Warum Mozart wie ein Riesen-Torlauf ist
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Hanna-Elisabeth Müller als Gräfin in Le nozze di Figaro
Der perfekte Mozart-Stil?
Sicherlich ist es schon vielen passiert. Man hört oder liest nach einer Aufführung Dinge wie: »Das war aber nicht sehr mozartisch.« Oder: »Genau so muss Mozart gesungen werden!« Und manchmal widersprechen sich diese Meinungen sogar. Was also ist ein »perfekter Mozart-Gesang«? Wie muss/soll/darf es klingen? Und warum schätzen so viele Musikerinnen und Musiker diesen Komponisten aus so vielen Gründen?
Ein Blick in die Geschichte
Zu Mozarts Lebzeiten hatten Musiker denkbar viel Raum für die persönliche Interpretation. Verzierungen und Ausschmückungen, kleinere und mittlere Freiheiten waren nicht nur erlaubt, sondern gehörten zum Handwerk des Gesangs und des instrumentalen Spiels. Vieles musste gar nicht extra angewiesen oder notiert werden, es war ohnedies klar: Und weil es alle taten und es allgegenwärtig war, verlor man darüber nicht viele Worte. Ja, mehr noch: »Verzierungskunst war per se Vortragskunst, und wer sie, etwa als Sänger, nicht beherrschte, war ein trockener Buchstabierer« – so weiß es der kenntnisreiche Jens Malte Fischer im Mozart-Handbuch. Glaubt man dem umfassend gebildeten »Kritikerpapst« Eduard Hanslick, dann waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts »die schönsten Kennzeichen Mozart’scher Musik Anmuth, Klarheit und vollendetes Ebenmaß«. Der perfekte Mozart-Stil?
»Liest man die zeitgenössischen Berichte, so wird das extrem Kontrastreiche, Aufwühlende und Erschütternde an Mozarts Musik hervorgehoben. Mozart auf den ästhetischen Genuss zu reduzieren heißt schon deshalb, ihn sicherlich misszuverstehen.«
Gustav Mahlers Mozart
Nur wenige Jahre später sollte es anders kommen. Gustav Mahler, der auch als Dirigent und Direktor der Wiener Hofoper Musikgeschichte schrieb, revolutionierte den Stil und brachte pulsierendes, intensives Leben. »Er befreite Mozart von der Lüge der Zierlichkeit wie von der Langeweile akademischer Trockenheit, gab ihm seinen dramatischen Ernst, seine Wahrhaftigkeit und seine Lebendigkeit. Er verwandelte durch seine Tat den bisher leblosen Respekt des Publikums vor den Mozart’-schen Opern in eine Begeisterung, die das Haus mit ihren Demonstrationen erschütterte und sogar das Herz des Theaterkassierers zu nie gekannten Wonnen mitriss«, berichtete später ein weiterer großer Berufener: Bruno Walter. Dieser war es auch, der die Mahler-Nachfolge antrat und zu einem der führenden Mozart-Interpreten seiner Zeit wurde.

Peter Kellner als Guglielmo & Emily D’Aangelo als Dorabella und Federica Lombardi als Fiordiligi & Filipe Manu als Ferrando in Così fan tutte
Mythos Mozart-Ensemble
Nach den Jahren des NS-Regimes erblühte in Österreich rund um den zuvor verfolgten Dirigenten Josef Krips schließlich das berühmte Mozart-Ensemble, das heute geradezu einen mythischen Charakter hat. Ein neuer Mozart-Stil war geboren, der ganz aus dem Zusammenhalt und Zusammenklang schöpfte. Dass dieses Mozart-Ensemble ein Kind seiner Zeit und keiner allfälligen Strategie geschuldet war, darauf weist der Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, hin: »Man darf nicht vergessen, dass das Ensemble nach dem Zweiten Weltkrieg aus keiner Planung heraus entstanden ist, sondern eine Folge der Zeiterscheinung war. Man beschloss nicht einfach: Wir gründen jetzt ein Mozart-Ensemble!, sondern es gab wenig Möglichkeiten zu reisen, ein glückliches Zusammentreffen von großartigen Sänger- und Dirigentenpersönlichkeiten und eine ansteigende Nachfrage nach Schallplatten.
Dadurch, dass die Sängerinnen und Sänger also an einen Ort gebunden waren, ergab sich eine Beständigkeit und Konsequenz in der gemeinsamen Arbeit. Und so entstand dieser maßstabsetzende Stil und das entsprechende Ensemble. »Das Wichtigste, wenn man in unseren Tagen wieder ein Mozart-Ensemble etablieren möchte, ist der Faktor Zeit. Denn es braucht einfach viel, viel Zeit und viel, viel gemeinsame Arbeit, um etwas Geschlossenes und Wegweisendes zu entwickeln. Aus diesem Grund haben wir den Da Ponte-Zyklus in den letzten Jahren mit einer Gruppe von Stammsängern, mit einem Regisseur und einem Dirigenten erarbeitet, um zu einer Gruppe zusammenwachsen zu können.«
Die Sache mit der Stimmhygiene
Spricht man nun mit Sängerinnen und Sängern, so kristallisieren sich bald zwei Aspekte des Mozart-Gesangs heraus: Erstens: Mozart ist gut für die Stimme, zweitens: Mozart ist besonders herausfordernd zu singen. So weist etwa Slávka Zámečníková, die zuletzt als Pamina in der Zauberflöten- Premiere brillierte und Ende März als Susanna in Le nozze di Figaro auf der Bühne stehen wird, auf den besonderen »Gesundheitsaspekt« in Mozarts Musik hin: »Für mich ist Mozart tatsächlich eine Stimmhygiene. Wenn ich das Gefühl habe, dass es mir gesanglich nicht ganz gut geht, dass ich stimmlich irgendwohin abgedriftet bin, nehme ich Mozart-Noten zur Hand und singe.Ganz konkret: Die Donna Anna aus Don Giovanni. Und sogleich bringt Mozart meine Stimme wieder in Ordnung. Wie das passiert? Das weiß ich nicht. Aber es klappt immer! Ich merke bei Mozart einfach, wenn sich kleine Schlampereien einschleichen, die ich mir nicht erlauben will.«

Philippe Sly als Figaro & Slávka Zámečníková als Susanna in Le nozze di Figaro
Anti-Schlamperei
Fast immer, wenn Künstler über Mozart sprechen, wird seine Musik als Kryptonit gegen jede Form von musikalischem Hallodri genannt. Hanna-Elisabeth Müller, die gefeierte Nozze-Gräfin der Wiener Staatsoper: »Bei ihm kann man nicht schummeln, über nichts hinwegtäuschen. Genau das ist der Grund, warum seine Opern für uns Sängerinnen und Sänger so gesund sind – weil es keine Tricks gibt, weil wir zur maximalen Ehrlichkeit gefordert werden.« Nicht anders Brigitte Fassbaender, eine der großen (nicht nur Mozart-) Interpretinnen goldener Opernjahrzehnte: »Man darf sich nicht die geringste Schlamperei erlauben, nicht den kleinsten Anflug einer Bühnenroutine.
Auch für Dirigenten ist Mozart die größte Herausforderung, und auch für ein Orchester sind seine Werke das Schwierigste: Weil man alles hört und fast jedes Instrument quasi solistisch geführt wird. Bei Mozart ist schonungslos alles hörbar. Es braucht also unglaubliche Akribie und höchste Genauigkeit.« Und es braucht die Quadratur des Kreises, nämlich die Kunst, gleich zwei unterschiedliche Aspekte unter einen Hut zu bringen: Stimmkraft, aber auch eine feine Steuerung. Das beschreibt ein anderer, der das Haus viele Jahre prägte und nicht nur hier alle großen Mozart-Partien gestaltete: Michael Schade. »Mozart kann man ein bisschen mit einem Riesentorlauf vergleichen.«
»Laut und gnadenlos zu singen ist einfach, die Energie mit Delikatesse zu vereinen hingegen schwierig!«
Mozart, der Herausfordernde
Er fordert einfach alles: Wissen, Stimmtechnik, Stilistik, Können. Gerade darum sollte sich jeder mit ihm im Idealfall ein ganzes Leben lang auseinandersetzen, egal, welches Repertoire man sonst abdeckt. Und wenn nicht auf der Bühne, dann zumindest als ›Kulturtraining‹.« Adam Fischer, Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper, hundertfacher Mozart-Dirigent im Haus am Ring und seit seiner Kindheit (nämlich bereits als 3. Knabe in der Zauberflöte) engstens mit dem Komponisten verbunden, fügt dem noch einen weiteren, wesentlichen Aspekt hinzu: »Warum Mozart schwierig zu singen ist? Auch, weil er seine Rollen für ganz bestimmte Sängerinnen und Sänger geschaffen hat, ihnen also die Partien gewissermaßen direkt auf die Stimmbänder schrieb.
Das bringt uns heute aber in die Situation, dass wir Sänger finden müssen, deren Stimme und Möglichkeiten möglichst exakt jenen der historischen Vorbilder entsprechen. Was natürlich kaum geht. Nur als Vergleich: Es ist, als ob man einen perfekten Maßanzug für eine bestimmte Person hätte – und nun jemanden Zweiten finden muss, der exakt in den Anzug passt. Sehr, sehr schwierig!« Und auf noch einen Aspekt weist er hin: Zu behutsam, nur um ja transparent und durchsichtig zu klingen, dürfe man bei Mozart keinesfalls werden, dann schon »lieber ein Kiekser als zu viel Vorsicht!«
Risiko der Schönheit
Die besonderen Herausforderungen des Gesangs können freilich durchaus auch das reflektieren, was die Bühnenfiguren in einem entscheidenden Handlungsmoment durchleben müssen. Solche Augenblicke beschreibt Michael Schade: »Mozart zeigt bei seinen Tenorhelden die Liebe immer wieder so betörend schön, aber auch so unglaublich gefährdend, dass es buchstäblich um die ganze Existenz geht. Man ist auf Messers Schneide. Entweder es wird das denkbar Herrlichste der Welt oder der größte Schmerz. Mozart setzt diese Passagen genau im Passaggio, also im Übergang zwischen zwei Stimmregistern – ein heikler Bereich zum Singen. Das kann wunderbar klingen, wenn man die nötige Leichtigkeit schafft. Wenn man aber die Stimme nicht ganz richtig führt, kann sie plötzlich brechen. Diese Extremsituation überträgt sich auf die Interpretation. Gelingt es, dann wird es so faszinierend, dass das Publikum den Atem anhält.«
Mozart ist wie Sprechen
Wie also macht man’s richtig? Slávka Zámečníková: »Für mich ist Mozart immer dann stimmig, wenn es so klingt, als ob man ganz einfach nur sprechen würde. Als ob das Singen keine Arbeit oder Anstrengung wäre, nichts ›Künstliches‹, sondern das Natürlichste der Welt. Es geht darum, eine Mitte zu finden. Nicht zu streng und zu akademisch, aber auch nicht zu emotional und romantisierend, sondern in der Balance: Technik, Emotion, Wissen, Intelligenz, Ausdruck.« Ähnlich Philippe Jordan: »Für Mozart braucht es eine besondere Reinheit. Mit anderen Worten: Eine technische Perfektion und Nobilität im Klang, saubere Intonation, Klarheit, durchaus auch instrumental gedacht und geführte Stimmen und oftmals auch eine Jugendlichkeit. Dazu eine unglaubliche Raffinesse, ein Sinn für Verzierungen und Artikulation, und natürlich eine genaue Behandlung des Textes.«
Und Hanna-Elisabeth Müller: »Müsste ich jemandem Mozart erklären, dann vielleicht so: Mozart ist die purste Form des Musizierens, weil sie die größtmögliche Klarheit und Offenheit braucht. Alles, was diese Musik benötigt, steht in den Noten, man muss nichts hinzufügen, man darf nichts weglassen. Das Beste in Bezug auf die Interpretation ist, wenn man seine Werke ganz unverändert singt, genau so, wie sie geschrieben wurden. Alles, was es für eine Wiedergabe braucht, ist bereits in der Musik enthalten. Man muss Mozart nur folgen und vertrauen. Das ist das Schöne – und das Schwierige.«

Bogdan Volkov als Don Ottavio & Louise Alder als Donna Anna in Don Giovanni
Jeder Ton mit Liebe
Zuletzt noch einmal Adam Fischer, der die ideale Mozart-Interpretation ins Allgemeingültige zu wenden versteht: »Vielleicht«, so sagt er, »gilt für Mozart einfach nur, was letztlich für alle Komponisten gilt: Jeder Ton, den man singt oder spielt, muss einem unendlich wichtig sein und man muss von seiner Richtigkeit und Bedeutung überzeugt sein. Wenn man etwas nur spielt, weil es halt in den Noten steht, dann ist das kein echtes Musizieren, sondern nur Dienst nach Vorschrift. Und davor wollen wir uns hüten!«