Philippe Jordan im Gespräch

Saison 2023/2024 |

Drei Einakter, ein Meisterwerk: Puccinis Genialität im »Trittico«

In diesem Interview beleuchtet der Dirigent Philippe Jordan das Trittico von Puccini und betont die dramaturgische Absicht hinter deren Anordnung. Jedes Stück verkörpert ein eigenes Thema und Klangspektrum: das tragische und impressionistisch düstere Il tabarro, das religiös-mystische Suor Angelica und die komische Oper Gianni Schicchi, die aus der Tradition der Opera buffa schöpft und eine Gesellschaftskritik parodiert. Diese Vielfalt verleiht dem Abend eine ausgewogene Dynamik.

Die drei Einakter – Il tabarro, Suor Angelica und Gianni Schicchi werfen immer wieder die Frage nach der Einheit des Trittico-Abends auf. Gehören die Werke unabdingbar zuammen? In welcher Abfolge?

Philippe Jordan Puccini suchte stets nach ungewohnten Formen und Wegen, um sein Publikum zu verführen und zu überraschen. Im Fall von Trittico bot der dreiteilige Aufbau ganz neue Möglichkeiten: Ein Abend mit unterschiedlichen Werken, die Erzählung von gleich mehreren eigenständigen, abgeschlossenen Geschichten. Man hat gewissermaßen keinen Roman, sondern ein Buch mit Novellen. Aber gerade durch diese Verschiedenartigkeit der Themen ist der Gesamtabend ungemein ausgewogen – auch daran erkennt man, was für ein genialer Dramaturg Puccini war. Er ordnete die Stücke so, dass ein logischer dramaturgischer Bogen entstand: Wir haben zuerst das dramatisch-tragische Stück, dann das lyrisch-tragische und zuletzt das komische. Puccini wusste, dass man mit der Tragödie anfangen muss und mit der Komödie enden. Diese dramaturgischen Grundsätze kennen wir seit dem griechischen Theater und gerade aufgrund dieser tragfähigen klassischen Dramaturgie halte ich es für vollkommen falsch, die Reihenfolge der Stücke zu ändern. Suor Angelica muss in der Mitte stehen. Denn der Abend entspricht einem Triptychon in einer Kirche – und da ist das Madonnengemälde eben in der Mitte. Ich finde auch, dass man die Stücke nur in diesem Zusammenhang spielen soll und nicht herausgelöst oder in anderen Kombinationen, denn nur so wie Puccini sie erdacht und komponiert hat, können sie ihre volle Wirkung entfalten.

Wenn Sie die drei Teile im Überblick betrachten: Erkennen Sie eine musikalische Klammer, die sie miteinander verbindet?

PJ Nein, musikalisch sind es für mich drei unterschiedliche, ganz eigenständige Stücke. Eine entsprechende Verbindung sehe ich nicht. Es handelt sich vielmehr um ein Bukett verschiedener Opern, mit jeweils eigenen, zum Teil höchst unterschiedlichen Aussagen, Emotionen und eigener Musik.

Mehr als 25 Jahre vor dem Trittico kamen die berühmten Einakter Cavalleria rusticana und Pagliacci heraus – Werke, die eine neue Zeit einläuteten. Liegen die drei Stücke, über die wir heute sprechen, noch im Einflussgebiet von Cavalleria rusticana und Pagliacci?

PJ Durchaus, aber in dieser Epoche waren Einakter an sich enorm beliebt. Denken Sie nur an Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg, Ravels Lʼheure espagnole und Lʼenfant et les sortilèges, Alexander Zemlinskys Der Zwerg oder Die florentinische Tragödie oder Arnold Schönbergs Von heute auf morgen. Nicht zu vergessen natürlich Salome und Elektra von Richard Strauss. Das Konzept einer Kurzoper lag also durchaus in der Zeit und Puccini hat damit experimentiert. Doch statt eine einzelne, nur in Kombination mit anderen Werken aufzuführende Oper zu schaffen, entwickelte er seine eigene Kurzopern-Kombination mit gleich drei Werken. 

Gerade in Il tabarro kommen Alltagsklänge, wie die von Ihnen angesprochenen Autohupen, zum Einsatz. Ist das als erweitertes Orchesterinstrumentarium zu verstehen? Oder ist es atmosphärische Zeichnung?

PJ Puccini schafft es immer unvergleichlich, durch Musik unmittelbar ein Kolorit zu erschaffen, eine ganz spezifische Atmosphäre. Das ist einmal in Tosca das Rom um 1800, wir finden in Madama Butterfly Annäherungen ans Japanische oder die Darstellung des amerikanischen Kolonialismus, oder aber es wird in der Bohème mithilfe vieler impressionistischer Farben ein musikalisches Bild von Paris gemalt. In Tabarro erleben wir ebenso ein Paris, wenn auch moderner, zeitgemäßer. Während ich in Bohème mehr Maurice Ravel höre, also farbigere, brillantere und letztlich auch charakteristischere Klänge, erinnert mich Tabarro stärker an Claude Debussy, die Situation wirkt dunkler, aber auch experimenteller. Dieses Düstere hat freilich seinen klangdramaturgischen Sinn; es spiegelt die schäbige Umgebung, die Kanalboot-Situation, die Armut wider.

Die angesprochene Drehorgel in Il tabarro klingt seltsam verstimmt und erinnert durchaus an jene in Strawinskis Petruschka.

PJ Das ist ein ganz klarer Hinweis auf Petruschka! Die eine Stimme ist einen Halbton höher als die andere, dadurch entsteht der Effekt des verstimmten Klangs. Das Ganze hat gerade auch dadurch eine unglaubliche atmosphärische Wirkung.

Gibt es so etwas wie eine musikalische Sympathiekundgebung Puccinis? Etwa im Falle von Il tabarro: Ist er auf der Seite des Liebespaares? Oder fühlt er mit dem alternden Michele? – Puccini war ja durchaus vom Älterwerden nicht angetan. Was lässt sich musikalisch argumentieren?

PJ Puccini war ein genialer Komponist und als solcher identifizierte er sich mit all seinen Figuren. Nicht anders als Wagner sich mit Isolde oder Richard Strauss sich mit der Feldmarschallin oder der Salome verbunden gefühlt hat: da ist immer etwas Persönliches drin. Also schwingt auch das Thema des Älterwerdens, das Puccini wohl beschäftigt hat, wie auch der Gedanke an die verlorene Jugend mit. Aber es gibt noch viel mehr und anderes in Il tabarro: das verorene Kind, die verpassten Chancen, die Illusionslosigkeit. Trotzdem scheint Michele sich anfangs fast mit seinem Schicksal abgefunden zu haben, die etwas jüngere Giorgetta hingegen schreit nach dem Leben. Und das hört man! Sie ist mit allem noch nicht fertig, es reicht noch nicht! Sie möchte ausbrechen, selbst wenn sie, obwohl mit Luigi bereits verabredet, Michele noch liebt. Luigi wiederum will ebenso aus allem heraus, doch ist ihm Giorgetta als Person egal, es könnte jede beliebige Frau sein. Wie Puccini diese Vielschichtigkeit der Motivationen und Gefühle aufgespürt und dargestellt hat ist einfach überwältigend!

Wenn Tabarro das impressionistische, düstere Paris zeigt, wie ist Suor Angelica in seiner Klangsprache zu verorten?

PJ Wie schon gesagt ist ja das Besondere am Trittico, dass Puccini für jedes der Werke eine eigene Sprache findet. Suor Angelica hat vom ersten Takt an eine religiöse Sphäre, es ist fast so, dass der Komponist, wie Wagner im Parsifal, in eine Art Religionsmanie – ich denke hier an den übersteigerten Schluss – gerät. Musikalisch darf das Werk nicht nur »schön« sein, die Glocken etwa müssen, vergleichbar mit Berliozʼ Symphonie fantastique, auch etwas Gespenstisches haben. Das Kloster, dieser abgeschlossene Raum, birgt viel Leid, jede der Nonnen hat ihre eigene Geschichte, ihre eigene Last. Der Fokus liegt natürlich auf Angelica und ihrem tragischen Schicksal. Im Finale, im Tod, erlebt sie jedoch eine Verklärung, die unter anderem mit Kinder- und Damenchor, aber auch einem wie Erzengel hinzutretenden Herrenchor ausgestaltet ist. Es wird an dieser Stelle in der Musik eine unglaubliche Kraft spürbar, als ob sich das Tor zum Paradies öffnete.

Diese finale Verklärung: Muss man da als Dirigent noch einmal eins draufsetzen? Oder ist Sparsamkeit angesagt, da die Musik ohnedies schon viel aussagt?

Dieses Finale ist regelrecht gnadenlos in seiner Wirkung, vergleichbar mit dem Tod der Mimì in La bohème. Puccini weiß genau, wo man »draufdrücken« muss und auch wenn es einem als Dirigent vielleicht persönlich zu viel ist: Im Moment der Aufführung muss man daran glauben. Denn wenn man das nicht tut oder sogar peinlich berührt ist – dann sollte man diese Oper lieber lassen. Den mitunter getätigten Vorwurf, dass Suor Angelica Kitsch sei, weise ich jedoch ganz entschieden zurück! Dass das Religiöse hier besonders betont wird, muss man aus der Zeit verstehen, denken Sie zum Beispiel nur an das Requiem von Gabriel Fauré. Es war einfach eine Epoche, in der Religiosität oftmals eine Note von Weihrauch bekommen hat. Wobei man den Effekt der Szene nicht auch noch durch besonders expressives Spiel zu verstärken versuchen soll. Im Gegenteil! Man muss die Oper einfach geschehen lassen, der Musik den Raum geben und darauf vertrauen, dass sie von selbst schwingt und ja nicht sentimental werden! Suor Angelica ist ja letztendlich dann auch ein Vorläufer der Carmélites.

Welche Funktion hat die berühmte, sehr gesangliche kleine Arie der Lauretta O mio babbino caro, die inmitten einer parlandohaften, also dem Sprechen angenäherten Gesangsform, steht? Hat sie diese melodische Ausnahmeposition, weil Lauretta ihren Vater um den Finger wickeln will und die Rührseligkeit daher nicht ganz ernst zu nehmen ist? Steht sie gewissermaßen als Spiel im Spiel unter Anführungszeichen?

PJ im Gesamtzusammenhang kann sie tatsächlich fast merkwürdig wirken, fast wie ein Monolith, vor allem wenn man das Tempo unnatürlich langsam nimmt. Hält man sich aber an Puccinis Tempovorschriften, sticht sie nicht so heraus, sondern tut dem Stück gut, weil Gianni Schicchi sonst eher auf kleinteilige Motivik aufbaut und wenige typische Puccini-Melodien hat, wie man sie aus seinen früheren Werken kennt. Natürlich versucht Lauretta dabei, ihren Vater zu bezirzen. Wir könnten uns aber auch vorstellen, dass ein Kind unterwegs ist. Wenn man sich nun die damalige Situation lediger Mütter vorstellt, ist die Sache aber dann gar nicht mehr so lustig.

Welcher der drei Einakter ist für Sie als Dirigent, vom Handwerklichen her gesehen, das herausforderndste Stück?

PJ Das ist so einfach nicht zu sagen. Gianni Schicchi ist auf den ersten Blick handwerklich schwierig. Man muss das Stück sehr genau studieren, unglaublich gut kennen und es in den Proben sorgsam zusammenbauen. Bis die Ensembles gut laufen, braucht es seine Zeit. Aber wenn alles einmal eingerastet ist und sitzt, dann läuft es eigentlich wie ein Uhrwerk. Tabarro finde ich persönlich heikler. Das vorhin angesprochene Unstete des Wassers, dieses kontinuierliche Schwanken erfordert große Sicherheit und Gestaltungskraft und ein gutes Gefühl für das notwendige Rubato. In der Angelica wiederum gilt es die unterschiedlichen Szenen zu verbinden und die große Steigerung richtig zu gestalten.

Vor allem von Gianni Schicchi wird berichtet, dass Puccini diese Oper mit leichter Hand und vergleichbar wenig Mühen schrieb. Ist das in der Partitur spürbar?

PJ Das ist ja das Fantastische, wenn ein Komponist die nötige Erfahrung hat, die Inspiration, die Begeisterung und das Werkzeug. Es muss unglaublichen Spaß machen, wenn eines ganz mühelos zum anderen führt und man sich nicht wie Beethoven mit den Symphonien quälen muss, sondern die Einfälle wie von selbst kommen. Das leitet uns über zu Gustav Mahlers schönem Satz: »Nicht ich komponiere, sondern ich werde komponiert.« Es gibt also eine dem Werk innewohnende