Ein Künstlerdrama & eine Charakter-Tragödie
Saison 2024/2025 |
Gegensätzliche Zeitgenossen: Strauss und Pfitzner
So pragmatisch, nüchtern, unverkrampft, wenn er wollte, durchaus auch leutselig, zwar gelegentlich derb, aber dann doch wieder versöhnlich Richard Strauss war, so pingelig, kleinkariert, unnachgiebig, unsympathisch, unflexibel, verzagt-frustriert wirkte Hans Pfitzner. Auch sein spätromantisches Bild eines messianischen Künstlertums, das seine Inspiration von höchster Stelle empfängt, verströmte etwas sonderbar Zwänglerisch-Überholtes. Die beiden Zeitgenossen hätten nicht gegensätzlicher sein können.
Pfitzners anfänglicher Erfolg und der Wendepunkt
Zunächst schien er, der fünf Jahre Jüngere, was Ansehen und Einfluss betrifft, den Konkurrenten Strauss klar zu überflügeln, galt als Frontmann der musikalischen Elite. Dass er am Beginn des 20. Jahrhunderts zeitweise zugleich Direktor der Straßburger Oper und des dortigen städtischen Konservatoriums war, dass Gustav Mahler seine Oper Die Rose vom Liebesgarten bereits 1905 an der Wiener Hofoper nicht nur auf den Spielplan setzte, sondern auch persönlich dirigierte, zeigt beispielhaft die besondere Reputation, die Pfitzner damals genoss. Doch das Blatt wendete sich – Strauss’ Stern begann immer heller zu leuchten, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verlor Pfitzner zudem seine Straßburger Leitungsfunktionen, und die Entwicklung der Musik zog klar an ihm vorbei. Es mag also durchaus sein, dass seine Frustration zumindest teilweise biographisch begründbar ist. Doch seine krakeelenden und antisemitischen Ausritte gegen die Moderne, seine Anbiederung an die Nationalsozialisten (die ihn allerdings weit weniger förderten, als er gehofft hatte) und der obskure zusätzliche Rechtsruck nach 1945 – inklusive die offen zur Schau gestellte Verbundenheit mit Hans Frank, dem nationalsozialistischen »Schlächter von Polen«, können nicht einfach durch persönliche Enttäuschungen erklärt und kleingeredet werden.
Schutz durch Bewunderer und das Erbe von Palestrina
Trotzdem nahmen ihn aufgrund seines Werkes viele – selbst ein Arnold Schönberg, der von Pfitzner wüstest angegriffen worden war – später in Schutz. Nicht zuletzt umfasst die Schar der Bewunderer von Pfitzners zentralem Werk Palestrina so illustre Namen wie den schon erwähnten Gustav Mahler und Arnold Schönberg, aber genauso Größen wie Thomas Mann, Bruno Walter, Dietrich Fischer-Dieskau, Hans Hotter, Christian Thielemann. Uraufführungsdirigent Bruno Walter sprach buchstäblich von einem »Gipfel im musikalischen Schaffen unserer Epoche«. Dass diese Oper mittlerweile weltweit dennoch so selten auf den Spielplänen zu finden ist, hat mit den Besetzungs- respektive Dispositionsherausforderungen zu tun: Ein gut vierstündiges Werk mit 39 (!) solistischen Rollen plus Chor und großem Orchester muss erst einmal in den alltäglichen Probenprozess eingepasst werden. Auch diesbezüglich zeigt sich die Praxisferne Pfitzners, die dem Fortleben der eigenen Schöpfungen im Wege steht.
Palestrina: Die Legende der künstlerischen Inspiration
Die Handlung selbst passt zum erwähnten hochromantischen Weltverständnis des Komponisten – der in diesem Fall auch sein eigener Textdichter war: Zentrales Thema ist das Mysterium der künstlerischen Inspiration. Als Voraussetzung für diese wird hier der Rückzug des kreativ Tätigen in seine eigene innere Welt beschrieben, die im scharfen Gegensatz zum lauten Getriebe der äußeren Wirklichkeit steht. Erzählt wird vor dem Hintergrund des Tridentinischen Konzils die Legende des Renaissancekomponisten Giovanni Pierluigi Palestrina (das Palestrina weist auf die Herkunft aus dem gleichnamigen italienischen Städtchen hin), der, wenn auch unter fremden Zwang, in einer schöpferischen Ekstase jenes Meisterwerk schafft (die hier nicht namentlich erwähnte Missa Papae Marcelli), mit dem er eine ganze Musiktradition vor dem Untergang bewahrt. Historisch gesehen darf man nur wenig für bare Münze nehmen, denn außer den handelnden Personen ist wenig tatsächlich so geschehen wie hier beschrieben – aber nicht von ungefähr nennt Pfitzner das Stück ja eine »Musikalische Legende«.
Kurzinhalt
Der Komponist Palestrina hat nach dem Tod seiner Frau jede Inspiration verloren und laut seinem Schüler Silla den Anschluss an die neue Musikrichtung aus Florenz verpasst. Kardinal Carlo Borromeo sucht ihn dennoch auf, um ihn mit einer Messkomposition zu beauftragen, die den Papst überzeugen soll, die Mehrstimmigkeit in der Kirche beizubehalten. Palestrina lehnt ab, doch eine nächtliche Vision verstorbener Komponisten und Engelsstimmen, darunter die seiner Frau, inspiriert ihn zur Komposition. Am Morgen findet sein Sohn Ighino die Notenblätter und nimmt sie an sich.
Beim Tridentiner Konzil geraten die Parteien erneut in Streit, und Borromeo vertröstet sie in Bezug auf die Messe. Um seinen Vater zu retten, der ins Gefängnis geworfen wurde, übergibt Ighino die Komposition dem Kollegium. Die Messe wird in der päpstlichen Kapelle aufgeführt und beeindruckt den Papst zutiefst. Palestrina wird freigelassen, und der Papst ehrt ihn persönlich. Am Ende bleibt Palestrina allein zurück und erkennt, dass sein Lebenswerk vollendet ist.