Von New York nach Wien: Das Leben von Alma Neuhaus

Saison 2024/2025 |

Zwischen Selbstvertrauen, Fantasie, Disziplin und dem einzigartigen Gefühl, auf der Bühne zu stehen – ein Blick hinter die Kulissen.

Sie sind seit mehr als zwei Jahren an der Wiener Staatsoper, seit Beginn dieser Spielzeit im Ensemble. Gibt es ganz typische Charaktereigenschaften oder Qualitäten, die man als Sängerin und Ensemblemitglied in einem großen Opernhaus haben muss?

Um überhaupt an den Punkt zu kommen, auf einer solchen Bühne zu stehen, wird viel von einem verlangt: Wissen, Können, Ausbildung und so weiter. Entscheidend aber ist, all das nicht nur zu besitzen, sondern im Auftrittsmoment tatsächlich ein- und umsetzen zu können. Dass einem das gelingt: darauf muss man vertrauen. Insofern ist dieses Vertrauen auf sich selbst eine ganz zentrale und wichtige Eigenschaft. Ebenso zentral: die Fantasie! Wir erzählen Geschichten auf der Bühne, spielen Szenen. Ohne die nötige Vorstellungskraft geht das einfach nicht. Auch braucht es viel Eigendisziplin. Und schließlich ist eine Offenheit wichtig, da wir mit vielen Menschen arbeiten, die sehr unterschiedliche Denkweisen und Lebenshintergründe mitbringen. Als Letztes: Sich ausreichend Zeit für Dinge nehmen. Das beginnt als Sängerin schon beim Ausruhen. Für eine wie mich, die aus den USA kommt, ist das ein schwieriges Konzept. (lacht) Aber ich habe hier in Wien gelernt zu erkennen, wann ich Ruhe brauche Und welche Art von Ruhe. Manchmal bedeutet diese Regenerationszeit allein zu sein, manchmal Zeit mit Freunden zu verbringen und manchmal mit meiner Familie zu reden.

Wenn wir Wien und New York vergleichen: Wie fühlt sich der Unterschied aus Sicht einer jungen Sängerin an?

Es sind sehr unterschiedliche Orte, die ich aber beide – jeweils auf ihre Art – sehr genieße. In New York ist es viel hektischer als hier. Wenn man irgendwo hinfährt, ist man beim Ankommen schon erschöpft, einfach, weil die Entfernungen so groß sind und man so lange gebraucht hat. Und es ist einfach die ganze Zeit etwas los. Diese Energie von New York kann einen durchaus beflügeln. Im Vergleich dazu: In Wien habe ich das Gefühl, dass ich Raum zum Atmen habe, Raum, um meine Umgebung in mich aufzunehmen. Und ich habe ausreichend geistigen Freiraum, um wirklich über die Musik nachzudenken. Es liegt auch so viel Kulturelles in der Luft… Daher fühlt sich Wien für mich wie ein Ort an, an dem ich längerfristig bleiben kann. (lacht)

Was ist nun das Beste im Leben als Ensemblesängerin?

Am besten gefällt mir am Ensemble nicht nur, dass ich jeden Tag von so vielen großartigen Musikerinnen und Musikern umgeben bin, sondern auch, dass ich Teil einer so einzigartigen Gemeinschaft bin. Da wir die ganze Saison über zusammenarbeiten, können wir Beziehungen aufbauen und Vertrauen zueinander entwickeln – so fühlen wir uns auf der Bühne wohler und können mehr Spaß haben. Ich fühle mich von meinen Kolleginnen und Kollegen inspiriert und bin so dankbar, dass ich zu dieser unglaublichen Gruppe gehöre.

Was ist Singen für Sie? Ein Beruf, wie es viele andere gibt, nur eben mit ungewöhnlichen Arbeitszeiten, oder ist es doch etwas ganz Eigenes? Eine Berufung, ein Umgehen mit Emotionalitäten, eine andere Dimension?

Für mich liegt es irgendwo in der Mitte. Wenn man den Kopf nur in einer künstlerischen Wolke trägt, fehlt einem der Ort, an dem man sich erden kann. Und dann kann es schwierig werden: Immer nur Wolken, das scheint mir fast eskapistisch. Man braucht auch den Boden. Ich mag es, dass es eine Struktur gibt, ein Handwerk und Wissen, das ich in die Kunst mitbringe. So ausgestattet ist es schön, in eine andere Welt einzutauchen, ganz in einer Rolle aufzugehen. Andererseits genieße ich es durchaus, aus dem Theater nach Hause gehen zu können und ein ganz normales Leben zu führen. Ich glaube, dass es für den Beruf Verschiedenes braucht: Das vollkommene Eintauchen, aber auch einen sehr realistischen Zugang zu dem Beruf und ein Leben außerhalb.

Kommt Ihnen der Beruf nach ein paar Jahren im Geschäft noch außergewöhnlich vor? Oder ist für Sie »Sängerin« etwas ganz Alltägliches?

(lacht) Ich vergesse immer wieder, dass es kein ganz gewöhnlicher Beruf ist. Und dann treffe ich Leute, die mit Oper und Musik wenig zu tun haben und erlebe stets eine intensive Reaktion in Bezug auf meinen Beruf. Dann fällt mir wieder ein: O ja, was ich tue, ist schon irgendwie seltsam. (lacht)

Fühlt sich das gut an? Dieses Stehen-auf-der-Bühne, dieses Stimme-erklingen-Lassen? Auch das In-eine-Rolle-Schlüpfen?

Das Körpergefühl, auf der Bühne zu stehen und mit einer Orchesterwoge zu singen, ist unvergleichlich. Dieser Adrenalinschub hat etwas Rauschhaftes und ich glaube, dieses Singen auf der Bühne macht uns Sängerinnen und Sänger auch ein wenig süchtig. Es ist ein so cooles Gefühl, wie ich es aus keinem anderen Bereich meines Lebens kenne. Gleichzeitig geht es mir aber um diese intensive Verbindung, die ich mit den Leuten auf der Bühne und mit dem Publikum herstellen kann. An einem Punkt ist man plötzlich auf einer Wellenlänge, fühlt eine gemeinsame Energie und tickt synchron. Ich verbinde mich mit den Zuschauerinnen und Zuschauern, und vielleicht denkt sich jemand: Das, was sie gerade spielt, das habe ich schon einmal empfunden! Oder es setzt ein Nachdenken über das ein, was gerade gezeigt wurde. Mir geht es also auch sehr darum, zu und mit allen zu kommunizieren: mit dem Publikum wie auch mit den Kolleginnen und Kollegen.

Das Sängerinnenleben, gerade in einem Ensemble, hat viel mit Gemeinschaft zu tun. Und zwangsläufig misst man sich – bewusst oder unbewusst – mit Kolleginnen. Schon Søren Kierkegaard meinte dazu: »Das Vergleichen mit anderen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.« Ein Problem?

Wenn man noch im Studium steckt, ist es schwierig, sich nicht zu vergleichen – weil man ja erst dabei ist, seine eigene Stimme zu entdecken und zu finden. Man fragt sich: Welche Richtung werde ich gehen? Aber dann wächst man als Sängerin und das Vergleichen wird weniger. In meinem Fall war es so, dass ich desto unglücklicher war, umso mehr ich im Kaninchenbau des Vergleichens steckte. Wenn ich die Leistungen anderer aber als Motivation sehe, geht es mir gut und ich kann eine bessere Künstlerin werden. Kierkegaard hat jedenfalls sehr recht!

Aber braucht es so etwas wie Konkurrenz?

Es ist gut, diesen Schub ein bisschen zu spüren. Aber ganz grundsätzlich sage ich mir immer, dass es Platz für mehr als nur eine Sängerin gibt. Wir brauchen unterschiedliche Zugänge zu jeder Rolle, unterschiedliche Sichtweisen, andernfalls wäre es ja wirklich zu langweilig. Und wie ich vorhin sagte: Man wächst als Sängerin auch in dieser Hinsicht. Früher spürte ich mehr so etwas wie künstlerische Eifersucht, heute frage ich mich: Was ist es an einer anderen Künstlerin, das mich so interessiert? Und wenn es mir so wichtig ist: Wie kann ich es mir auch erwerben? Das ist viel besser als einfach nur festzustecken und zu denken: O, diese Sängerin hat etwas, das mir fehlt. Wenn man ständig über andere Personen grübelt, nimmt man sich überdies die Zeit, seine eigene Stimme und Kunst weiterzuentwickeln. Konkurrenz ist in unserer Welt ohnedies immer da, da muss ich nicht noch meinen Teil beitragen. Ich sehe meine Kolleginnen also tatsächlich als Kolleginnen und nicht als Konkurrentinnen. Dann kann man auch besser über gemeinsame Rollen reden und Erfahrungen austauschen: und das ist etwas wirklich Schönes!