Prägende Momente
Saison 2024/2025 |
Die prägenden Einflüsse meines Lebens
Wir alle werden von Menschen und Momenten geformt, die unseren Weg kreuzen und uns inspirieren. Für mich waren es außergewöhnliche Persönlichkeiten und einschneidende Erlebnisse, die mich prägten und meinen Blick auf Kunst und Leben bis heute beeinflussen.
Bedeutende Lehrer wie Nikolaus Harnoncourt, meine Gesangslehrerin KS Hilde Zadek oder die Regisseurin Andrea Breth begleiteten mich. Sie lehrten mich durch ihre Arbeit und ihr Beispiel, was künstlerische Hingabe bedeutet. Ebenso unvergesslich war Hans Gillesberger, der mir bei den Wiener Sängerknaben die Grundlagen meiner musikalischen Laufbahn mit unermüdlicher Geduld und Hingabe vermittelte.
Ein weiterer prägender Begleiter war mein Wahlgroßvater Alfred Nissels, ein Altösterreicher, der als Jude vor den Nationalsozialisten fliehen musste und in Frankreich ein neues Leben aufbaute. Seine Lebensweisheit – „Das Einzige, das du deinen Kindern mitgeben kannst, ist Liebe und Bildung“ – prägt mich bis heute. Alfred zeigte mir die Welt jenseits der Musik und weckte meine Neugier auf Literatur, Philosophie, Kunst und Geschichte – ein Schatz, aus dem ich bis heute schöpfe.
Die Kunst des Fragens
Schon früh lernte ich die Kraft des Fragens kennen. Als Neunjähriger entdeckte ich Homers Odyssee während einer Krankheit und begann unzählige Fragen zu stellen: „Wer war Zeus? Warum hatten die Griechen so viele Götter? Wo liegt Ithaka?“ Diese kindliche Neugier prägt mich bis heute.
Als Gesangsprofessor in Stuttgart ermutigte ich meine Studierenden, das Fragen und Hinterfragen nicht zu verlernen. Denn nur durch das Stellen von Fragen entsteht eigenständiges Denken. Eine prägende Erinnerung bleibt Nikolaus Harnoncourt, der nicht nur meine Fragen beantwortete, sondern mich mit Büchern und Anregungen versorgte. Diese Offenheit für Dialog ist etwas, das ich nie vergessen werde.
Schlüsselmomente, die verändern
Doch nicht nur Menschen haben mich geprägt – es gab Augenblicke, die meinen Blick auf die Welt für immer veränderten.
1986 beobachtete ich im Fernsehen, wie ein Lipizzaner-Hengst namens Pluto Verona vor Publikum eine Stute decken sollte. Von der lärmenden Menge irritiert, begann der Hengst stattdessen zu tanzen. Während die Zuschauer lachten, fühlte ich großes Mitgefühl für das Tier. Dieser Moment lehrte mich, dass wahre Kunst entsteht, wenn man authentisch bleibt – unabhängig davon, wie das Umfeld reagiert.
Ein anderer prägender Augenblick ereignete sich während einer Probe zu Bizets Carmen in Graz. Im Gespräch mit Harnoncourt erwähnte ich, dass ich auf die Expertise eines Kollegen vertraue, wenn ich etwas nicht weiß. Seine Antwort – „Nein, Herr Nigl, Sie müssen sich immer ein eigenes Bild machen“ – erschütterte mich zutiefst. Dieser Satz hat mich gelehrt, Informationen zu hinterfragen und meinen eigenen Standpunkt zu suchen.
Ein weiteres Schlüsselerlebnis war mein Debüt an der Mailänder Scala. Nach einer Probe verließ ich das Theater und sah mich in der Galleria Vittorio Emanuele plötzlich von Menschen umgeben, die nichts mit der Oper zu tun hatten. Dieser Kontrast ließ mich erkennen, wie wichtig mein privates Leben ist – als Quelle der Geborgenheit und als Gegenpol zur oft einsamen Existenz eines Künstlers.
Die Magie der Bühne
Ein besonderer Moment war meine Aufführung der Fledermaus an der Bayerischen Staatsoper. Obwohl ich gesundheitlich angeschlagen war, entschied ich mich aufzutreten. Als der Direktor das Publikum über meinen Zustand informierte, hörte ich hinter dem Vorhang ihre Reaktionen – betroffenes Murmeln, gefolgt von Jubel, als klar wurde, dass ich dennoch singen würde. Diese emotionale Unterstützung trug mich durch den Abend und zeigte mir erneut die Kraft der Verbindung zwischen Künstler und Publikum.