Die Idee der Freiheit
Saison 2020/2021 |
Über Parsifals Erinnerungsarbeit und das Unerwartete im Göttlichen
Am Ende seiner Karriere blickt Richard Wagner in einem »Bühnenweihfestspiel« auf sein Werk zurück: Amfortas als »gesteigerter Tristan«, Parsifal als doppelte Figur von Siegfried, Kundry als eine Kombination von Erda, Brünnhilde und Venus und Klingsor mit Zügen von Alberich und Wotan. Wagner beschwört die musikalische Aura seiner Gestalten und verleiht ihnen eine letzte, verfeinerte Form.
Diese außergewöhnliche Oper aus dem späten 19. Jahrhundert lädt dazu ein, das Leben zu reflektieren. Wagner hinterlässt ein Werk, das zugleich spirituell und kritisch auf religiöse Gewissheiten schaut. In Parsifal entsteht ein Raum, der Erinnerungen an die eigene Jugend aufruft und szenisch die Reise des Protagonisten widerspiegelt. Diese Erinnerung birgt Verdrängtes und schmerzliches Erleben, das er erneut durchlebt und manchmal zu beschönigen versucht. Am Ende kommt es zu einer Begegnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die beiden Parsifal-Figuren stehen sich gegenüber, manchmal nah, manchmal fremd.
Ein poetischer Raum der Erinnerung
In meiner Inszenierung verschmelzen Erinnerungsebenen und bleiben oft bewusst bruchstückhaft und widersprüchlich. Die Szenen folgen keiner linearen Chronologie; sie spiegeln die fließenden Grenzen zwischen Erlebtem und Phantasie, eine Perspektive, die von Parsifals innerem Konflikt und seiner spirituellen Suche getragen wird.
Das Symbol des Grals und die Idee der Freiheit
Der Gral symbolisiert für mich die Freiheit, in ihrer universellen Form. Die Gralsritter haben, gefangen in einer verengten Weltsicht, Teile ihres Glaubens verloren. Sie sehen die Welt durch eine dogmatische Brille, die sie zunehmend von ihrer Essenz entfernt. In meiner Inszenierung verkörpert ein Gefängnis diese selbst gewählte Isolation – eine düstere Metapher für die dogmatische Welt, die die Ritter um sich herum aufgebaut haben.
Eine dystopische Reise
Diese Oper entfaltet eine dystopische Welt. Die Figuren haben ihren Glauben, die Liebe und die Hoffnung verloren. Die Menschen versuchen, aus den Trümmern und Fragmenten früherer Überzeugungen neue, eklektische Symbole zu schaffen. In meiner Darstellung tragen die Häftlinge tätowierte Glaubenssymbole auf der Haut, während im Zauberschloss Klingsors solche Symbole kommerzialisiert und zur Schau gestellt werden.
Kundrys Widerstand und Hoffnung
In meiner Inszenierung bleibt Kundry widerständig und selbstbestimmt. Sie ist eine komplexe Figur, die sich gegen die patriarchalen Erwartungen des 19. Jahrhunderts auflehnt, die Wagner ihr auferlegte. Anstatt sich der von Wagner angestrebten Taufe zu unterwerfen, hält sie an ihrer eigenen Hoffnung fest.
Die Magie in der Wirklichkeit
Jede naive Bebilderung würde die subtilen Zusammenhänge von Wagners Partitur entwerten. Ich versuche, Wagners Wunder und Symbole in einen realen, lebendigen Kontext zu stellen. So entdeckten wir beim Filmen im verschneiten Moskau eine Ruine, durch deren zerstörte Wände magisches Sonnenlicht fiel – ein Moment, der die Schönheit und die tiefe Metaphysik unserer Wirklichkeit offenbart.