Mimì ist Poesie
Saison 2024/2025 |
Sie sang im Haus am Ring Violetta, Adina und Manon – und kehrt nun als Mimì in La bohème zurück: Ailyn Pérez. Wie Puccini Mimì musikalisch charakterisiert, was man als Mimì-Sängerin braucht und warum ihr Bühnentod sie glücklich macht: das erzählte die Sopranistin im Interview.
Sie singen international zahlreiche Puccini-Rollen. Was macht ihn für Sie so besonders?
Puccinis Melodien können einen vom Hocker zu reißen: sie sind sehr melodienlastig, geheimnisvoll, sinnlich, verführerisch. Sie laden dazu ein, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, zu träumen. Ich würde nicht sagen, dass er ein »spiritueller« Komponist ist, nein, er ist ein zutiefst romantischer Musiker. Puccini lädt einen ein, die Leidenschaft zu verstehen. Seine Melodien haben etwas Sanftes und Einfaches – und sie können dennoch tough sein. Vielleicht sind es all diese Faktoren, die dazu führen, dass die Welt von Puccini so fasziniert ist und warum selbst Komponistinnen und Komponisten der Gegenwart noch von seinen Melodien beeinflusst werden.
Mimì in La bohème: Wer ist diese arme Näherin?
Sie ist das Mädchen im Alltag, das von allen immer übersehen wird. Nur bei Rodolfo wird sie sichtbar, da hören und erleben wir ihre innere Welt, erfahren ihre Gedanken. Das aber nur in den ruhigen Momenten, wenn die beiden zusammen sind. Musetta, das ist das Leben auf der Party! Sie ist der Gegensatz, der Kontrast! Mimì hingegen ist die Poesie. Und sie ist wie ein perfekter Sonnenaufgang, nicht umsonst spricht sie in ihrer Arie davon, dass der erste Kuss der Sonne im Frühling ihr gehört. Oder am Ende der Oper, wenn zurückkehrt und die Freunde begrüßt: Da hört man einen Akkord, der wie ein perfekter sonniger Tag in Wien klingt, ein wunderschöner Morgen nach einem strengen Winter. Dieser Moment – das ist Mimì!
Und wie beschreibt Puccini in seiner Musik den Charakter von Mimì?
Ihre Phrasen sind einfach, aber sehr subtil. Sie strahlt Wärme aus und Lyrik. Und sie muss etwas von einem Aufblühen haben, Mimì muss wie die Rose sein, über die sie singt. Es braucht einen schönen, berührenden und bisschen koketten Klang. Wichtig ist auch: es darf nicht zu schnell gehen! Mimì ist im Gegensatz zu Musetta eine, die es langsam angeht. Kurzum: Das Aufblühen ihres Klanges ist wie das allmähliche Aufblühen ihres Lebens und ihrer Liebe.
Was braucht eine Sängerin, um eine gute Mimì zu sein?
Um es wirklich gut zu machen, braucht es die oben angesprochene Ruhe. Und man muss auch als Schauspielerin sehr präzise sein. Es braucht weiters ein gutes Timing, darstellerisch wie musikalisch. Und es braucht Charme und eine wirklich frisch klingende Stimme.
Beim Tod von Mimì ist das Publikum stets tief ergriffen. Wie geht es Ihnen als Sängerin? Ist es einfach nur Schauspiel? Wie empfinden Sie den Bühnentod?
Das klingt jetzt komisch, aber in diesem Moment bin ich glücklich. Warum? Weil Mimì mit Rodolfo zusammen sein kann und sie ihm sagen kann: »Du bist meine Liebe... und mein ganzes Leben«. Sie ist gekommen, um ihm das zu sagen, damit er es weiß und keinerlei Zweifel hat: er ist die Liebe ihres Lebens. Diese Klarheit, dieses Eingeständnis ist letztlich ein großes Glück. Wir alle müssen uns ja die Frage stellen, was wir im Angesicht des Todes zu unseren Liebsten sagen werden? Und hoffentlich haben wir die Chance, überhaupt etwas zu sagen! Daher glaube ich, dass Mimì in diesem Augenblick glücklich ist, weil sie Rodolfo das Wichtigste noch mitteilen konnte. Es bleibt übrigens noch ein Mimì-Motiv im Orchester schweben: sie ist also noch da, ihr Geist bleibt bei uns. Vielleicht ist es ein Zeichen dafür, dass niemand jemals ganz verschwindet. Wir sterben, aber wir sind immer noch ein Teil des Lebens der Menschen. Wenn wir in der Erinnerung existieren und unsere Geschichte weitergetragen wird, leben wir weiter. Das ist ein Gedanke, den ich mag: als Musikerin – und als Mensch!