Drei Meisterwerke des modernen Balletts
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Hans van Manen und William Forsythe haben auf jeweils ganz eigene Weise den Tanz im 20. Jahrhundert revolutioniert, indem sie an die Wurzeln des Balletts zurückgingen und ihm so neue Wege wiesen. Vorbild war beiden für ihre ebenso kühnen wie bahnbrechenden Arbeiten George Balanchine – der in der St. Petersburger Tradition großgewordene, zu den Ballets Russes gewechselte und schließlich in die USA übersiedelte Choreograph, der nicht nur den Spitzentanz im 20. Jahrhundert wie kein anderer prägte, sondern auch ein ganz eigenes Bild eines athletischen Tänzerkörpers und mit dem New York City Ballet eine bis heute unverwechselbare Compagnie schuf. Das Programm Shifting Symmetries vereint die drei Meister an einem Abend und entwirft dabei drei faszinierende Perspektiven auf das Ballett im 20. Jahrhundert.
Concertante, im Jänner 1994 uraufgeführt, zählt zu jenen Werken, die Hans van Manen während seiner äußerst inspirierenden Zusammenarbeit mit dem Nederlands Dans Theater Den Haag schuf. »Immer weiter und weiter zu reduzieren«, sodass am Ende »der reine Tanz« bleibt, beschrieb der Niederländer seine Arbeitsweise und kreierte so Werke, die allerdings alles andere als abstrakte Bewegungsspiele sind. Vielmehr verstehen sich seine einmal durch die Verbindung von Musik und einem höchst differenzierten muskulären Körpergefühl quasi zur Essenz geronnenen Schritte stets als »Gefäße«, die durch die Individualität und Persönlichkeit der Interpreten ein eigenes Timbre erhalten und so immer wieder neu vor uns entstehen. In Concertante ist die Atmosphäre von einer seltsamen Ambivalenz geprägt, einer Spannung, die sich aus dem jugendlich-spielerischen Gehabe der acht Männer und Frauen und einer permanent lauernden Aggressivität ergibt, mit der man gegeneinander in Wettstreit tritt oder eine zarte Annäherung mit einer unwirschen Bewegung einfach wegwischt. Mit nur einem kurzen Blick, einer ausgestreckten Hand tun sich Beziehungen auf. Doch wie in einem Thriller liegt etwas Gefährliches in der Luft.
Von Rudolf Nurejew erhielt William Forsythe 1987 den Auftrag, ein neues Stück für das Ballet de l’Opéra de Paris zu kreieren. Was damals zu den elektronischen Klängen von Thom Willems entstand, zählt bis heute zu den wegweisenden Choreographien des 20. Jahrhunderts: In the Middle, Somewhat Elevated. Wie in einem Wettstreit lässt der Amerikaner seine Tänzerinnen und Tänzer gegeneinander antreten und nährt ihren Kampf gegen die Schwerkraft durch die Hoffnung, die dem Stück seinen Namen gebenden, im Bühnenhimmel »etwas erhobenen« goldenen Kirschen ernten zu dürfen. »In the Middle, Somewhat Elevated ist ein Thema mit Variationen im strengsten Sinne«, erläutert Forsythe. »Es nutzt die akademische Virtuosität des klassischen Balletts und erweitert und beschleunigt deren traditionelle Figuren. Durch die verlagerte Ausrichtung der Positionen und die Betonung der Übergänge erhalten die Bewegungen eine unerwartete Kraft und Dynamik, die sie ihren eigenen Ursprüngen unähnlich macht.«
Im Schaffen George Balanchines ist das radikale Weiterdenken der klassischen Danse d’école zu einer Ballettkunst für das 20. Jahrhundert eine Seite, die sich vor allem in seinen Black & White-Balletten zeigt und einen Höhepunkt in einem Werk wie Agon aus dem Jahr 1957 findet. Doch Balanchine hatte auch eine anderer Seite, eine weichere, lyrischere, romantischere, die er in seinen brillanten Hommagen an das klassische Ballett zeigt. Zu diesen zählt das Brahms-Schoenberg Quartet, 1966 für das New York City Ballet kreiert und mit einer Besetzung von 55 Tänzerinnen und Tänzern eines der großen Ensemblestücke. Zu den vier Sätzen des Klavierquartetts g-Moll op. 25 von Johannes Brahms in der farbenreichen Orchestrierung Arnold Schönbergs zeigt Balanchine in vier Bildern jeweils eigenständige Miniaturballette: eine elegante Variation über Hierarchie und Ordnung im Raum, ein von einem Frauentrio durchwobener Pas de deux, der auf atemberaubende Weise in einer äußerst flüchtigen Atmosphäre die Intimität zwischen einem Mann und einer Frau als ein permanentes Changieren zwischen Momenten der Zärtlichkeit und Aggression, der Bestimmtheit und Unterwerfung, der Ablehnung und Anziehung entfaltet, ein zauberhaftes Ballet blanc im Geist von La Sylphide sowie ein äußerst virtuoses, mit Volkstanzelementen angereichertes Finale, mit dem Balanchine das Bühnengeschehen regelrecht »zum Kochen« bringt.