Was beim Bügeln alles herauskommt
Saison 2024/2025 |
Seit mittlerweile anderthalb Jahrzehnten wird der Opernspielplan im Großen Haus durch regelmäßige Solokonzerte namhafter Sängerinnen und Sänger ergänzt. Der Abend am 8. Jänner weicht jedoch klar vom üblichen Schema ab:
Anstelle einer Interpret*in mit einem herkömmlichen Arien- und Liedprogramm erwartet das Publikum diesmal ein künstlerischer Diskurs, der von gleich drei Bühnengrößen getragen wird: Gemeinsam mit dem Bariton Georg Nigl, der zuletzt unter anderem in mehreren Neuproduktionen der Staatsoper zentrale Rollen übernommen hatte, werden der gefeierte österreichische Kammerschauspieler Nicholas Ofczarek und am Klavier der gefragte Dirigent Vladimir Jurowski unter dem Titel »Die letzten Tage der Menschlichkeit?« Texte von Karl Kraus der Musik von Gustav Mahler und Hanns Eisler gegenüberstellen. Um den Zuschauerinnen und Zuschauern schon vorab einen kleinen Einblick in die Ideenwelt und Ausrichtung des Konzerts zu gewähren, befragte Andreas Láng die beiden Erfinder dieses außergewöhnlichen Abends, Georg Nigl & Nicholas Ofczarek.
Von wem ging die Initiative zu einer künstlerischen Zusammenarbeit aus und wie muss man sich diese vorstellen? Begibt man sich gemeinsam auf die Suche? Oder gibt es nur ein Zusammentreffen, wenn einem von Ihnen eine zündende Idee aufpoppt?
Georg Nigl: Einen losen Kontakt hatten Nicholas und ich schon seit den 1990er Jahren, knapp, bevor er ans Burgtheater kam. Und von Anfang an ist mir sein unglaubliches Theatertalent aufgefallen – der Wunsch, gemeinsam mit ihm etwas Künstlerisches auf die Beine zu stellen, entstand daher gewissermaßen von selbst. Wie sehr wir darüber hinaus auf einer gemeinsamen Wellenlänge liegen, fiel uns auf einer Zugfahrt von Wien nach München auf, die uns zufällig wieder einmal zusammenführte.
Eigentlich hätten wir uns beziehungsweise unsere Stimmen ja schonen sollen, da wir beide – wenn auch an unterschiedlichen Bühnen – nur wenige Stunden vor einer Vorstellung standen. Doch die Unterhaltung glich schon den ersten Sekunden einem lebhaften Feuerwerk, in dem wir, wie bei einem Wettkampf, Pointe auf Pointe servierten. Wahrscheinlich war das bis heute unsere lustigste Zugfahrt überhaupt und ich fürchte, dass man unser Gelächter noch im übernächsten Abteil hören konnte. Nicholas verabschiedete sich jedenfalls mit den Worten: »4:1 für Nigl!« – was zwangsläufig eine Revanche erforderte. Nach einigen weiteren Treffen wurden wir dann gewissermaßen handelseins und begannen unterschiedlichste gemeinsame Pläne zu wälzen, deren erste Frucht nun dieser Abend an der Wiener Staatsoper sein wird.
Mir persönlich fallen lang gesuchte Lösungen für künstlerische Fragen oder Ideen für neue Projekte sehr oft beim Musikhören ein. Wann haben Sie ihre kreativen Schübe?
Georg Nigl: Vorzugweise beim Bügeln oder unter der Dusche.
Nicholas Ofczarek: In der Stille der Nacht.
Und wie erfolgte die Einbindung von Vladimir Jurowski als Pianisten?
Georg Nigl: Ich halte ihn für einen der gegenwärtig interessantesten Dirigenten, der, wie nur wenige, ehrlich darangeht, die Intentionen der Komponisten möglichst optimal umzusetzen, die jeweiligen Schöpfungen für die Hörerschaft zu interpretieren – also im übertragenen Sinne zu übersetzen. Er ist mit anderen Worten ein wahrer Diener der Sache. Als ich ihn dann bei den Proben zu der von ihm geleiteten Fledermaus in München auch noch als fabelhaften Pianisten erleben durfte, habe ich ihn einfach gefragt, ob er bei unserem Projekt mitmachen möchte. Und da er freudig zugstimmt hat, ist unser Triumvirat nun beisammen. (lacht)
Wessen Idee war es, die Texte von Karl Kraus mit Mahler und Eisler zu kombinieren?
Georg Nigl: Das ging von mir aus. Kraus’ Letzten Tage der Menschheit beschäftigen mich schon lange. Und dass dieses Werk als unaufführbar gilt reizt mich obendrein, weil ich in so einem Fall sofort nachzudenken beginne, wie man es doch realisieren könnte. Außerdem sehe ich die klassische Form des Liederabends – ein Sänger tritt mit einem einzigen Begleiter auf und trägt was vor – nicht als gattungstechnische Naturnotwendigkeit an. Warum nicht eine Kombination mit einem Kammermusikensemble oder eben mit einem Schauspieler, der zwischen den Liedern Texte rezitiert.
Wobei mir eine Konzertdramaturgie, bei der zum Beispiel bestimmte Werke eines Dichters zunächst vorgelesen und danach die entsprechende Vertonung vorgesungen wird, auf die Dauer etwas uninspiriert erscheint. Ich möchte vielmehr Texte und Musik vereinen, die auf zusätzlichen Ebenen miteinander zu tun haben, die sich bespiegeln, Assoziationen beim Hörenden hervorrufen. Eine bloße Geschichtenerzählung um der Geschichtenerzählung willen war uns allen zu wenig. Wir wollten vielmehr, dass sich zwischen den Texten und den Kompositionen Verbindungslinien herausarbeiten lassen, dass neue Denkanstöße entstehen. Und mit dem vorliegenden Programm ist uns das, glaube ich, gut gelungen.
Gibt es bezüglich der Abfolge Text-Musik eine gewisse Regelmäßigkeit? Zum Beispiel: Ein Lied, ein Text, oder zwei Lieder, zwei Texte?
Nicholas Ofczarek: Das wäre langweilig.
Georg Nigl: Zumal für mich der Unterschied zwischen gesprochenem und gesungenem Text gar nicht so groß ist. Gute Texte sind nämlich per se Musik und umgekehrt: wenn ich Lieder singe, dann rezitiere ich zugleich.
Sie bleiben also alle drei durchgehend auf der Bühne? Der Sänger und der Pianist gehen nicht ab, wenn der Schauspieler einen Text vorträgt?
Georg Nigl: Nein, ich bleibe auf der Bühne und höre, wenn ich gerade nicht dran bin zu, um mich aus der Situation heraus inspirieren zu lassen. Dadurch entsteht erst das Gemeinsame.
Nicholas Ofczarek: Anders gesagt: Wir schenken einander den Fokus.
Kann bei so einem Abend dreier Künstler – wenn auch nur im Keim – so etwas wie ein Konkurrenzgefühl entstehen?
Georg Nigl: Mir geht es nicht ums Gewinnen! Ich empfinde in der künstlerischen Arbeit grundsätzlich nie eine Konkurrenz, also besteht auch an diesem Abend diesbezüglich keine Gefahr. Ich freue mich vielmehr, diesmal mit einem Haberer, den ich wirklich sehr schätze, auf der Bühne zu stehen, mit einem Haberer, von dem ich weiß, dass er wunderbare, nicht planbare künstlerische Momente entstehen lassen wird, die ich aufgreifen und weiterentwickeln darf, die dann wiederum er übernimmt. Man hängt am anderen und passt aufeinander auf. Das gelingt nicht mit jedem!
Nicholas Ofczarek: Es geht nicht um Konkurrenz, sondern darum, dass an diesem Abend drei Künstler MITEINANDER dem Inhalt dienen.
Darf es gegenseitige Kritik geben?
Nicholas Ofczarek: Nicht darf: Es muss!
Georg Nigl: Unbedingt – solange sie zärtlich ist.
Was ist Ihnen lieber: Beifall nach jedem einzelnen Programmpunkt oder erst nach einem größeren Block?
Nicholas Ofczarek: Darüber denke ich nicht nach.
Georg Nigl: Ob die einzelnen Menschen im Zuschauerraum betroffen sind oder darüber nachdenken, ob sie in der Pause lieber Wein statt Bier trinken, kann ich nicht beeinflussen. Aber grundsätzlich ist mir eine Reaktion am Schluss lieber als nach jeder einzelnen Nummer.
Das Konzert hat den Untertitel »Die letzten Tage der Menschlichkeit?« Das Fragezeichen stellt die Möglichkeit in den Raum, dass es sich vielleicht doch nicht um die letzten Tage handelt. Ist das Fragezeichen eine Utopie, eine Hoffnung oder doch mögliche Realität?
Nicholas Ofczarek: Das soll das Publikum für sich entscheiden!
Georg Nigl: Eine Frage oder ein Fragezeichen erwartet oder erhofft nicht zwingend eine Antwort. Wir leben in einer Zeit, in der sich sehr schnell sehr vieles ändert. Wir werden unentwegt mit Situationen und Bildern zugeschüttet, haben aber relativ wenig Möglichkeiten, zuzuhören oder zumindest die gemeinsame Gemengelage zu definieren. Dieses beängstigende Tempo, diese Reizüberflutung verstärkt in vielen von uns die Fokussierung auf das eigene Fortkommen und Überleben. Was dadurch unter die Räder kommt, ist die Humanitas, also die Menschlichkeit.
Was ist das Ziel des Abends?
Nicholas Ofczarek: Qualität.
Georg Nigl: Einerseits eine sehr gute Unterhaltung für das Publikum und damit Hand in Hand gehend das Gelingen dessen, was wir uns vorgenommen haben. Und… dass am nächsten Abend der Vorhang wieder aufgeht und etwas anderes gespielt wird.