Emotion, Leidenschaft & Verletzlichkeit
Saison 2024/2025 |
»Ein Beispiel für intelligentes Opernschauspiel« oder »Schöner, edler und ohne jede Spur von Effekthascherei kann man eine Santuzza kaum singen« – so schwärmten Kritiker nach Elīna Garančas Debüt als Santuzza an der Wiener Staatsoper im Jahr 2019. Fünf Jahre später kehrt die gefeierte Mezzosopranistin mit dieser Rolle zurück auf die Bühne der Staatsoper. Im Interview spricht sie darüber, ob die verratende Santuzza eher Täterin oder Opfer ist – und wie sich der intensive Verismo-Stil von einem Parsifal-Marathon unterscheidet.
Verismo-Opern sollen bewusst heftig aufwühlen. Wühlt ein solcher Abend Sie als Sängerin auf der Bühne auch auf? Oder halten Sie einen Sicherheitsabstand zwischen Rolle und persönlicher Empfindung ein?
Verismo zu interpretieren ist eine einzigartige Herausforderung, da er rohe Emotionen und unnachgiebige Intensität erfordert. Anders als die Pracht Wagner’scher Opern, die sich über mehrere Stunden erstrecken, komprimiert Cavalleria rusticana ihre Handlung auf nur 75 Minuten. Gerade diese Kürze macht die Erfahrung jedoch umso intensiver – ein Dauerlauf aus Emotion, Leidenschaft und Verletzlichkeit, gepackt in eine kurze, aber überwältigende musikalische Reise. Wie ein Regisseur es treffend formuliert hat: »Das wahre Gefühlsdrama muss vor den Augen des Zuschauers entfaltet werden.« Mascagnis Musik bereitet diese Intensität natürlich bereits durch die griffigen Themen und die ergreifenden Chöre vor. Dennoch erfordert es eine klare Strategie, um nicht nur bis zum Ende durchzuhalten, sondern eine stetige Steigerung der Intensität zu erreichen.
Cavalleria rusticana ist ein Einakter – das bedeutet, dass man seine gesamte Kraft in die genannten 75 Minuten packen muss. Braucht es eine andere (mentale) Vorbereitung als für einen mehrstündigen Opern-Dauerlauf à la Parsifal?
Die Aufführung dieser Oper fühlt sich an, als würde man einen Marathon in einer sehr, sehr kurzen Zeit laufen. Vom Moment an, in dem Santuzza die Bühne betritt, bis zu ihrem bedeutendsten musikalischen Höhepunkt verlässt sie sie nie. Über mehr als eine halbe Stunde hinweg gibt es einen unaufhörlichen und stetigen Aufbau – eine Zunahme von Verzweiflung, Wut und vokaler Intensität, besonders in der hohen Tessitura. Diese Rolle verlangt von einer Mezzo-sopranistin eine gewisse erdige, geerdete Qualität, aber auch die Kraft und Brillanz einer Sopranstimme. Es ist eine Rolle, die eine hervorragende körperliche Verfassung erfordert. Ich muss gut schlafen, mich gut ernähren und mich mental wie auch physisch vorbereiten, um meine Aufführung strategisch zu planen. Jede Bewegung auf der Bühne muss bewusst sein, und jede Note muss die Tiefe der Figur transportieren. Die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen ist ein zentraler Bestandteil dieses Prozesses. Ich nehme viel von ihnen auf und gebe genauso viel zurück. Ich habe das große Glück, an der Seite von Jonathan Tetelman aufzutreten. Wir sind nicht nur gute Kollegen, sondern auch gute Freunde, und dieses Vertrauen ist unbezahlbar – es macht den Unterschied. Und: Ich habe die Musik und die Rolle der Santuzza schon immer geliebt. Für mich hat diese Oper einen besonderen Platz in meinem Herzen. Es war meine Staatsopern-Debütproduktion im Jahr 2003, in der ich erstmals Lola gesungen habe. Jetzt zu dieser Oper zurückzukehren, Santuzza erneut zu verkörpern und in diesem Haus mit dieser Produktion aufzutreten, fühlt sich an wie ein Kreis, der sich schließt.
Ist die Liebe von Santuzza letztlich auch von Egoismus durchsetzt? Der in einer Zerstörungswut endet? Hat (fordernde) Liebe immer mit Egoismus zu tun?
Ich glaube nicht, dass Santuzza egoistisch ist. Sie legt an sich selbst einen sehr hohen moralischen Maßstab an. Dies zeigt sich besonders in ihrer Fähigkeit, klar zwischen richtig und falsch zu unterscheiden – eine Stärke, die sie wirklich auszeichnet. Ihre Kraft liegt ebenso in ihrem unerschütterlichen Engagement für Ehre und Integrität. Sie hält sich an Prinzipien, die weder impulsiv noch reaktionär sind, sondern tief in ihren Überzeugungen wurzeln. Dies ist besonders im Kontext von Beziehungen bedeutsam. Für Santuzza bedeutet es etwas Tiefgreifendes, sich jemandem zu verpflichten oder eine Beziehung einzugehen – ein Versprechen, das nicht nur zwischen zwei Menschen gemacht wird, sondern vor den Augen der Gesellschaft und vielleicht auch etwas Größerem. Für sie ist Liebe nicht nur ein Gefühl; sie ist ein Ausdruck von Reinheit, Ehrlichkeit und Hingabe. Wenn dieses Vertrauen gebrochen wird, geht es ihr nicht um Ego oder persönlichen Stolz – es geht um die Heiligkeit der Liebe selbst. Ihr Gefühl des Verrats entspringt einem zutiefst moralischen und spirituellen Ort, an dem die Ideale von Liebe und Treue von größter Bedeutung sind. Leider kann genau diese Reinheit und Stärke in der sozialen Konstellation, die sie umgibt, zu ihrer Verletzlichkeit werden. Ihre Prinzipien und ihre unerschütterliche Hingabe an das, was sie für richtig hält, können sie in einer Welt, die nicht immer dieselben Werte erwidert, manchmal schutzlos zurücklassen.
Ist Santuzza mehr Opfer oder Täterin?
Ich habe große Bewunderung für Santuzza, weil ich glaube, die Tiefe ihrer moralischen Haltung im Unterscheiden von richtig und falsch zu verstehen. Manchmal bedeutet solche Prinzipien zu wahren, auch gegen andere zu handeln – selbst, wenn das mit hohen persönlichen Kosten verbunden ist. Es erfordert den Mut, sich selbst ehrlich zu begegnen, am nächsten Tag in den Spiegel schauen zu können und zu wissen, dass man mit Integrität gehandelt hat. Darüber hinaus ist es eine Verantwortung, diese Werte an die Menschen weiterzugeben, die einen umgeben, insbesondere an diejenigen, mit denen man möglicherweise sein Leben in der Zukunft teilt. Santuzza verurteilt Turiddu nicht aus Egoismus oder Stolz, sondern weil ihre Verzweiflung sie zum Handeln zwingt. Ihr moralischer Kompass und ihre Emotionen prallen auf eine Weise aufeinander, die zutiefst menschlich und nachvollziehbar ist. In ihrem Duett mit Turiddu versucht sie auf jede erdenkliche Weise – sowohl als Frau als auch als Mensch –, sich Gehör zu verschaffen. Doch immer wieder wird sie zurückgewiesen und verleugnet, wie eine Fliege, die vergeblich gegen eine Glühbirne schlägt. Aus dieser Verzweiflung heraus entweichen schließlich die Worte ihren Lippen – nicht, weil sie geplant hatte, sie zu sagen, oder weil sie sie wirklich so meinte.
Der Verismo wollte das »echte« Leben ungeschminkt darstellen. Verstehen und spielen Sie die Santuzza aus einer Verdichtung des Alltags heraus?
Was mich am meisten begeistert, ist, die Erfahrungen, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe – durch das Lernen aus verschiedenen Produktionen, von Kollegen und dem Leben selbst – in diese Aufführung einfließen zu lassen. Mein Ziel ist es, das Publikum tief zu berühren, es mit der Musik, dem Drama und der rohen emotionalen und psychologischen Intensität von Santuzzas Geschichte in ihre Welt zu entführen. Durch den Verismo wird die Erzählung nicht nur glaubhaft, sondern für die Zuschauer zutiefst real.