Endlich wieder zurück: »Norma«
Saison 2024/2025 |
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Bellinis Oper Norma enthält einige der schönsten Melodien der Operngeschichte: das berühmte Gebet »Casta diva«, den betörenden Verführungsgesang »Vieni in Roma…« des römischen Prokonsuls Pollione sowie die eindrucksvollen Duette zwischen der Oberpriesterin Norma und der Novizin Adalgisa.
Diese musikalischen Höhepunkte sind eingebettet in eine vielschichtige, kontrastreiche Partitur. Sie reicht von der leidenschaftlichen Ouvertüre über geheimnisvolle, nächtliche Klangbilder bis hin zu mitreißenden Chorszenen und hochdramatischen Ensemblemomenten. Besonders beeindruckend ist die große Schlusssteigerung: Normas ergreifendes Flehen an ihren Vater vereint alle Stimmen zu einem musikalischen Höhepunkt.
Für Norma arbeitete Bellini erneut mit seinem bevorzugten Librettisten Felice Romani zusammen, dessen elegante und ausdrucksstarke Verse ihn berühmt machten. Die Oper wurde speziell für die gefeierte Tragödin Giuditta Pasta komponiert. Sie galt als herausragende Schauspielerin mit einer außergewöhnlich wandlungsfähigen Stimme. Als literarische Vorlage diente die gleichnamige Tragödie von Alexandre Soumet, die kurz zuvor in Paris uraufgeführt worden war.
Bellini selbst war überzeugt von seinem Werk und schrieb an Pasta: »Ich hoffe, dass dieses Sujet Ihnen gefällt – Romani hält es für sehr wirkungsvoll und passend zu Ihrem außergewöhnlichen Talent.«
Inhalt der Oper
Norma, das ist eine gallische Druidenpriesterin, die sich ihrer Frieden gebietenden Göttin des Mondes und der Fruchtbarkeit verpflichtet weiß. Sie weigert sich, den kriegshungrigen Galliern das Signal zum Aufstand gegen die römische Fremdherrschaft zu geben. Die beiden Kinder, die sie in heimlicher Ehe mit dem Römer Pollione geboren hat und vor ihren Landsleuten verborgen hält, sind nach ihrem matriarchalen Verständnis kein Verstoß gegen ein patriarchal verhängtes Keuschheitsgelübde: Sie sind Manifestationen ihrer spirituellen Potenz.
Als Pollione sie mit einer jüngeren Frau zu betrügen versucht, droht ihre Existenz zu zerbrechen. Doch sie überwindet die Versuchung, ihre Kinder zu töten und ihre Rivalin zu strafen und rettet ihnen schließlich durch ihre Selbstanzeige das Leben. Oroveso, der Vater Normas, entlässt uns mit der Hoffnung, das Flehen seiner Tochter um Schutz und Pflege ihrer Kinder könnte nicht umsonst gewesen sein.
Bellini: ein Reformator
Bereits mit seiner dritten, an der Mailänder Scala gegebenen Oper Il pirata (1827) hatte sich Vincenzo Bellini als 26-Jähriger den Ruf eines Reformators der italienischen Opernbühne erworben. Ihm gelang es, noch vor dem etwas älteren Donizetti, das Diktat des Rossiniʼschen Klassizismus zu durchbrechen und für seine Generation neue, romantische Ausdrucksbereiche des melodramma zu erschließen.
Das Schaffen dieses Komponisten rückt seit einigen Dekaden mehr und mehr in den Fokus einer sowohl von der Theaterpraxis als auch von der Musikwissenschaft vorangetriebenen Neubewertung. Denn obwohl drei seiner insgesamt zehn Opern, La sonnambula und Norma (beide 1831) und I puritani (1835) sich seit ihren Uraufführungen ununterbrochen im Repertoire der Opernhäuser halten konnten, erkannte man in Bellini lange nur den großen Melodiker, der »solche Melodien gehabt, wie sie schöner nicht geträumt werden können« (Richard Wagner). Heute wissen wir, dass der vermeintliche »lirico puro« derjenige ist, der in der Geschichte der italienischen Oper als erster nach Monteverdi wieder eine Personalunion von Komponist und Dramatiker verkörpert hat.