Wie aber geht die Geschichte weiter? - Die Bekenntnisse der Fiordiligi

Saison 2023/2024 |

Mozarts Così fan tutte scheint mit einem Happy End zu enden. Doch wie könnte es weitergehen? Eine Antwort liefert Autor Martin Walser

Liebe und Maskerade: Ein Rückblick

Das mit der Verkleidung war wirklich absurd. Wir waren damals noch jung – meine Schwester Dorabella 18, ich 17 – aber so leichtgläubig, dass wir unsere Liebhaber verkennen würden? Niemals. Zugegeben, anfangs ließen wir uns von den falschen Bärten und dem „albanischen“ Aufzug blenden. Doch ein Zwinkern von Dorabella genügte, und ich begriff sofort: Das war ein Spiel, das wir nicht durch voreilige Enttarnung ruinieren durften. Es war beeindruckend, was Guglielmo und Ferrando da inszenierten, um unsere Treue zu testen!

Wir waren in unsere Boys verliebt, natürlich. Allein die Vorstellung, sie wären für uns in den Krieg gezogen, war aufregend – eine kindliche Romantik. Sie spielten ihre Rollen voller Inbrunst, sangen sogar Arien! Ich konnte kaum glauben, dass mein Guglielmo überhaupt singen konnte. Wir stimmten ein, verzaubert von der Melodie, von den Metaphern der „schönen Augen und Füße“. Unsere „albanischen“ Liebhaber schienen plötzlich kreativer, mutiger. Es war wie ein zweites Verliebtsein.

Verbotene Gefühle und neue Versuchungen

Ganz nebenbei entdeckte ich plötzlich, wie attraktiv Dorabellas Ferrando eigentlich war. Es überkam mich ein unzulässiger Gedanke: Was, wenn ich in einer anderen Welt nicht an Guglielmo gebunden wäre? Natürlich liebte ich ihn, aber die Verkleidung gab mir Freiheit, zumindest im Kopf. Ein heimlicher Kuss mit Ferrando wäre verlockend gewesen. Doch da war auch Despina, unsere kluge Kammerzofe, die uns mit ihrer Überzeugungskraft dazu brachte, uns auf das Spiel einzulassen und in dieser Fantasie zu bleiben. „Täuschen, lügen, verstellen – so gewinnt man Männer!“ sagte sie, und wir spielten mit.

Unsere „Albaner“ schreckten nicht einmal davor zurück, „Arsen zu schlucken“ und zusammenzubrechen – eine urkomische Szene! Bis zur Schein-Hochzeit mit den Fremden zierten wir uns nur ein wenig, schließlich willigten wir ein. Für einen Moment hatte ich tatsächlich das Gefühl, Ferrando als „meinen“ neuen Boy zu gewinnen. Aber wie sollte das enden?

Das bittere Erwachen und die neue Maskerade

Als die Masken fielen, mussten Dorabella und ich Reue zeigen – wenn auch nicht aus den Gründen, die unsere Männer vermuteten. Wir fragten uns, ob wir die „falschen“ Partner gewählt hatten und ob eine Ehe zu viert denkbar wäre. Natürlich war sie das nicht, also kehrten wir offiziell zu unseren „eigentlichen“ Liebsten zurück, als wäre alles nur ein harmloser Streich gewesen.

Zerrüttete Ehen und heimliche Affären

Das Vertrauen war längst brüchig. Ich wusste schnell, dass Dorabella sich im Geheimen mit Guglielmo traf. Offen konfrontierte ich sie – und stellte eine Bedingung: Wenn sie sich weiter mit meinem Mann traf, durfte ich mich mit Ferrando einlassen. So entfachten wir eine verbotene Affäre, in der wir den jeweils anderen Ehemann liebten. Die Ironie: Unsere Männer hielten sich trotz allem für die einzigen „Untreuen“. Als wir sie eines Tages einweihen wollten, brach die erste große Krise aus. Ferrando reagierte heftig, zog sich zurück und begann schließlich eine Affäre mit Despina, was mich tief verletzte.

Die Masken der Stadt und die Tücken der Moral

In den Jahren darauf lebten wir, ein skandalumwittertes Ehepaar in Neapel. Eine Scheidung kam nicht infrage – wir hatten halbwüchsige Kinder und wollten nicht geächtet werden. Unser Umfeld duldete Affären, doch eine Trennung wäre undenkbar gewesen. Meinen Therapeuten, der mir mit Ratschlägen kam, konnte ich nicht ertragen. Die „Führung der Vernunft“ empfahl er mir, doch das half mir wenig.

Neue Enttäuschungen und eine überraschende Affäre

Schließlich zog Guglielmo in den Krieg, wie auch Ferrando, der einen Arm verlor. In ihrer Abwesenheit entdeckte ich, dass Dorabella und Despina eine „enge Freundschaft“ entwickelt hatten – ein weiterer Schlag für mich. Im konservativen Neapel tat jedoch jeder so, als wäre dies bedeutungslos. Als ich Dorabella darauf ansprach, wurde sie defensiv und wütend, wies auf unsere frühen „Arien mit Alfonso“ hin und meinte, Lachen sei selten in den letzten zwanzig Jahren gewesen. War dies ihre Art zu sagen, dass sie Despina tatsächlich liebte?

Heute bleibt die Frage: Wann ist uns das Lachen vergangen?