Die Tücken des Aufwartens – Barrie Koskys Leporello

Saison 2022/2023 |

Barrie Koskys Don Giovanni-Inszenierung besticht durch eine ungewöhnliche Darstellung Leporellos. Was verbirgt sich hinter diesem düsteren Diener?

Die Rolle des Dieners: Zwischen Warten und Komplizenschaft

Im Personenverzeichnis zu Mozarts Don Giovanni steht hinter Leporellos Namen „Servo di Don Giovanni“, was seine Rolle beschreibt. Doch die Bedeutung eines Dieners ist komplexer – in dieser Oper und allgemein. Markus Krajewski definiert in Der Diener (2010): Ein Diener ist jemand, der wartet, meist auf Befehle. So auch Leporello, der in der Introduktion („Notte e giorno faticar“) über seine Arbeit klagt, während er auf Don Giovanni wartet. Dieses Warten ist jedoch aktiv – Leporello hält Wache, passt auf, hilft Don Giovanni sogar, in Donna Annas Gemächer zu gelangen. Damit erhält das Verhältnis von Herr und Diener eine neue Facette: Komplizenschaft.

Leporello steht in der Tradition des Arlecchino aus der Commedia dell’arte und antiker griechischer Dienerfiguren. In Aristophanes' Die Frösche (405 v. Chr.) zwingt Dionysos seinen Diener Xanthias zum Kleiderwechsel, um Gefahren zu entgehen. So führt Leporello als verkleideter Don Giovanni Donna Elvira hinters Licht – ein Motiv, das auf eine über 2000-jährige Theaterschimäre zurückgeht.

Verflechtungen und Interessenslage

Leporello blickt jedoch in andere Abgründe als sein antiker Vorfahre. Nachdem er seine Buffo-Introduktion beendet hat, wird er Zeuge von Don Giovannis Mord am Commendatore, dem Vater Donna Annas. In der folgenden Szene macht er seinem Herrn Vorhaltungen in bester Tradition eines Komödiendieners: Zwei »allerliebste Unternehmungen« (»imprese leggiadre«) habe Don Giovanni veranstaltet: Zuerst die Tochter genötigt, dann den Vater umgebracht. Diese Vorhaltungen sollen Don Giovanni provozieren, bis dieser Leporello Schläge androht. Sofort gibt der Diener klein bei – und alles bleibt beim Alten. Leporellos Rolle beschränkt sich dabei nicht auf das passive Akzeptieren und Kommentieren von Don Giovannis Umtrieben. An den meisten Liederlichkeiten seines Herrn ist der Diener entscheidend beteiligt, vom angesprochenen Kleidertausch bis zum Ausrichten des Festes, mit dem Masetto von der Verführung seiner Verlobten abgelenkt werden soll.

In Barrie Koskys Inszenierung wird der Aspekt der Komplizenschaft früh zentral ins Bild gerückt. Don Giovanni, der in der zweiten Szene zu fliehen versucht, hat in dieser szenischen Umsetzung kein Schwert – überhaupt keine Waffe –, um sich gegen den auftauchenden Commendatore zu verteidigen. Als er in Bedrängnis gerät, ist Leporello zur Stelle. Er versucht, den Commendatore von hinten zu überwältigen und reicht dann Don Giovanni schnell die einzige Waffe, die auf der kahlen Felsfläche, auf der diese Inszenierung spielt, zu finden ist: einen Stein. Den erschlagenen Commendatore nehmen die beiden in die Mitte, und es entsteht ein verstörendes Tableau, in dem die drei während der folgenden Szene verharren: das Gespräch, in dem Leporello Don Giovanni Vorhaltungen macht, findet direkt am Körper des Toten statt.

So verstärkt die Regie einen Grundton des Librettos: Sie entlarvt Leporellos Vorwürfe, die dieser in der vierten Szene des ersten Aktes variieren wird (»la vita che menate è da briccone«), als Farce. Das »Lumpenleben« des Don Giovanni steht und fällt mit Leporellos Bereitschaft, ihm »aufzuwarten«. Wenn Letzterer in seiner ersten Arie singt, dass er das Leben eines »gentiluomo« führen wolle, dann weiß er, so könnte man weiterspinnen, aus eigener Beobachtung genau, was das mit sich bringen kann.

Das Prinzip des Vaters

Barrie Koskys Inszenierung von Don Giovanni spiegelt nicht nur Libretto und Musik, noch konterkariert sie diese. Stattdessen vertieft Kosky die Beziehung zwischen Don Giovanni und Leporello und bewegt sie weg von der Komödientradition hin zu einer komplexeren Dynamik. Leporello handelt nicht aus psychologischer Motivation und ist kein reiner Commedia-dell’Arte-Typus mit „lazzi“, sondern bewegt sich an den Bruchlinien dazwischen. In Zusammenarbeit mit den Darstellern Philippe Sly (Leporello) und Kyle Ketelsen (Don Giovanni) entwickelte Kosky diese Figuren entscheidend weiter. Kosky beschreibt die Beziehung als Vater-Sohn-Verhältnis: Leporello bewundert und hasst Don Giovanni, lässt sich erniedrigen, da er seine Anerkennung sucht. Dies zeigt ein emotionales Band zwischen beiden, das erklärt, warum Leporello trotz seiner Beschwerden den Dienst nicht verlässt.

Kosky betont die Hassliebe Leporellos, die ihn bis zum Ende an Don Giovanni bindet. Diese Inszenierung führt die Dienerfigur in ungeahnte Tiefen und zeigt, wie inspirierte Künstler bekannten Opernfiguren immer neue Facetten verleihen können.