Ein Füllhorn an Einfällen
Saison 2024/2025 |

Il trovatore – oder Der Troubadour, wie die Oper hierzulande lange hieß –, war von Anfang an ein Erfolgskind. Im Gegensatz zu so manch anderem Verd’ischen Opus zeigte dieses Mittelstück der oft beschworenen trilogia popolare auch keinerlei Anlaufschwierigkeiten: die Uraufführung kam einem Triumph gleich und der Siegeszug des Werkes erreichte innerhalb kürzester Zeit auch die fernsten Bühnen – zum Beispiel Sydney und Melbourne.
Und bis heute zieht die Ankündigung Il trovatore in den internationalen Opernhäusern fast automatisch den Hinweis »Ausverkauft« nach sich. Kein Wunder, hat doch Verdi einen ungeheuren Reichtum an melodischen Einfällen wie aus einem Füllhorn über diese Oper ausgeschüttet und zugleich seine Meisterschaft als Schöpfer eindringlicher atmosphärische Stimmungen unter Beweis gestellt, mit denen er die Zuschauer innerhalb von Sekundenbruchteilen auf die jeweilige Situation einstimmt. Zu den wohl populärsten Bewunderern dieser Partitur zählte niemand Geringerer als Hugo von Hofmannsthal, der seine Euphorie nach einem Vorstellungsbesuch folgendermaßen zusammenfasste: »Welch meisterliches Werk, welch genaue und sublime Kenntnis des Theaters. Ein großartiges Libretto, voll Abenteuer, Ruhm, Todesnot und Liebe. Und über allem dieser Strom einer vollkommenen musikalischen Inspiration. Die Leute beweisen Geschmack, wenn sie diese Oper lieben.«

Ursprünglich war Verdi ja eine vollständig durchkomponierte Oper ohne »Kavatinen, Duetten, Terzetten, Chören und Finali« vorgeschwebt. Doch sein unvergleichlicher Theaterinstinkt ließ ihn sehr bald erkennen, dass der Plot und das Libretto einen ganz anderen musikalischen Zugang erforderten. Also veränderte er den Fokus und schuf dieses packende, ohrwurmträchtige musiktheatralische Kaleidoskop, das der Troubadour nun einmal ist. Oder, um es mit den Worten Daniele Abbados, des Regisseurs der aktuellen Produktion zu formulieren: »Verdis Interesse bestand darin, die Partitur immer neu aus dem jeweiligen Moment, aus der jeweiligen Situation heraus direkt zu entwickeln.«
Wiener Rezeption
Überblickt man die Wiener Musiktheaterbühnen in den ersten Jahrzehnten nach der Trovatore-Uraufführung, so ist es fast leichter aufzuzählen, wo der Troubadour nicht gespielt wurde, als umgekehrt: Bereits ein Jahr nach der römischen Weltpremiere konnte das Wiener Publikum das Werk im Rahmen einer italienischen Stagione am Kärntnertortheater kennen lernen. Und von da an ging es Schlag auf Schlag: Theater in der Josefstadt, Theater an der Wien, Stampfertheater, Carltheater, Residenztheater, Ringtheater, Hofoperntheater, Volksoper – überall loderten, vorerst zumeist auf Deutsch, »die Flammen zum Himmel«.
An der heutigen Wiener Staatsoper gehörte der Troubadour vom Eröffnungsjahr 1869 an für viele Jahre obligatorisch zum Programm. Nur zwischen 2001 und 2017 klaffte eine längere Lücke, die mit der nun wieder zu erlebenden Inszenierung beendet wurde. Diese wurde von Daniele Abbado, wenn auch bewusst ohne allzu historische Bezüge, im 20. Jahrhundert, genauer in der Zeit des spanischen Bürgerkrieges angesiedelt, um eines der Grundmotive der Oper – zwei Brüder bekriegen einander –
gewissermaßen im vergrößerten Maßstab eines ganzen Volkes aufzuzeigen. Die Manrico-Azucena-Seite verkörpert hierbei eine bewaffnete Partisanen-Gruppierung, die Welt des Grafen Luna bildet hingegen die gegnerische militaristische Seite, von der sich die engelsgleiche Leonora im Laufe der Handlung emanzipiert.
Ein weiteres wesentliches Element dieser Inszenierung stellt die Einbeziehung einer heute noch in Andalusien vorhandene Tradition des Madonnen-Raubes dar. Nach dieser wird alle sieben Jahre die wundertätige Marien-Statue des Altares einer kleinen Dorfkirche von einer gewaltigen Menschenmenge ganz offiziell kurzzeitig entwendet und in einer 24stündigen, überaus festlichen Prozession in den zehn Kilometer entfernten größeren Ort gebracht. Abbado fasziniert an dieser Prozession diese fast tranceartige Liebe der Menschen, die darum ringen, die Madonna tragen zu dürfen beziehungsweise sie wenigstens zu berühren. Der gesamte Vorgang wird in der aktuellen Trovatore-Inszenierung, quasi als Kunstgriff, mehrfach zitiert, um den bestimmenden religiösen Hintergrund zu zeigen, vor dem sich die Charaktere der Handlung bewegen.

Inhalt auf einen Blick
Einst hatte der alte Graf Luna eine für eine Hexe gehaltene Frau verbrennen lassen, worauf deren Tochter Azucena das jüngere Kind des Grafen entführte. Wenig später fand man die verkohlten Gebeine eines verbrannten Kindes. Zum Zeitpunkt des Beginns der Handlung – der alte Graf war mittlerweile gestorben – tobt ein Bürgerkrieg in Spanien an dem sich der inzwischen erwachsene verbliebene Sohn, nunmehriger Graf Luna, militärisch beteiligt.
Der Troubadour Manrico, der sich für den Sohn der Azucena hält, kämpft auf der Gegenseite. Manrico und Luna stehen sich auch auf dem Feld der Liebe gegenüber: beide lieben Leonora, die ihrerseits in Manrico verliebt ist. Als Leonora die Falschmeldung erhält, dass Manrico gefallen wäre, beschließt sie ins Kloster zu gehen. Luna will sie daraufhin entführen, wird aber von Manrico aufgehalten, der nun mit Leonora flieht. Wenig später wird Azucena von den Leuten Lunas aufgegriffen. Beim Versuch sie zu befreien, wird Manrico ebenfalls gefasst.
Leonora bietet sich Luna an, falls dieser Manrico begnadigt – nimmt aber zugleich Gift. Als Leonora in den Armen Manricos stirbt, befiehlt Luna die Hinrichtung Manricos. Kaum ist diese vollzogen, schleudert ihm Azucena die Worte entgegen: »Er war dein Bruder«.