Wo bleibt meine erste Tasse Kaffee?

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Nadine Sierra & KS Juan Diego Flórez über Opernleidenschaft, Morgenrituale und das geheime Theater-Gen.

Opern-Singen ist wie ein Hochleistungssport. Und nur wenige schaffen es ganz an die Spitze. Inwiefern muss man sein Leben dieser Leidenschaft unterordnen? Gibt es Momente eines »normalen« Lebens?

Nadine Sierra (nas) Natürlich gibt es sie, aber Normalität kann von Person zu Person unterschiedlich sein, unabhängig davon, in welchem Beruf man tätig ist. Ich denke, die Normalität, die ich als Opernsängerin gefunden habe, basiert auf den Beziehungen zu meinen Liebsten. Sie nah bei mir zu halten und auch auf Reisen eine konsequente Routine beizubehalten, gibt mir Halt.

Juan Diego Flórez (jdf) Opernsänger zu sein erfordert enorme Hingabe – tatsächlich ist es eher ein Lebensstil als nur ein Beruf. Man muss seiner Stimme, seiner Gesundheit und seinem Handwerk in praktisch jedem Aspekt seines Lebens Priorität einräumen. Dennoch ist Balance entscheidend; ich habe das Glück, Menschen um mich zu haben, die mich unterstützen, zwei wundervolle Kinder und großartige Freunde außerhalb der Opernwelt, sodass ich auch »normale« Momente genießen kann. Zur Entspannung spiele ich gerne Tennis, Fußball und gehe auch Skifahren. Außerdem bin ich ein leidenschaftlicher Koch und genieße es, besondere Momente mit Freunden bei einem Glas guten Weins zu erleben.

Wenn Sie in der Früh aufwachen: Gilt Ihr erster Gedanke Ihrer Stimme? Im Sinne von: Wie geht es dir heute?

jdf Nicht wirklich, vielleicht am Tag eines Auftritts, aber sonst nicht. Wie auch immer, unsere Stimme ist ein wesentlicher Bestandteil dessen, was wir als Sängerinnen und Sänger sind. Sie ist sowohl unser Instrument als auch ein Spiegelbild unseres Wohlbefindens. Aber ich war nie besessen von ihr und führe ein ziemlich normales Leben.

nas Nein! Meine ersten Gedanken am Morgen drehen sich normalerweise um mein Frühstück und wo meine erste Tasse Kaffee bleibt! Ich beschäftige mich morgens nicht allzu sehr mit meiner Stimme, das kommt dann ein paar Stunden vor einem Auftritt, dann singe ich mich natürlich entsprechend ein und bereite mich vor.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Stimme? Freundschaftlich? Eine Geschäftsbeziehung? Eine Liebesbeziehung?

nas Es ist sehr herzlich! Meine Stimme ist natürlich ein großer Teil von mir, und ich sehe sie als etwas an, für das ich dankbar bin. Sollte ich jemals meine Stimme verlieren, wäre ich unendlich traurig... ja, sogar verloren. Wie der Verlust einer geliebten Freundin.

jdf Meine Stimme ist ein wesentlicher Teil von mir – etwas, das ich hege und pflege. Wie in jeder engen Beziehung gibt es gute Tage und schwierigere Tage. Manchmal läuft alles mühelos, dann wiederum wird es etwas herausfordernder. Ich versuche, Geduld, Dankbarkeit und Respekt zu bewahren. Meine Stimme gut zu behandeln, stellt sicher, dass ich weiterhin mit Ehrlichkeit und Leidenschaft Musik machen kann.

Zu Ihrem Beruf braucht es eine Freude am Spielen und öffentlichen Auftreten. Gibt es so etwas wie ein »Theater-Gen«, das einen ins Scheinwerferlicht zieht?

nas Ich denke schon, ja. Seit ich sechs Jahre alt bin, fühle ich mich zum Theater und allem, was mit Schauspiel zu tun hat, hingezogen. Mit acht Jahren fing ich an, Schauspielunterricht zu nehmen und in unserem Gemeindetheater mitzumachen. Dieses Gefühl hat mich nie verlassen und wird, ehrlich gesagt, jedes Jahr größer.

jdf Ich glaube, es gibt eine angeborene Leidenschaft, die einige von uns auf die Bühne führt. Dabei geht es nicht nur darum, im Rampenlicht zu stehen – 
es ist der Reiz des Geschichtenerzählens, des Teilens von Emotionen durch Musik und es geht um den intensiven Kontakt mit dem Publikum. Schon in jungen Jahren zog mich das öffentliche Auftreten an, als ich in Lima mit meiner Gitarre populäre Lieder sang. Es ist der Mix aus Neugier, Leidenschaft und der reinen Freude an der Begegnung, die mich immer wieder anzieht.

Was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie Johann Strauß hören?

jdf Walzer, Eleganz und Wien! 
Johann Strauß ist eine zentrale Figur der Wiener Musikkultur. Seine Kompositionen strahlen eine Leichtigkeit und Freude aus, die einfach ansteckend ist. Die Musik hat die magische Fähigkeit, einen zu beflügeln – sie ist leicht und beschwingt. Wann immer ich diese Klänge höre, möchte ich tanzen und mich wirbelnd drehen. Und die Melodien haben einen zauberhaften Charme, der einen direkt in das Herz von Wien versetzt. Ich liebe zum Beispiel Die 
Fledermaus, sie macht mich immer gut gelaunt!

nas (lacht) Tanzen! Johann Strauß weckt in mir den Wunsch zu tanzen und einen Ball zu besuchen!

Sie sind seit Ihrer Jugend eng mit der Zarzuela verbunden und haben erst kürzlich eine entsprechende CD aufgenommen. Was braucht es, um Zarzuela singen zu können?

jdf Zarzuela erfordert nicht nur stimmliches Können, sondern auch ein tiefes Verständnis für den Stil und den Geist dieser Musik. Sie ist in der spanischen Kultur verwurzelt, also muss man ein Gespür und eine Verbundenheit für den Flair, Rhythmus und die Sprache mitbringen. Man muss ihre einzigartige Leidenschaft und Energie einfangen.

Können Sie Zarzuela in drei Worten beschreiben? Woher kommen die musikalischen Einflüsse?

jdf Ich würde die Zarzuela als dynamisch, aufregend und leidenschaftlich beschreiben. Die musikalischen Einflüsse sind wunderbar vielfältig: spanische Volksweisen, Flamenco-Rhythmen und klassische Elemente, aber auch Momente, die an die europäische Operette erinnern. Diese Kombination schafft ein reichhaltiges, dynamisches Genre, das durch die Musik lebendige Geschichten erzählt und gleichzeitig tief in der spanischen Identität verwurzelt ist.

Der Walzer »Frühlingsstimmen«: Worin liegen die Herausforderungen für dieses Stück? Etwa im Vergleich zu »Je veux vivre« aus Ihrer Staatsopern-Debütoper Roméo et Juliette.

nas In gewisser Weise sind die Herausforderungen ein wenig ähnlich, wobei ich den »Frühlingsstimmen«-Walzer sogar als noch etwas schwieriger empfinde. Die Präzision der Intonation bei der Bewältigung der Koloraturpassagen in beiden Stücken ist enorm wichtig. Dazu kommt, dass man auf eine genaue Textwiedergabe achten und mühelos im Walzerstil bleiben muss! Im Grunde geht es darum, trotz einer Vielzahl an technischen Aspekten alles federleicht und unbeschwert wirken zu lassen!

Im Gegensatz zu einem Opernabend haben Sie am Opernball nur ein paar Minuten. Wie schafft man es, so schnell von Null auf Hundert zu kommen?

jdf Es ist eine Frage der Fokussierung, der Vorbereitung und der Einstellung. Durch jahrelange Erfahrung lernt man, sofort loszulegen, egal wie viel oder wie wenig man singt. Bevor ich auftrete, singe ich mich ein, stelle eine innerliche Verbindung mit dem Stück her und rufe mir ins Gedächtnis: »Das ist eine Gelegenheit, etwas Besonderes zu geben!« Selbst wenn ich nur eine Arie singe, setze ich all meine Energie ein, um einen unvergesslichen, von Herzen kommenden Auftritt zu gestalten. Mein Ziel bleibt das gleiche: eine Beziehung zum Publikum herzustellen und die Musik zum Leben zu erwecken.

nas Ehrlich gesagt versuche ich mich so zu amüsieren, als würde ich vor meinen Freunden auftreten. Solange ich Spaß habe und hoffentlich anderen in diesen kurzen Minuten Freude bereiten kann, bin ich zufrieden!