Politik, Mythos und Musik: Die komplexe Welt von »Daphne«

Saison 2023/2024 |

Dieser Artikel reflektiert die Oper und ihre Entstehung im Kontext der Mythologie und der Zeitgeschichte.

Der Komponist bündelte die Erfahrungen seines langen Lebens und schuf ein Werk, das tief in der Mythologie verwurzelt ist. In der Inszenierung von Nicolas Joel wird der griechische Mythos rund um die jungfräuliche Daphne erzählt, die sich durch ihre Verwandlung in einen Lorbeerbaum der Zudringlichkeit des Gottes Apollo entzieht. Diese Geschichte wird in der Regie von Joel überzeugend als Tagtraum einer sexuell vernachlässigten jungen Frau inszeniert.

Daphne ist nicht nur eine Oper über Mythologie und Verwandlung, sondern auch ein zutiefst persönliches Werk des Komponisten Richard Strauss. Es ist die Musik eines Mannes, der in seinen letzten Jahren eine Umkehr vollzieht – eine Rückkehr zu einer reineren, friedlicheren Weltanschauung, die sich in der Schlichtheit und der Harmonie seiner Musik widerspiegelt. In dieser Oper geht es nicht nur um den Konflikt zwischen Apollo und Daphne, sondern auch um eine tiefere Auseinandersetzung mit der menschlichen Natur und der Sehnsucht nach einem verlorenen Paradies.

I. Daphne und das Lorbeergewürz

Friedrich der Große verstieß einst seinen Hausphilosophen Voltaire, weil dieser das Leibgericht des Königs kritisierte: Beinschinken, warm, in einem Bad aus Thymian, Wacholder und besonders Lorbeer. Daphne, oder laurus, ist seit mehr als dreitausend Jahren ein unverzichtbares Küchengewürz. Die moderne Gourmetkritikerin Dr. Ursula Winnington schreibt in ihrem Buch Köchelei fürs Paradies (Klatschmohn Verlag, Rostock), dass Daphne auf unseren Lippen »eine Göttermahlzeit« garantiert.

Und tatsächlich: Apollo, der als Gourmet unter den Göttern gilt, wollte Daphne als seine »Götterspeise«. Doch als sie vor ihm flieht, wird sie in einen Lorbeerbusch verwandelt – zum Glück für die westliche Küche. Strauss komponierte Daphne als ein harmonisches Alterswerk. Er war 74 Jahre alt, als die Oper 1938 in Dresden uraufgeführt wurde, nur ein Jahr vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Damals befand sich Strauss zwischen einer anfänglichen Sympathie für die Nationalsozialisten und einer immer stärker werdenden Ablehnung. Das Publikum reagierte respektvoll, aber nicht überschwänglich.

Dr. Winnington beschreibt Daphne als ein Gewürz mit einem eigenartigen Geschmack, der gleichzeitig bitter und aromatisch ist, und mit einer Mischung aus Muskatnuss, Walnusschale und etwas Vanille. Auch im getrockneten Zustand behält Daphne ihr Aroma. Vielleicht ein bisschen zu viel Vanille – aber das ist eine interessante Rezension.

II. Der Text von Joseph Gregor

Der übermäßige Vanillegeschmack könnte jedoch eher dem Librettisten zuzuschreiben sein. Strauss hatte nie ein besonders gutes Verhältnis zu seinen Textdichtern, vielleicht noch am ehesten zu Hugo von Hofmannsthal, der ihm jedoch in jungen Jahren 1929 wegbrach. Mit Stefan Zweig konnte er auch nicht mehr arbeiten, als dieser 1938 emigrierte. Am wenigsten jedoch mochte er Joseph Gregor. Trotz dessen Bildung und Sachkenntnis fand Strauss seine Texte oft zu übertrieben und leidenschaftlich. So musste Gregor immer wieder Änderungen vornehmen, um Strauss' Anforderungen zu erfüllen.

Die Textversionen von Gregor wurden ihm vorgelegt, und Strauss setzte sich mit einer Mischung aus Geduld und Frustration daran, die Musik zu komponieren. Der Text von Daphne bleibt als ein schwer verdaulicher Homer-Jargon zurück, den man beim Hören am besten beiseite schiebt, um die Musik in ihrer vollen Schönheit zu genießen.

III. Apollonisch vs. Dionysisch bei Strauss

Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass Daphne in einem Konflikt zwischen dem apollinischen und dionysischen Prinzip stehe – zwischen Klarheit und Ordnung einerseits und Sinnlichkeit und Chaos andererseits. Doch Strauss' Werk ist viel weniger ein solches Dualismus als eher eine Vereinigung von beiden. Während seine früheren Werke wie Salome und Elektra wilder und sinnlicher sind, zeigt Daphne die ruhigere Seite des Komponisten, die jedoch nicht ohne Sinnlichkeit auskommt.

Strauss zeigt in Daphne, dass weder das apollinische noch das dionysische Prinzip in seiner Musik unvereinbar sind. Es geht vielmehr darum, die Kontraste zu vereinen. Apollo, der in der griechischen Mythologie oft als Symbol für Reinheit und Licht steht, wird hier als ein verführerischer Gott dargestellt, dessen Leidenschaft Daphne jedoch nicht erwidern möchte. Daphne flieht vor Apollo, nicht aus Abscheu, sondern aus der Sehnsucht nach etwas anderem – einem Leben jenseits der männlichen Begierde.

In dieser Deutung könnte man Daphne auch als eine frühe feministische Figur betrachten, die sich nicht den Männern, sogar den Göttern, unterordnet. Ihre Entscheidung, sich in einen Baum zu verwandeln, könnte als Symbol für den Widerstand gegen die Sexualisierung und den patriarchalischen Druck interpretiert werden. Sie ist eine Frau, die sich gegen die Verführung und für den Frieden der Natur entscheidet.

IV. Strauss’ Umkehr und die Musik von »Daphne«

Richard Strauss, der während seiner Karriere immer wieder zwischen verschiedenen künstlerischen und politischen Welten schwankte, fand mit Daphne eine bemerkenswerte Rückkehr zu einem inneren Frieden. Nachdem er in seiner Jugend Musik voller Sinnlichkeit und Leidenschaft komponiert hatte, kehrt er mit Daphne zu einer reinen, fast spirituellen Musik zurück.

Im Gegensatz zu seinen früheren Werken ist Daphne von einer unaufdringlichen Keuschheit geprägt, die sich jedoch nicht mit der Banalität einer langweiligen sexuellen Entsagung zufriedengibt. Es ist eine Lust, die sich nicht nach körperlicher Ekstase sehnt, sondern nach einem tieferen, fast paradiesischen Zustand. Strauss’ Musik in Daphne ist eine Sehnsucht nach einem verlorenen Paradies, ein seelisches Streben nach Harmonie und Frieden.

In diesem Zusammenhang kann man auch die späteren Vier letzten Lieder von Strauss sehen, in denen das Thema des Friedens und der Ruhe noch weitergeführt wird. Wie in Daphne wird der Wunsch nach einem jenseitigen Frieden, nach einem Rückzug in die Natur und die Stille immer deutlicher. Doch auch hier bleibt der Frieden fragil und schwer fassbar, ebenso wie die Sehnsucht nach dem Paradies, die in jeder Note von Strauss’ Musik mitschwingt.