Kaufmann singt Canio
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Kalender von Opernfreunden sehen anders aus. Rot angestrichen sind nicht die Sonntage, sondern die Termine von Premieren, Wiederaufnahmen, Debüts und die Auftritte der Lieblingssängerinnen und Lieblingssänger. So sind etwa die Abende mit Jonas Kaufmann besonders markiert – vor allem auch, wenn er in einem Opernhaus eine Rolle zum ersten Mal singt. Im Falle der Wiener Staatsoper: der 12. Jänner, Canio in Pagliacci.
In Hinblick auf die Aufführungsserie gibt Jonas Kaufmann ein paar Einblicke in seine Sicht auf die Figur und seinen musikalischen Zugang.
Ihre letzten beiden Rollen an der Staatsoper waren Calaf und Otello. In welchem Maße unterscheiden sich diese beiden Partien vom Leoncavallo’schen Verismo?
Jonas Kaufmann: All diese Rollen sind hochemotional. Doch was die Gefahr für den Sänger betrifft, von seinen Emotionen davongetragen zu werden, ist der Canio dem Otello vielleicht ähnlicher. Zwar ist es rein quantitativ keine schwere Partie mit vielen Spitzentönen, doch diese Rage, diese rasende Eifersucht des Canio kann einen Darsteller sehr schnell in sängerisch gefährliche Fahrwasser treiben.
Was ist das Fordernde, das Herausfordernde am Canio?
Die Verbindung von bitterer Ironie, Bissigkeit und Brutalität mit dieser Fragilität in »Vesti la giubba«. Das eröffnet dem Sänger ein weites Feld an stimmlicher und szenischer Interpretation.
Kann man aus der differenzierten Zeichnung einer Figur »aus dem Volk« Rückschlüsse auf das Menschenbild des Komponisten ziehen?
Es ist sehr interessant, wie nobel und vornehm Leoncavallo, der ja im privaten Leben ein aus heutiger Sicht eher kommunistisches Gedankengut pflegte, diesen einfachen Mann, diesen Direktor einer ärmlichen Zirkustruppe, musikalisch gestaltet hat. Letztlich charakterisiert das auch den Unterschied zwischen Italien und Frankreich. In Frankreich war das Noble und Edle der Aristokratie vorbehalten. In Italien wurde man immer unterdrückt, ob von den Österreichern, Franzosen oder Spaniern – wer auch immer dort geherrscht hat, es gab keinen Ehrenkodex von oben, der wurde vom einfachen Volk gepflegt. Vor diesem Hintergrund sehe ich das Noble und »Ehrenhafte« im Text und vor allem in der Musik des Canio.
Canio ist kein Langlauf, sondern ein Sprint. Was ist Ihnen als Sänger lieber? Kurz und heftig wie Canio oder eine über einen ganzen Abend gehende Partie?
Auch wenn es nicht die längste Partie ist, so muss man auch hier seine Kräfte bündeln und einteilen. Nachdem ich vor zehn Jahren in Salzburg Turiddu und Canio an gleichen Abend gesungen haben, freue ich mich sehr, jetzt meine ganze Energie auf den Canio zu konzentrieren und aus dem Vollen schöpfen zu können. Für meine Begriffe ist es für einen Sänger oft schwierig, lange Pausen zu überbrücken und energetisch und stimmlich auf demselben Level von Konzentration und Intensität zu bleiben. Da muss man manche Partien fast so angehen, als würde man einzelne Opern hintereinander singen. Das ist beim Canio sicher nicht der Fall, auch wenn man in der Mitte der Oper ein ganzes Stück Pause hat.
Freut man sich auf Arien wie »Vesti la giubba« so wie das Publikum? Oder sind gerade diese großen »Schlager« besonders herausfordernd, weil sie eben so bekannt sind?
Solche »Schlager« sind natürlich nicht ohne Grund so berühmt, und die Schönheit und Ausdrucksstärke dieser Musik erschließt sich dem Sänger genauso wie dem Publikum; dementsprechend freue ich mich jedes Mal ganz besonders auf diese Gänsehaut-Momente.