»Die Fledermaus«: Offenbach und der unverkennbare Strauß-Stil

Saison 2024/2025 |

Wie viel Offenbach steckt in Strauß' »Fledermaus«? Ein spannender Blick auf Einflüsse und den unverkennbaren Wiener Stil.

In Wien hört man unentwegt, dass der Einfluss von Offenbach auf den Wiener Johann Strauß unverkennbar wäre. Dass aber auch Rossini, Donizetti und Bellini – gerade in der Fledermaus – Spuren hinterlassen haben, wird viel seltener erwähnt. Welcher Einfluss überwiegt nun tatsächlich: Der von Offenbach oder jener der drei Italiener, deren Werke Strauß mit seiner Kapelle zumindest ausschnittsweise regelmäßig zum Besten gab?

Die drei Italiener haben mindestens im selben Ausmaß Offenbach beeinflusst wie Strauß! Das ist schon wieder so ein beliebter wie oberflächlicher Vergleich, den heute jeder meint, geradezu suchen zu müssen. Die Entwicklung von Musik entstand ja nicht in einem aseptischen Raum und ist vor allem auch ein Produkt ihrer Zeit! Natürlich sind die Karikatur und Selbstironie, die wir bei Offenbach finden, ein ebenso wichtiger Bestandteil in Straußʼ Werk wie gewisse Elemente aus dem Belcanto-Repertoire oder noch ein Dutzend anderer Einflüsse. Aber eine Persiflage des Ancien Régime finden wir beispielsweise auch schon in Mozarts Le nozze di Figaro – Ironie war sicher keine Erfindung der französischen Operette. Ich glaube jedenfalls nicht, dass uns Interpretierenden oder auch dem Publikum eine musikalische Genanalyse sehr viel bringt. Das ist eher etwas für die Theorie, für die Musikwissenschaft und oftmals gar nicht ernsthaft beantwortbar. Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen mit zeitgenössischen Musikschaffenden, dass Feststellungen wie »Diese Stelle in deinem Stück erinnert mich an folgende frühere Komponisten« nicht sehr gern gehört werden. Jeder Komponist, jede Komponistin betont die Authentizität der eigenen Musiksprache – und das zu Recht! Dass sich aber ausnahmslos alle auch von anderen Kolleginnen und Kollegen inspirieren lassen, versteht sich von selbst: niemand fängt bei Null zu komponieren an, es gibt kein kulturelles Niemandsland. Und gerade jemand wie Strauß, der mit seiner Kapelle ein überaus breites Angebot von Bearbeitungen populärer Neuheiten aus den unterschiedlichsten Federn präsentiert hat, wusste über die verschiedensten musikalischen Strömungen bestens Bescheid. Wichtig ist aber das Endergebnis dieser Einflüsse und das, was ein musikalisches Genie daraus gemacht hat. Und da gilt: Strauß ist Strauß, Offenbach ist Offenbach, Mozart ist Mozart – und das jeweils unverkennbar.

Nun bedarf es, um alle Feinheiten eines Werkes berücksichtigen und aufgreifen zu können, nicht nur einer sehr genauen Kenntnis der Partitur, sondern auch des jeweiligen Musikstils. Sie gelten, obwohl gebürtiger Franzose, unbestritten als Strauß-Experte. Wann bzw. wo wurden Sie gewissermaßen als Wiener sozialisiert?

Zunächst in der Wiener Volksoper, wohin mich ein gnädiges Schicksal direkt aus der deutschen Provinz verschlug und wo legendäre Dirigenten wie damals Rudolf Bibl und auch heute noch Alfred Eschwé wirkten. In meiner Zeit als stellvertretender Musikdirektor der Wiener Volksoper verfolgte ich dort unter anderem zahllose Operettenvorstellungen unter der Leitung solcher Könner und lernte dabei ungemein viel: Von Bibl z.B., wie man mit möglichst wenig Aufwand ein Maximum an Ergebnis bewirken kann, und von Eschwé die Beherrschung des Stils. Mein praktisches Eintauchen in diese Welt geschah dann im Zuge meiner ersten eigenen Fledermaus-Dirigate an dieser Bühne. Ich durfte mit wundervollen Besetzungen zusammenarbeiten, die dieses Genre, diese Musik aus dem Effeff beherrschten und wo ich schon bei jeder szenischen Probe ungemein profitieren durfte: Alfred Šramek, Adolf Dappalozza, Kurt Schreibmayer, die viel zu früh verstorbene Elisabeth Kales, Peter Minich u.v.a.

Dazu kam noch Heinz Holecek als Frosch – der mich allerdings in der ersten Vorstellung durch seine Extempores an den Rand der Verzweiflung brachte. Holecek hatte mir zwar ein gedrucktes Exemplar seines Sprechtextes ausgehändigt, hielt sich aber während der Aufführung kaum eine Sekunde lang an die Vorlage und improvisierte unentwegt vor sich hin. Ich hatte demzufolge keine Ahnung, wo und wann ich mit dem Orchester einzusetzen hatte. Verloren blätterte ich in dem Textbuch vor und zurück – sehr zum Gaudium der Musikerinnen und Musiker –, bis sich die Konzertmeisterin meiner erbarmte und mir zuflüsterte, dass sie mir das jeweilige Zeichen zum Einsatz schon geben würde – was dann auch geschah und gut funktionierte.

Das war anfangs auch eine harte Schule, aber sie hat mich in kürzester Zeit mit diesem Repertoire vertraut gemacht. Jahre später – ich hatte die Fledermaus in der Zwischenzeit schon des Öfteren an der Wiener Staatsoper geleitet – sollte ich bei einem Konzert in Monte-Carlo unter anderem die Fledermaus-Ouvertüre dirigieren. In den Proben habe ich mir den Mund fusselig geredet, um dem dortigen Orchester die Verzögerung der dritten Viertel im Wiener Walzer zu erklären. Es hat nichts geholfen und wir haben schließlich die Ouvertüre im Konzert weggelassen. Fazit: Es ist offenbar deutlich einfacher, die französische Leichtigkeit mit einem österreichischen Orchester zu realisieren als den Wiener Walzer in Frankreich.