Die Rückkehr der Riesenpuppen - Die Geschichte von »Guillaume Tell«
Saison 2023/2024 |
Ein dramatischer Freiheitskampf und eine Liebe, die zwischen den Fronten steht: In Guillaume Tell entfesselt Rossini die Kraft einer ganzen Nation, die sich gegen ihre Unterdrücker erhebt. Mit Juan Diego Flórez und Lisette Oropesa in den Hauptrollen entfaltet die Oper in einer bildgewaltigen Inszenierung ihre volle emotionale Wucht.
Gioachino Rossini, anders als sein berühmter Landsmann Giuseppe Verdi, liebte Paris. Diese Stadt, die im 19. Jahrhundert als Welthauptstadt der Musik galt, wurde für ihn zu einem prägenden Ort. Hier bekleidete er bedeutende Positionen: als Leiter des Théâtre Italien, als Hofkomponist und als Generalinspekteur des Gesangs in Frankreich. In Paris komponierte er auch seine letzten fünf Musiktheaterwerke.
Mit dem Viaggio a Reims, einem italienischen Huldigungslied zur Krönung von Charles X., begann Rossini seine Pariser Schaffensperiode. Es folgten zwei französische Neufassungen früherer italienischer Opern und eine französische Opéra comique, in der er Teile aus dem Viaggio a Reims wiederverwendete. Sein finales Werk, das 1829 uraufgeführte Guillaume Tell, war jedoch eine vollständig neue Partitur. Diese Oper trug entscheidend zur Entwicklung der Grand Opéra bei und inspirierte zahllose Komponisten.
Inspiration und politische Stimmung
Rossinis Wahl des Wilhelm Tell-Stoffs wurde maßgeblich von der politischen Stimmung der Zeit beeinflusst. Wie der Musikpublizist Fedele D’Amico und die Musikwissenschaftlerin Sabine Henze-Döhring betonen, prägten Themen wie Freiheit und Unabhängigkeit die Atmosphäre jener Tage. Rossini und seine Librettisten entschieden sich daher für die Geschichte des Schweizer Freiheitskämpfers Wilhelm Tell.
Neben dramatisierten Versionen der Tell-Legende diente vor allem Friedrich Schillers Schauspiel Wilhelm Tell als Vorlage, aber auch die Erzählung Guillaume Tell ou La Suisse libre von Jean Pierre Claris de Florian. Dieser, einst von der Französischen Revolution inhaftiert, drückte in seiner Erzählung seine Sehnsucht nach Freiheit aus.
Die Darstellung des Freiheitskampfes und der Natur
Während Schillers Tell zunächst der Politik fernsteht und erst allmählich zum Aufständischen wird, ist Rossinis Tell von Beginn an ein leidenschaftlicher Patriot, getrieben von der Sehnsucht nach Freiheit für die Schweiz. In der Oper wird Tell zur zentralen Figur des Aufstands gegen die Unterdrücker.
Die Liebesgeschichte zwischen Arnold und Mathilde, die auf verschiedenen Seiten des Konflikts stehen, erfährt eine besondere Entwicklung: Arnold ist Schweizer, Mathilde eine habsburgische Prinzessin. Trotz Standesunterschieden versuchen sie, ihre Liebe zu verwirklichen, bis Arnolds Vater ermordet wird und Arnold sich den Freiheitskämpfern anschließt. Erst als auch Mathilde sich gegen die Besatzer wendet, können die beiden wieder zueinander finden.
Doch die Oper zeigt mehr als den Freiheitskampf. Rossini verweist auch auf die Naturgewalten: In der bekannten Ouvertüre und besonders im vierten Akt symbolisiert ein gewaltiges Unwetter den Aufstand und die Erschießung des Tyrannen Gesler. Das nachfolgende Aufklaren des Himmels steht für die errungene Freiheit. Im finalen Hymnus verschmelzen Freiheitskampf und Natur zu einem kathartischen Höhepunkt.
Guillaume Tell und Wien
Dank Rossinis Beliebtheit kam seine letzte Oper nur ein Jahr nach der Pariser Uraufführung nach Wien. 1830 wurde sie in deutscher Sprache im Kärntnertortheater aufgeführt – zunächst jedoch in zwei Teilen, über mehrere Termine verteilt. Erst ab August konnte das Wiener Publikum Guillaume Tell als Ganzes erleben.
In den folgenden Jahrzehnten blieb die Oper in Wien präsent, wenn auch oft in gekürzten Versionen. 1958 belebte die Wiener Volksoper das Werk mit einer Neuproduktion wieder. Die Staatsoper nahm es 1998 schließlich ins Repertoire auf – nun erstmals in der französischen Originalversion.
Die Herausforderung einer Meisteroper
Der frühere Staatsoperndirektor Ioan Holender war maßgeblich an der Rückkehr von Guillaume Tell nach Wien beteiligt. Schon als frisch eingewanderter Theaterfan besuchte er die Volksoper, wo er unter anderem die Vorstellung von Alexander Svéd und Karl Terkal in der Neuinszenierung von 1958 erlebte. Holenders Wunsch, dieses Meisterwerk an die Staatsoper zu bringen, führte 1998 zur Neuproduktion. Die Besetzung der Rolle des Arnold, eine extrem anspruchsvolle Partie, erwies sich jedoch als Herausforderung. Erst die Zusage des Tenors Giuseppe Sabbatini ermöglichte die Umsetzung des Projekts.
Der britische Regisseur David Pountney übernahm die Inszenierung. In seiner Interpretation setzte er auf eine symbolhafte Bildsprache und parodierte gezielt folkloristische Elemente. Pountney arbeitete mit Maßstabkontrasten und schuf zwei mehrere Meter hohe Riesenpuppen, die als Überelternpaar die Verbundenheit der Gemeinschaft gegen die Fremdherrschaft symbolisieren. Diese Inszenierung führt von der scheinbaren Idylle zu Chaos und Kampf, bis zum versöhnlichen Schlussbild mit einer Miniaturdorflandschaft und dem kathartischen Hymnus.
Ein neues Wiener Rollendebüt
Am 8. März steht eine besondere Wiederaufnahme bevor: KS Juan Diego Flórez wird zum ersten Mal die gefürchtete Rolle des Arnold an der Wiener Staatsoper singen. Diese Partie, die Flórez als eine der schwierigsten der Opernliteratur bezeichnet, erfordert ein außergewöhnliches Maß an stimmlichem Drama und technischer Finesse. Bereits 2013 sang er die Partie beim Festival Internacional de Ópera Alejandro Granda in Peru und später beim Rossini-Festival in Pesaro.
Seine Bühnengeliebte Mathilde wird von der amerikanischen Sopranistin Lisette Oropesa verkörpert. Oropesa ist seit ihrem Debüt als Konstanze in Die Entführung aus dem Serail eine feste Größe an der Wiener Staatsoper und begeistert in herausfordernden Rollen wie Lucia, Gilda und Violetta. Die Partie der Mathilde stellt hohe technische Anforderungen, insbesondere die Arien Sombre forêt und Pour notre amour mit ihren raschen Koloraturen und großen Tonsprüngen. Oropesa beschreibt diese Rolle nicht als bloßen Belcanto, sondern als unverkennbaren Rossini – anspruchsvoll und vorausschauend auf die Werke Meyerbeers und sogar Wagners. Der Komponist Gaetano Donizetti soll einst gesagt haben, der erste, dritte und vierte Akt seien unbestreitbar Rossini, während der zweite Akt das Werk Gottes sei.