zu den von ihm geschaffenen Charakteren in dieser Oper und andererseits mit dieser ganz speziellen Figur der Constance. Und vom ersten Moment an war mir klar, dass diese Rolle für mich nicht einfach nur eine Übung war oder eine der Möglichkeiten, mich mit der Art und Weise des französischen Gesanges auseinanderzusetzen, sondern eine ganz intensive, fast geistige Erfahrung. Nicht bloß eine weitere Partie für einen leichten Sopran, die eine naive, hellere Farbe in die an sich dunkle Umgebung der Handlung einfügt. Ich erkannte, dass Poulencs wahre Empfindungen und Erkenntnisse in Bezug auf das Menschsein sich in Constance manifestieren. Glücklicherweise kann ich diese Rolle seit meiner Studentinnenzeit regelmäßig und oft singen, sie ist regelrecht eine meiner Reise-Rollen geworden, mit der ich auf der ganzen Welt gastieren darf. So gab ich mein Debüt an der New Yorker Met ebenfalls mit der Constance – übrigens, so wie hier in Wien, unter Bertrand de Billy. Ich fühle mich mit anderen Worten in diesem Charakter absolut daheim.


Constance ist also mehr als ein einfaches Landkind, mehr als nur fromm, fröhlich, opferbereit. Ist sie eine Heilige oder ist sie einfach nur jung? Franz Liszt hatte als Jugendlicher ja auch den romantischen Wunsch, eines Tages für seinen Glauben sterben zu können.

SD Die Wahrheit leuchtet durch ihre Naivität hindurch, wenn sie ihre tiefgründigen, für Blanche zum Teil beängstigenden Gedanken äußert. Es ist ihr Glaube, der aus ihr strahlt, so, als ob sie körperlich durchsichtig wäre. Es ist, als ob sie vom Gnadengedanken überquellen würde. Mehr noch: Durch ihr Vertrauen dem Leben aber auch dem Tod gegenüber ist sie die Inkarnation von Gnade schlechthin.


Die Eingebung von Constance, dass sie eines Tages mit Blanche gemeinsam sterben soll, wird schlussendlich wahr: Zufall oder eine mystische Komponente?

SD Diese Eingebung entspringt ihrer tiefen Freundschaft mit Blanche. Constance spürt vom Augenblick ihres ersten Zusammentreffens an diese starke innere Verbindung zu Blanche, die auch durch den Tod nicht zerbrechen kann, da Constance im Tod nicht das Ende von allem sieht.


Welche der Passagen, in denen Constance auf der Bühne steht, ist für Sie die zentralste, wichtigste?

SD Ich denke die allerletzte Szene. Poulenc hat bewusst und sehr schön die doch sehr verschiedenen Charaktere der einzelnen Nonnen herausgearbeitet. Umso beeindruckender ist, dass sie am Ende, trotz aller Gegensätze und Unterschiede, als Kollektiv zu sterben imstande sind. In ihrem letzten Gang werden sie zu einer Einheit. Aber gerade darum ist es interessant, dass Constance mit einem Mal beinahe ihr Vertrauen, ihre Ruhe verliert, weil eben Blanche nicht unter ihnen ist. Und dann, knapp bevor sie ihr Haupt unter die Guillotine legen muss – alle anderen Schwestern sind schon enthauptet –, erblickt sie endlich in der Menge Blanche und alles wird wieder gut für sie. Dieser Augenblick ist von einer kurzen Stille geprägt, einer ganz leisen Orchesterpassage, die eine enorme kathartische Wirkung entfaltet. Diese Takte sind der schönste Moment meiner gesamten Rolle – und gerade hier habe ich nichts zu singen. (lacht)


Eine unterschiedlich deutbare Situation spielt sich in jener Szene des dritten Aktes ab, in dem die Nonnen im Geheimen darüber abstimmen sollen, ob sie bereit wären, den Märtyrertod zu erleiden. Es kommt zu einer Gegenstimme, zu der sich schließlich Constance bekennt. Ist die Gegenstimme tatsächlich von ihr oder doch von Blanche, wie die Mitschwestern vermuten?

SD Wie Sie sagen, die Szene ist unterschiedlich deutbar und muss auf den Proben erarbeitet werden. Die Letztentscheidung für die Interpretation liegt dann beim Regisseur, der Regisseurin, deshalb möchte ich die Frage hier nicht beantworten. Sicher ist, dass dieses im effektvollen Sprechgesang ausgeführte Geständnis der Constance ein Meisterstück französischer Opernkunst ist. Es muss klar und rein klingen wie Wasser, zu welcher Deutung man sich auch durchringt, Constance gewissermaßen durch ihre Freundschaft zu Blanche einer inneren Wahrheit folgt. Denn ganz gleich, ob sie nun Blanche schützen möchte und vortäuscht, gegen den Märtyrergedanken gestimmt zu haben, oder tatsächlich selbst dagegen gestimmt hat, um dadurch Blanche zu schützen – ihr Geständnis ist in einem weiteren Sinne auf jeden Fall aufrichtig.


Als Vorlage der hier erzählten Geschichte dienten eine Reihe von Nonnen aus dem Kloster von Compiègne, die wegen ihres Glaubens in der Französischen Revolution durch die Guillotine ermordet wurden. Welchen Stellenwert haben diese später seliggesprochenen Klosterschwestern in Frankreich heute?

SD Das ist eine heikle Geschichte. Nach wie vor wird in Frankreich die Revolution durch eine politische Brille betrachtet und beurteilt. Die Notwendigkeit der Revolution steht außer Frage, trotz des Abgleitens in die Zeit der Grande Terreur, in der unsere Geschichte spielt. Die Perspektive, aus der die Oper und schon die Vorlage von Georges Bernanos erzählt wird, ist hingegen von Vornherein antirevolutionär. Für einen Franzosen, eine Französin stoßen daher zwei gegensätzliche Welten aufeinander. Jedenfalls ist es wichtig zu wissen, dass die Geschichte tatsächlich stattgefunden hat, dass es sich um eine historische, reale Begebenheit handelt und man daher gezwungen ist, im Detail hinzuschauen, um der Gefahr eines Schwarz-Weiß-Denkens zu entgehen.


Ein bekannter österreichischer Schauspieler, der ursprünglich Priester werden wollte, hat einen Vergleich zwischen einem Kloster und einem Theater gezogen: beide wären autarke Gemeinschaften, Welten mit eigenen Mechanismen und Gesetzen, in denen man als Einzelner einen ganz bestimmten Platz hätte und sich aufgehoben fühlt. Kann das Theater für eine Sängerin eine Art Heimatersatz sein?

SD Es ist etwas Wahres daran und zwar insofern, als ich tatsächlich nie ein derartiges Zu-Hause-Gefühl habe wie in den Momenten, in denen ich als Constance auf der Bühne stehe. Einmal sprang ich kurzfristig als Constance für eine erkrankte Kollegin am Pariser Théâtre des Champs-Élysées ein, hatte kaum Proben – und trotzdem fühlte ich mich während der Aufführung absolut zugehörig zu den übrigen Kolleginnen, die die Nonnen verkörperten. Ja, ein Theater kann tatsächlich etwas wie eine Familie für einen Sänger, eine Sängerin sein. Trotzdem ist es schön, nach einer Probe oder Vorstellung wirklich heimzugehen. (lacht)


Wozu nimmt eine Sängerin die Hürden dieses Berufes auf sich? Den oft gehörten Satz, dass man andere Menschen glücklich machen möchte, halte ich für eine schöne Ausrede.

SD Wir müssen als Künstlerin, als Künstler einen Weg finden, um uns ausdrücken zu können. Dieses Uns-Ausdrücken ist eine fundamentale Triebfeder und kann nur klappen, wenn man sich wirklich frei fühlt – in meinem Fall technisch, szenisch etc. Natürlich gibt es hundert Gründe wie beispielsweise eine Verkühlung oder zu wenig Probenarbeit, die einen daran hindern, dieses Ziel vollkommener Freiheit zu erreichen. Und natürlich kann dieses Ziel nur über den Weg harter Arbeit erfolgen. Aber ich habe dieses Freiheitsgefühl auf der Bühne schon gekostet, und das hat mich süchtig gemacht. Darüber hinaus empfinde ich bei den Auftritten die Verantwortung, eine Botschafterin unserer Kultur zu sein – gemeinsam mit allen Beteiligten vor und hinter den Kulissen. Aber es schadet natürlich auch nicht, Menschen im Publikum dabei glücklich zu machen. (lacht)


Zum Abschluss noch eine sehr elementare Frage: Was ist Musik für Sie?

SD Ich glaube, ich erinnere mich sogar an den Tag, an dem ich entdeckte, dass Musik einen Teil meines Lebens darstellt. Auf jeden Fall liebte ich es schon in meiner frühesten Kindheit, der Musik zu lauschen – zunächst dem Pop-Genre, später der klassischen Musik. Und spätestens in meiner Teenager-Zeit wurde mir klar, dass es niemals passieren dürfte, dass die Musik aus meinem Leben verschwindet. Musik ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Teil von mir, Teil meines Daseins. Musik und ich – das ist eine nicht endende Liebesgeschichte.


FRANCIS POULENC
DIALOGUES DES CARMÉLITES

28. 31. JÄNNER 2024 4. FEBRUAR 2024

Musikalische Leitung BERTRAND DE BILLY
Inszenierung MAGDALENA FUCHSBERGER
Mit NICOLE CAR / BERNARD RICHTER / MICHAELA SCHUSTER / MARIA MOTOLYGINA / JULIE BOULIANNE /
MICHAEL KRAUS / SABINE DEVIEILHE / SZILVIA VÖRÖS / DARIA SUSHKOVA / THOMAS EBENSTEIN /
ANDREA GIOVANNINI / GABRIEL PARK / JACK LEE / CLEMENS UNTERREINER


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