Koloraturwunder & Operntod
Saison 2024/2025 |
Wie ist es, wenn man ein weltweites Rollendebüt gibt, also eine Partie zum allerersten Mal vor Publikum singt? Ist man ein bisschen nervöser? Und muss man im Falle von Offenbachs Les Contes d’Hoffmann als Sängerin die dunkel-obskuren Welten der deutschen Romantik kennen? Fragen, denen sich die beiden Sopranistinnen Nicole Car und Serena Sáenz im Interview mit Oliver Láng stellen. Denn beide Sängerinnen geben bei der Wiederaufnahme von Les Contes d’Hoffmann am 13. Dezember wichtige Rollendebüts: Car als Antonia, Sáenz als Olympia und Giulietta. In Andrei Şerbans berückend-fantastischer Hoffmann- Inszenierung stehen sie nun erstmals gemeinsam auf der Staatsopernbühne.
Antonia, Olympia und Giulietta sind Rollendebüts für Sie. Wie nähern Sie sich einer solchen ganz neuen Partie an? Steht der Text am Anfang des Studiums? Eine CD-Aufnahme? Oder ist es gleich der Blick in die Noten?
Nicole Car Ich fange mit dem Text und mit der Handlung an. Ich möchte wissen, woher meine Figuren kommen, welche Reise sie antreten, wohin sie gehen. Diese Kenntnis ist für mich zentral, bevor ich mich musikalisch intensiv auf eine Rolle einlasse. Im Fall von Antonia: Für mich ist das eine fantastische Rolle, weil Französisch meine starke zweite Sprache ist. Daher verstehe ich die vielen Nuancen, die der Text enthält, genau und kann sie entsprechend herausarbeiten. Ein weiterer wichtiger Schritt im Studienprozess ist für mich, dass ich mir ältere Aufnahmen anhöre. Ich will wissen, was schon einmal gemacht wurde – und wie.
Serena Sáenz Bei mir findet der erste Zugang über die Musik statt: Ich höre mir ein bis zwei Aufnahmen, die ich besonders schätze, an, dann kommt der Griff zu den Noten – und parallel dazu studiere ich das Libretto. Erst dann beginne ich, mit einem Pianisten im Detail an der Rolle zu feilen. Das alles ist aber eine so schöne Arbeit, vor allem im Falle von Contes d’Hoffmann! Denn es handelt sich um eine meiner Lieblingsopern! Die Musik ist so toll! Ach, ich wäre so gerne ein Tenor, um die Titelrolle singen zu können! (lacht)
Olympia ist bekanntlich ein Automat. Insofern muss man das im Theater üblicherweise Unumgängliche, nämlich eine Figur mit Leben zu erfüllen, in diesem Fall hintanstellen.
s Das stimmt. Daher finde ich es sehr passend, wenn man hinter die Figur eine kleine »Choreographie« legt, die das Technische sogar noch hervorhebt. Denn Olympia ist eben ein Roboter und kein Mensch, eine zu persönliche Bewegungssprache würde das verunklaren. Musikalisch hat die berühmte Arie ja auch etwas ungemein Technisches, Mathematisches. Offenbach wollte hier ein Koloraturjuwel, wollte die stimmliche Brillanz auf die Spitze treiben und die Aura des Unmöglichen erzeugen, im Sinne von: Nur ein Automat kann solche Töne erzeugen! Abgesehen davon: Wenn es für mich hier sehr klare szenische Strukturelemente gibt, an denen ich mich orientieren und sogar anhalten kann, hilft mir das beim Gesang. Denn in der Arie hat man stimmlich wirklich genug zu tun!
Die dritte große Frauenrolle ist Antonia, eine Künstlerin. Das ergibt eine spannende Dopplung: Eine Sängerin stellt eine Sängerin dar.
c Und das macht das Ganze so interessant! Wir haben hier mehr als nur eine unerfüllte Liebesgeschichte, es gibt viele weitere Ebenen: Antonia darf nicht singen, weil sie am Gesang stirbt. Das bedeutet, dass sie die ganze Zeit gegen etwas kämpft, das sie liebt und das ihr ein Bedürfnis ist. Wenn sie der Sehnsucht aber nachgibt, bedeutet es ihr Ende. Es geht also buchstäblich um Leben und Tod. Hier treffen sich Surrealismus, Fantasie und harter Realismus in einer bemerkenswerten Mischung. Aber es ist mehr als in vielen anderen Opern. Denn im übertragenen Sinn geht es bei uns Sängern und Sängerinnen auch immer um die Existenz. Nicht um die physische, aber um jene als Künstlerin. Denn an zwei winzig kleinen Muskeln, den Stimmmuskeln, hängt unser künstlerisches Dasein, und das ist mehr als nur ein berufliches. Ich glaube, bei uns allen schwingt immer eine Angst mit, dass eines Tages diese Muskeln nicht funktionieren könnten. Schon bei der ersten Zeile, die Antonia singt, erschöpft sie sich – und dennoch macht sie weiter. Damit ist sie aber auch das Bild der sich für ihren Beruf aufopfernden Sängerin, eine, die nicht anders kann, die berufen ist. Obwohl sie weiß, was vernünftig wäre, kann sie sich einfach nicht helfen und muss singen – und daher sterben.
Antonia geht an der Kunst zugrunde. Das kann man – wenn auch weniger drastisch und allgemeiner betrachtet – als Bild für die Überforderung durch das Unbedingte in der Kunst lesen. Muss man sich selbst Grenzen setzen, um nicht an der Intensität zu verglühen?
s Ich würde sagen, es ist wie beim Kochen. Wenn man von einer Zutat zu viel nimmt, bekommt man Bauchschmerzen. Genau wie im Leben, genau wie in der Kunst. Wenn wir uns zu viel und einseitig nur mit den Bühnenfiguren, deren Fragen und Philosophien auseinandersetzen, verlieren wir den Sinn für die Realität. Wenn also eine Person immer nur auf der Suche nach einem Mehr ist, sich immer noch tiefer in die Bühnenwelt versenken will und einen Sinn sucht, den sie im echten Leben vermisst, dann ist es einerseits wunderbar. Aber: Man kann nicht sein ganzes Leben wie auf einem LSD-Trip sein, sonst verliert man den Kontakt zur Realität. Daher: Intensives Theaterleben: ja! Aber in Maßen. Und nie vergessen, ins echte Leben zurückzukehren. Und das jeden Tag!
c Das betrifft das Thema seelische Gesundheit – und das ist eine ganz wichtige Frage auch in unserem Beruf. Für jede von uns gibt es Zeiten, in denen sehr viel, manchmal zu viel, zu tun ist. In solchen Fällen muss man sich auf das Wesentliche besinnen. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass Künstlerinnen nicht nur ein Projekt haben, sondern gleichzeitig in unterschiedlichen Zeitzonen leben: Während man aktuell eine Opernproduktion macht, bereitet man ein oder zwei weitere vor und redet über zusätzliche Projekte in der Zukunft. Da ist es klar, dass sich Künstler mitunter überfordert fühlen. Das war wahrscheinlich schon immer so, nur wurde früher nicht oder wenig darüber gesprochen. Glücklicherweise ist es heutzutage zum Thema geworden. Wir können also über Strategien sprechen und darüber, wie man mit dem Druck umgeht. Oder auch zugeben, dass wir mitunter ängstlich sind. Vergessen wir nicht, was alles in der Aufführungssituation durch unseren Körper schießt und unsere mentale Gesundheit beeinflusst: Adrenalin, Dopamin, und so weiter. Das Wichtigste ist, sich immer zu erden.
Das bedeutet in Ihrem Fall?
c Ganz einfache Dinge. Ich gehe zum Beispiel mit dem Hund spazieren, habe zwischendurch Kopfhörer auf und höre keine Opern, sondern einen Podcast oder etwas anderes, um den Berufsalltag auszublenden. Ich meditiere. Und ich weiß, dass ich am Ende des Tages zu meinem Kind und meinem Mann nach Hause komme… Es ist wichtig, mich immer an eines zu erinnern: Ja, ich bin Künstlerin! Aber das ist nicht das Einzige, das mich ausmacht.
s Mir hilft da meine Familie sehr! Sie behandeln mich nicht à la »Oh, eine Opernsängerin«, sondern einfach als Serena. Das hilft sehr! (lacht) Ich höre dann Dinge, wie: »Hast du schon das Geschirr abgewaschen?« Also, ganz normales Alltagsleben mit all den Routinen, die jede von uns betreffen. Es ist mitunter schön, ans Kochen, Abwaschen und das Waschmaschine-Einräumen zu denken und nicht an eine Opernrolle oder den nächsten Auftritt. Viele sehen ja nur die außergewöhnliche Seite des Sängerinnenlebens und denken, dass bei uns alles außergewöhnlich ist. Aber das ist es nicht! Vieles ist komplett alltäglich. Und ganz ehrlich: Ich mag es, eine ganz normale Person zu sein.