Macht, Intrigen und Emotionen: »L’incoronazione di Poppea«
Saison 2020/2021 |
Macht, Intrigen und Emotionen: Monteverdis L’incoronazione di Poppea
In Monteverdis Oper L’incoronazione di Poppea entfaltet sich ein sarkastisches Sittengemälde über Machthunger und Intrigen im 17. Jahrhundert. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Beziehungen und moralischen Verwerfungen der Figuren sowie die emotionale Tiefe der Musik, die die menschlichen Gefühle präzise einfängt.
Eine Intrige im 17. Jahrhundert
L’incoronazione di Poppea präsentiert sich als das House of Cards des 17. Jahrhunderts: ein sarkastisches Sittengemälde über den Aufstieg einer Frau zur Kaiserin. Die Protagonistin, Poppea, ist bereit, für ihre Karriere über Leichen zu gehen – und auch die anderen Figuren sind nicht besser: Kaiser Nero verstößt seine rechtmäßige Ehefrau Ottavia zugunsten Poppeas. Ottavia zwingt ihren Anhänger Ottone zu einem Mordanschlag, und Otton missbraucht die Liebe von Drusilla.
Am Ende gibt es einen Toten und viele gesellschaftlich Tote – Täter und noch mehr Opfer. Poppea und Nero erreichen schließlich ihr Ziel und werden das neue Kaiserpaar. Doch das kundige Publikum wusste bereits 1643, was in den nächsten „Staffeln“ zu erwarten wäre: Die schwangere Poppea stirbt nach einem Fußtritt Neros, und Nero zwingt einen Konsul zum Selbstmord, um dessen Witwe heiraten zu können.
Regellosigkeit der Erzählweise
Nicht nur das Geschehen selbst verstößt gegen jede Regel; auch die Erzählweise wirkt chaotisch wie in einem Shakespeare-Drama. Immer neue Figuren treten auf oder verschwinden, Sympathieträger erweisen sich als Verbrecher, und Übeltäter gewinnen die Gunst des Publikums. Nebenfiguren werden plötzlich zu Stars ihrer eigenen Episoden – ein Erzählstil, der uns heute aus Fernsehserien vertraut ist. Die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold bezeichnete die venezianische Oper des 17. Jahrhunderts als „Dramaturgie des Tollhauses“.
Emotionale Musikalität
Was die Musik betrifft, folgt sie jeder Emotion mit Präzision. Sie fängt die erotische Anziehung zwischen Nero und Poppea ebenso ein wie die Verlorenheit der verbannten Ottavia und die unerwiderte, dennoch unerschütterliche Liebe Drusillas. Selbst die faulen Kompromisse des Staatsphilosophen Seneca werden musikalisch erfasst. Monteverdis Spätwerk ist ein wahres Wunder: facettenreich, schmerzvoll präzise, unsentimental, unterhaltsam und emotional.