Ehrlichkeit einer Choreographie

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»Die Kameliendame« kehrt zurück: Meisterwerk von John Neumeier ab 19. Februar in Wien.

Ab 19. Februar steht John Neumeiers Die Kameliendame wieder auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Mit seiner Ballettfassung von Alexandre Dumas’ d. J. Roman La dame aux camélias ist dem Choreographen nicht nur eine der beeindruckendsten tänzerischen sowie künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem berühmten Stoff gelungen, sondern Neumeier hat mit Die Kameliendame auch eines der bedeutendsten Handlungsballette des 20. Jahrhunderts geschaffen.

»Ich bin davon überzeugt, dass es die Ehrlichkeit einer Choreographie ist, die die Menschen überzeugt, nicht der Affekt. (…) Wenn man ehrlich inszeniert, sieht der Zuschauer auch einen Teil von sich auf der Bühne. Ich mache, was mein Herz bewegt.«

Bekommt man die Möglichkeit, John Neumeier in Proben zu beobachten, so stellt man schnell fest, wie intensiv seine Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk immer noch ist – und das im Falle von der Kameliendame auch noch 47 Jahre nach der Uraufführung mit dem Stuttgarter Ballett. 


An jeder Emotion, jedem Ausdruck, jeder noch so kleinsten Bewegung wird gefeilt, nicht nur mit den Solist*innen, sondern auch mit den Tänzer*innen des Corps de ballet, welche die Welt der Pariser Demi-Monde lebendig machen: »Ich ändere meine Stücke immer. Die Veränderung ist dabei aber meist eine Form von Klärung. 


Wenn man älter wird, soll man aus Erfahrung lernen und in der Lage sein, das, was man 47 Jahre lang sagen wollte, nun besser und deutlicher ausdrücken zu können. Es handelt sich nicht um essenzielle Änderungen, das Konzept des Balletts bleibt stets gleich, es geht eher um Nuancen«, so Neumeier, der tiefgehend mit dem Wiener Staatsballett im vergangenen Jahr an der Kameliendame geprobt hat.

Neumeier, der nicht nur zu den bedeutendsten Choreographen des 20. und 21. Jahrhunderts zählt, sondern auch das Genre »Literaturballett« nachhaltig geprägt hat, hat mit seiner choreographischen Interpretation der tragischen Liebesgeschichte der Kurtisane Marguerite Gautier und dem jungen Armand Duval ein Ballett geschaffen, in dem jede Bewegung Ausdruck einer Emotion ist, die Charaktere mit größter Klarheit, aber auch innerer Intention geschaffen sind und der dramaturgische Bau ganz der »modernen« Struktur des im 19. Jahrhundert geschriebenen Romans folgt. 


Neumeier erzählt die Geschichte vom Ende her, arbeitet mit Rückblicken und folgt dabei der nicht chronologischen, fragmentarischen und aus unterschiedlichen Perspektiven erzählten Handlung von Dumas’ Roman. Zur kongenial auf die vielschichtigen Stimmen der Choreographie passenden Musik Frédéric Chopins inszeniert Neumeier »Theater im Theater«-Momente, kreiert schnelle und an den Film erinnernde Szenenwechsel und eine Bewegungsdramaturgie, die die Seelenzustände der Figuren genauso erfahrbar macht wie die äußere Welt, in der sie sich befinden.

 

Die Kameliendame ist seit ihrer Premiere mit Marcia Haydée und Egon Madsen als Marguerite und Armand ein essenzieller Teil eines zeitlosen Ballettkanons, ist nicht nur zeitgenössisches Handlungsballett, sondern ein wahres Meisterwerk, das zu Tränen rührt und gleichzeitig an den Theatersitz fesselt.