Die Botschaft der Zauberflöte

Interview |

Cyrille Dubois singt den Tamno in der brandneuen Zauberflöten-Produktion

In zwei Rollen war der französische Tenor Cyrille Dubois bisher an der Wiener Staatsoper zu Gast: als Ernesto in Donizettis Don Pasquale und als Telemaco in Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria. Nun widmet er sich seiner ersten Wiener Mozart-Rolle: dem Tamino in der brandneuen Zauberflöten-Produktion. Wie er als Kind zur Musik fand, was er der Kulturpolitik raten würde und warum er lieber Tamino als Papageno ist: das erzählte er diesem Interview.

Wir klagen in Österreich immer wieder darüber, dass der Musikunterricht und die Bedeutung der Kunst in den Schulen abnehmen. Wie sieht die diesbezügliche Situation in Frankreich aus?

Cyrille Dubois: Ich fürchte, es ist sogar noch schlimmer. Nach meiner Einschätzung gibt es in Österreich eine ungebrochene Tradition, denken wir etwa an die Sängerknaben, die weit zurückreicht. Bei uns gab es eine Zäsur, nämlich die Französische Revolution, die besonders spezialisierte Schulen als etwas Elitäres betrachtete und kurzerhand schloss. Das hatte seine Auswirkung… Heute gibt es in den öffentlichen Schulen schlechterdings zu wenig Zeit für die Kunst. Das Angebot in der Volksschule: wenig. In den weiterführenden Schulen: noch weniger. Interessiert man sich für die Kunst, ist die Beschäftigung eine Sache des eigenen Wollens. Das Problem ist aber ein gesellschaftliches: Es muss alles einfach und schnell gehen. Eine tiefergehende Auseinandersetzung ist nicht gefragt.

Wären Sie nun ein kulturministerieller Berater, was würden Sie vorschlagen?

Cyrille Dubois: Einfach, dass es mehr Gelegenheit gibt, den Kopf freizumachen und Dinge zu entdecken. Sachen, die man von zuhause vielleicht nicht kennt. Da geht es mir nicht nur um die Musik, es geht mir um alle Formen der Kunst. Einmal eine Ausstellung besuchen. Einmal ein Orchester erleben. Die Augen öffnen! Ich weiß, das kostet Geld. Aber ich denke, dass finanzielle Mittel, die man in die Kunst investiert, sinnvoll verwendet werden. Wenn Sie so wollen: Ein Investment in die Zukunft. Man pflanzt Samen ein und in 20, 25 Jahren blüht etwas auf. Schlechte Politik blickt allerdings immer nur auf den kurzfristig absehbaren Erfolg.

Wann wurde bei Ihnen die Saat gelegt? Und: Warum? Kommen Sie aus einer Musikerfamilie?

Cyrille Dubois: Nein, mein Vater spielte zwar Gitarre, es gab Musik rund um mich, doch es war keine klassische Musikerfamilie. Aber… ich sang schon in früher Kindheit den ganzen Tag. Das wollten meine Eltern fördern und ließen mich einen Chor besuchen. Der Leiter dieses Klangkörpers war ein Freund der Familie, und er meinte einmal: »Der Bub hat was Besonderes«. So fing es an… Ich sang also im Chor und besuchte später das Konservatorium in Rennes. Natürlich wollte ich auch ein »normales« Leben ausprobieren und studierte daher Naturwissenschaften, sang nur noch zum Spaß – und um Geld zu verdienen. Etwa im Chor der Oper in Rennes. War das cool! Tja, und irgendwann fühlte ich: Hm, vielleicht ist es doch die Musik! Ich ging also ans Konservatorium in Paris, kam ins Young Artists Program der Pariser Oper und plötzlich war ich mittendrin.

In diesem Mittendrin… was ist ein Sänger heute eigentlich? Fühlen Sie sich als »Star«? Oder sind Sie einfach einer, der Glück beschert?

Cyrille Dubois: Ich denke, es gibt im Opernbetrieb nur ganz ganz wenige echte Superstars. Und selbst diese, wenn sie sich außerhalb eines Opernhauses befinden und auf der Straße spazieren, werden von den meisten Menschen nicht erkannt. Aber darum geht es ja auch gar nicht! Was ist unser Ziel? Ich denke, wir bringen den Menschen Musik – und damit Freude. Das ist die Hauptsache. Wir bringen ihnen etwas, das man im Alltag nicht hört. Große Meisterwerke, die sich seit Jahrhunderten beweisen. Stücke, die es wert sind, immer und immer wieder gespielt zu werden. Die eine Botschaft haben. Bei vielem, was man heute so im Alltag im Radio so hört, fragt man sich ja: Wird das in 200 Jahren noch Bestand haben? Diesen Beweis hat das Opernrepertoire längst erbracht. Mir beschert Musik immer Glück. Und wenn das, was ich mag, auch von Publikum gemocht wird: dann ist es das für mich das schönste Geschenk!

Inwiefern hat sich der Beruf in den letzten Jahren geändert? Was hat die enorme Reichhaltigkeit und Verfügbarkeit an Aufnahmen – Stichwort YouTube – gebracht?

Cyrille Dubois: Ich glaube, dass heute durch diese zahllosen Mitschnitte alles ein bisschen festgelegt ist. Als junger Sänger ist das nicht einfach, man hört dauernd: »Hast du diese oder jene Aufnahme gehört?« Oder: »Der oder die hat das aber so und so gemacht«. Ich weiß, dass es früher fantastische Künstlerinnen und Künstler gegeben hat, die legendäre Interpretationen schufen. Aber vergessen wir darüber nicht das Heute. Die interessante Frage ist doch: Und wie machen wir es jetzt? Wie können wir all das Gelernte, all das Erfahrene einbringen – ohne am Gestern zu kleben? Es haben sich ja die Begleitumstände durchaus geändert. Das Szenische ist heutzutage sicherlich wichtiger als noch vor einigen Jahrzehnten, das Bewusstsein für die Verbindung von Gesang und Darstellung hat zugenommen. Es geht um das Spiel und die Musik. Ich möchte also auf der Bühne nicht nur stimmlich ganz in einer Figur aufgehen, sondern sie auch darstellerisch ausfüllen. Das gelingt mir beim Tamino zum Teil so sehr, dass mir bei den Prüfungen die Tränen in den Augen stehen.

Weil Sie von einer Botschaft gesprochen haben… Was ist für Sie die Botschaft der Zauberflöte?

Cyrille Dubois: Puh, eine schwierige Frage. Es geht um so viel. Es geht um das Fantastische, aber natürlich auch um den Menschen, den Wert des Menschlichen, es geht darum, was uns ausmacht, es geht um Empathie und Weisheit, um das Öffnen des Geistes, aber auch um das Bewusstwerden der Natur, das Begreifen, dass es Dinge gibt, die über uns und unseren Alltag hinausreichen. Dass wir uns über unsere Verhältnisse erheben können. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Verschiedenartigkeit von uns allen gezeigt wird – denken Sie nur an Papageno und Tamino. Das alles in einer Welt der musikalischen Schönheit, und schließlich: Dass man Belohnungen nicht einfach so bekommt. Dass man sich bemühen muss, dass es Prüfungen gibt, dass man manchmal auch um eine Sache kämpfen muss.

»Ich glaube, Tamino ist der Mensch, der wir gerne wären. Aber sehr oft sind wir auch Papageno…«

Nun singen Sie Tamino, den Prinzen. Ist das eine Figur, die Sie mögen? Sie sprachen von Papageno: Ist das nicht einer, der viele von uns direkter anspricht?

Cyrille Dubois: Ich denke, beide sind eine Allegorie. Der Prinz und der Naturbursch. Beide repräsentieren etwas, und wir alle tragen Elemente von beiden in uns. Schreckhaftigkeit, Treue, Witz, Standhandhaftigkeit, Haltung und manchmal ein bisschen ein Schwindeln. Die beiden halten die Balance und erinnern uns daran, dass sich unser Leben zwischen diesen Polen abspielt. Manchmal sind wir mehr der eine, dann der andere. Aber stets sind sie beide da, und mit diesen Figuren können wir so viele Fragen unseres Lebens behandeln. Ich glaube, Tamino ist der Mensch, der wir gerne wären. Aber sehr oft sind wir auch Papageno…

Tamino durchläuft eine Entwicklung als Mensch. Was lernt er auf seiner Reise?

Cyrille Dubois: Dass er mit Widerständen ringen muss. Dass man, wenn man etwas wirklich will, dafür einstehen muss, gleichzeitig aber voller Vertrauen sein darf. Auch, wenn es gerade bedrohlich ist und nicht gut ausschaut. Im Grunde ist die Zauberflöte eine Parabel, die uns alle im Heute berührt: Selbst, wenn es ganz schlecht läuft, kann es wieder gut werden. Und daran dürfen wir glauben und darauf dürfen wir vertrauen.

Sie sind ein französischer Tenor. Was bedeutet das für die Mozart-Interpretation? Gibt es einen »französischen« Mozart-Stil? Oder sind die unterschiedlichen Schulen längst einer internationalen Interpretationssprache gewichen?

Cyrille Dubois: Ich bin mit französischer Sprache, Literatur, Geschichte, Aufführungstradition und so weiter aufgewachsen, bin seit frühester Kindheit von alldem umgeben – und ich singe viel französisches Repertoire. Aber umso spannender ist es für mich, wenn ich jemanden erlebe, der einen anderen Background und dadurch auch einen ganz anderen Blickwinkel auf diese Werke hat. Also die Stücke, die mir so bekannt und vertraut sind, mit frischen Augen betrachtet. Ich denke, wir alle haben großen Respekt vor den Werken und versuchen besonders auch im Bereich der Sprache, sie so gut wie nur möglich umzusetzen. Einen Tamino auf Deutsch in Wien – das ist für mich natürlich eine Herausforderung. Aber wir alle haben unsere eigenen Hintergründe und bringen stets etwas Neues ein. So auch in meinem Fall: Ich komme aus der französischen Musik und so wird vielleicht die eine oder andere Farbe ein bisschen anders sein.

Sie sangen auch weitere wichtige Mozart Rollen, Belmonte in der Entführung und Ferrando in Così fan tutte. Wie lassen sich diese Partien rein stimmlich vergleichen?

Cyrille Dubois: Bei Mozart gibt es die »jungen« Rollen, also Ferrando, Idamante – sofern von einem Tenor gesungen –, Belmonte und Tamino und die dramatischeren, wie etwa Idomeneo oder Tito. Tamino liegt im Übergangsbereich: noch jung, aber schon mit einem größeren dramatischen Potenzial. Da sich meine Stimme natürlich ändert und sich langsam in Richtung der zweiteren Gruppe bewegt, ist er daher ideal. Für Idomeneo wäre es zu früh – aber der Tamino, der liegt gerade goldrichtig!