Im Machtspiel der Männer gefangen

Saison 2024/2025 |

Elīna Garanča über die Figur der Eboli in »Don Carlo«.

Nach zahl­reichen maß­stab­set­zen­den Rollen­porträts an der Wiener Staatsoper – zuletzt u.a. als Amneris und Kundry – wird KS Elīna Garanča im März erstmals auch im Haus am Ring die Partie der Eboli in Don Carlo verkörpern. Eine Rolle, mit der sie erstmals 2017 (in der französischen Version) in Paris vor das Publikum trat – um einmal mehr einen Triumph zu feiern.

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Eboli würde ich als »Charaktervollpaket« bezeichnen – eine von Anfang an in höchstem Grade vielschichtige und alles andere als oberflächliche Frau. Das merkt man schon in ihrer Auftrittsszene, der Interaktion mit den Hofdamen: Die Art, in der sie sich über gewisse Dinge lustig macht, ja, sogar die anderen insgeheim auslacht, weil sie sich in ihrer eigenen, ihr gesellschaftlich zugewiesenen Rolle langweilt, zeigt, wie sehr Eboli sich von all den anderen Hofschranzen unterscheidet. Noch deutlicher wird dies in ihrer ersten gemeinsamen Szene mit Posa, wo spürbar zwei starke, höchst interessante, vieldimensionale Persönlichkeiten aufeinandertreffen. Nicht umsonst empfand ich die Eboli und vergleichbare Partien wie Amneris, Santuzza, Dalila oder Kundry schon am Beginn meiner Karriere als Traumrollen, die ich eines Tages unbedingt machen wollte. Diesen Punkt in meiner Karriere nun erreicht zu haben, bedeutet für mich die Erfüllung eben dieser Träume und ich freue mich, sie in den nächsten 10 bis 15 Jahren in ihrer ganzen Tiefe zum Ausdruck bringen zu dürfen.

Natürlich habe ich mich beim Rollenstudium der Eboli auch intensiv mit der Vorlage, Schillers Don Karlos, auseinandergesetzt. Aber wie man so schön sagt: Wo die Worte enden, beginnt die Musik. Ich finde, dass Verdi in seiner Oper ein sogar noch vollständigeres Bild des Dramas zeichnet, als dies schon im Schauspiel der Fall ist. Nicht umsonst ist Verdi für mich einer der größten, wenn nicht der beste Dramaturg der Musikgeschichte. 

Dazu kommt für mich die Faszination, Aspekte in Charakteren zu erspüren, die nicht explizit ausgeschrieben sind, sondern für die Interpretation mitgedacht werden müssen: Wie eine Figur beispielsweise den anderen zuhört, wie sie auf das, was sie erlebt, reagiert usw. Gerade bei Verdi sind es ja oft die Mezzosoprane, die die eigentliche Entwicklung durchmachen. Sopranpartien tendieren dazu, eine relativ stringente Charakterzeichnung aufzuweisen: sie werden zwar durch verschiedene Situationen erschüttert, aber eine wirklich tiefgreifende Wandlung ihrer Persönlichkeit oder ein dramatischer Zusammenbruch, wie man ihn etwa bei der Violetta in der Traviata sieht, sind seltener. Eboli hingegen durchlebt im Laufe der Handlung den wahrscheinlich größten emotionalen Reifungsprozess aller Akteure in dieser Oper. Vergleichbar mit Amneris in der Aida.

Vokal freilich ähneln sich bei Verdi die Mezzo- und Sopranpartien sehr häufig. Daher spielt die Orchestrierung eine große Rolle – besonders die tieferen Streicher und die Begleitung, die den Mezzosopran umgeben. Wenn man sich Ebolis erste Arie anschaut, ist sie eigentlich sehr sopranhaft geschrieben – mit Koloraturen, die für eine Mezzosopranistin eine echte Herausforderung darstellen. Und auch in ihrer dramatischen Funktion ähneln sich die Arien von Eboli und Elisabeth. Aber durch die Orchestrierung erscheint Ebolis Musik oft tiefer, geheimnisvoller oder gefährlicher. Davon unabhängig verlangt Verdi generell eine gute Gesangstechnik, insbesondere die Beherrschung des Belcanto. Ich würde nicht sagen, dass man für die beiden Eboli-Arien zwei völlig unterschiedliche Stimmen braucht, aber definitiv unterschiedliche stimmliche Ansätze. Der zweiten Arie kommt zugute, dass sie am Ende der Oper drankommt, wenn die Stimme bereits gut eingesungen ist und sich über den Abend hinweg entfalten konnte. Anders bei der ersten: Da hat die Sängerin gleich beim Betreten der Bühne größte Virtuosität an den Tag zu legen. Deshalb muss die Stimme bereits vorher mindestens 15 Minuten intensiv aufgewärmt werden, damit sie gut vorbereitet und klanglich optimal ist. Das ist übrigens eine typische Herausforderung in Verdi-Opern – denken wir nur an Radames in Aida, dessen wichtigste Arie ebenfalls gleich zu Beginn der Oper gesungen wird.

Echte Liebe?

Was Ebolis Verhältnis zu Carlo betrifft, wird oft die Frage gestellt, ob sie ihn tatsächlich liebt. Meine Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Ob sie wirklich von einer ernsthaften Liebesbeziehung mit Carlo träumt oder gar von einer Ehe, die sie zur Königin gemacht hätte, bleibt in der Oper letztlich offen und kann von der Inszenierung beantwortet werden. In der französischen Fassung hat Eboli allerdings eine zusätzliche kleine Arie, die darauf hindeuten könnte, dass es für sie in diesem Moment tatsächlich nur um eine Liebelei geht: sei es für einen kurzen Augenblick der Schwärmerei oder als eine Art Machtspiel.

Eines ist jedoch sicher: In dem Moment, in dem jemand liebt, sei es eine flüchtige Leidenschaft oder ein von starken Emotionen getriebener Zustand, setzt das klare Denkvermögen und die Fähigkeit, eine Situation und deren Auswirkungen einzuschätzen, aus. Und ich glaube, dass Eboli zumindest in dem Moment, in dem sie Carlo im Geheimen trifft, zumindest glaubt, Carlo zu lieben. Ihre rabiate Reaktion auf die unerwartete Zurückweisung durch Carlo zeugt jedenfalls von verletzter Eitelkeit und noch mehr von tiefer Enttäuschung, die sie in eine blinde Rache treibt. Ihr Schmerz und ihr verletzter Stolz verwandeln sich in zerstörerische Wut, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass ihre Gefühle für Carlo von Anfang an unecht oder nur eitel waren. Vielmehr zeigt es, wie eng Liebe und Verletzung, Leidenschaft und Rache bei Eboli miteinander verknüpft sind.

In Verdis Opern gibt es nun einmal nicht nur »gute« oder idealisierte Figuren. Jeder Charakter ist geprägt von seinen Interessen, seinen Verpflichtungen und den Erwartungen der Gesellschaft sowie von persönlichen Motiven, die oft durch Patriotismus, dem Hang zur Pflichterfüllung und der Liebe zu einem anderen Menschen in einen inneren Konflikt geführt werden. Selbst Posa ist für mich keine reine Idealfigur. Jeder in dieser Geschichte muss ums eigene Überleben kämpfen, sein Schicksal in einem Umfeld voller Intrigen meistern. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Nicht selten werden Menschen von anderen geopfert, die selbst ums Überleben kämpften.

Reduziert auf ihre Schönheit

Davon unabhängig versuche ich immer, auch in scheinbar »bösen« Charakteren etwas Gutes zu sehen. Eboli wächst in einer Welt auf, die von Männern dominiert wird. Vielleicht hat sie gelernt, deren Spiel mitzuspielen, um nicht »nur« als Frau gesehen zu werden, sondern als handelnde Person mit eigenen Ambitionen. Vielleicht hat sie in Carlo tatsächlich nicht nur eine romantische Hoffnung gesehen, sondern auch die Chance auf ein Leben mit mehr Bedeutung und Einfluss, eine Existenz, die über die eines bloßen Hofdaseins hinausging.

Ich denke, das eigentliche Problem liegt in der Gesellschaft, in der sie lebt. In einer Welt, in der Frauen vor allem nach ihrem Äußeren beurteilt werden und nicht nach ihren Fähigkeiten, hat Eboli vermutlich gelernt, ihre Schönheit als Waffe einzusetzen. Doch gleichzeitig ist sie eine intelligente, scharfsinnige Frau, die das Machtspiel der Männer durchschaut und selbst mitspielt. Ihre Verzweiflung rührt nicht nur daher, dass sie zurückgewiesen wird. Vielleicht erkennt sie in diesem Moment, wie sehr sie letztlich doch auf ihr Äußeres reduziert bleibt, und trotz all ihrer Fähigkeiten und Ambitionen nie über das hinauskommt, was die Gesellschaft in ihr sehen will. Ihre Schönheit ist für sie also weniger ein Privileg als eine Bürde, weil sie die anderen daran hindert, sie als jene außergewöhnliche Frau wahrzunehmen, die sie in Wirklichkeit ist. In diesem Licht muss man ihre vielschichtige Beziehung zur Königin sehen. Viele fragen sich, wie es zu diesem Umschlag in ihrem Verhältnis kommen kann: Zuerst verrät Eboli Elisabeth niederträchtig und bereut dann aus tiefstem Herzen. Warum diese plötzlichen Gewissensbisse, diese fast schwesterliche Zuneigung zur Königin?

Nun, Eboli versteht, wie gesagt, genau, wie die Männerwelt funktioniert, und sie weiß, wie sehr es in ihrem Umfeld ums Überleben geht, darum, mit den richtigen Menschen gut zu stehen und Einfluss zu wahren. Ihre Frustration wird auch von der Tatsache genährt, trotz ihrer Intelligenz und Fähigkeiten letztlich auf das, was unter ihrem Rock ist, reduziert zu werden. Man sagt, die Königin und Eboli hätten ein gutes Verhältnis zueinander gehabt und ein gewisses Mitgefühl füreinander empfunden. Beide sind auf ihre Weise gefangen: Elisabeth wurde zwangsverheiratet und auf eine repräsentative Rolle reduziert, während Eboli zwar klug und einflussreich ist, aber nie offiziell anerkannt oder ernst genommen wird. Diese geteilte Frustration könnte eine tiefe Empathie zwischen ihnen geschaffen haben. Eboli mag gewusst haben, dass sie selbst nie Königin sein kann. Aber sie wollte vielleicht mehr sein als nur eine schöne Frau am Hof, sie wollte eine Rolle spielen, Einfluss haben, etwas bewirken. Ihre »Waffen« als Frau, ihre Schönheit, ihr Charme, ihr Verstand, hätte sie einsetzen können, nicht nur für sich selbst, sondern auch, um tatsächlich von Nutzen zu sein. Darum der Verrat. Doch letztlich erkennt sie, wie sehr sie mit ihrem Tun lediglich einer Schicksalsgenossin geschadet hat.