Pogrom und Prügel

Saison 2023/2024 |

Die Eröffnung der Wiener Staatsoper 1955 und ihre Schattenseiten

Die feierliche Eröffnung der Wiener Staatsoper im Jahr 1955 sollte das neu geborene Österreich als Kulturnation inszenieren und an den Glanz vergangener Zeiten anknüpfen. Doch hinter den prachtvollen Fassaden und der Musik von Beethoven, Strauß und Wagner verbargen sich Schatten der Vergangenheit – und eine problematische Kontinuität zu NS-ideologischen Strömungen, die kaum hinterfragt wurde. Die Geschichte dieser Inszenierung erzählt weit mehr als die einer „Neugründung.“

Die Eröffnung der Wiener Staatsoper 1955 zeigt, wie stark die junge Republik auf kulturellen Traditionen fußte, die ihre Verstrickungen in den Nationalsozialismus und die antisemitische Ideologie ignorierten. Diese „Kulturgroßmacht“ konnte nur bestehen, weil die kritische Auseinandersetzung mit diesen dunklen Kapiteln lange unterblieb.

Die „Neugründung“ der Zweiten Republik und die Rolle Karl Böhms

Als Österreich 1955 das Ende der alliierten Besatzung feierte, sollte die Eröffnung der Wiener Staatsoper – neben der des Burgtheaters – diesen Neubeginn kulturell krönen. Dirigent Karl Böhm, ein prominentes ehemaliges NSDAP-Mitglied, spielte dabei eine zentrale Rolle und setzte ein bewusstes Zeichen der Kontinuität.

Ein symbolischer Neuanfang mit Beethovens Fidelio

Das Eröffnungsprogramm umfasste Beethovens Fidelio, ein Werk, das auch 1938 zum „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich erklungen war. Die Wahl dieses Stückes verknüpfte den neuen, „neutralen“ Staat subtil mit der Vergangenheit und untermauerte die Kontinuität der Kulturpolitik.

Kulturpolitik und Verdrängung nach 1945: Die Rolle von Wagner und anderen NS-Künstlern

Nach 1945 verneinte die Kulturpolitik weitgehend die Rolle der antisemitischen Kunstproduktion des 19. Jahrhunderts bei der Legitimierung der Schoa. Werke wie Wagners blieben dennoch präsent, was die Eröffnung der Staatsoper 1955 zum umstrittenen Symbol für die kulturelle Wiederaufnahme ohne Auseinandersetzung machte.

Parallelen zur Gewalt von 1938

Die Pogrome im März 1938, bei denen Wiener Jüdinnen und Juden öffentlich gedemütigt wurden, fanden ein „Publikum“, das mit einer makabren Heiterkeit reagierte. Die Parallele zwischen dieser Stimmung und der Festlichkeit 1955 ist erschreckend – und zeigt die problematische Normalisierung von Gewalt gegen Minderheiten in der öffentlichen Kultur Österreichs.

Eine „Kulturnation“ auf problematischen Traditionen

Die Eröffnung der Wiener Staatsoper 1955 verankerte symbolisch die Traditionslinie zur NS-Kulturpolitik in der Zweiten Republik. Diese „kulturnationale“ Inszenierung verdrängte die antisemitischen und nationalsozialistischen Aspekte der Vergangenheit und wurde so zur Grundlage für ein problematisches kulturelles Selbstverständnis der jungen Republik.