Der Mythos des Mozart-Da Ponte-Zyklus
Saison 2023/24 |
Die drei Werke von Mozart und Da Ponte – Le nozze di Figaro, Don Giovanni, und Così fan tutte – werden oft als Zyklus betrachtet, obwohl dies aus historischer Perspektive nicht korrekt ist. Weder Dichter noch Komponist hatten ursprünglich die Idee, eine in sich geschlossene Trilogie zu schaffen. Doch aus heutiger Sicht erscheinen sie wie von selbst zusammengehörig, verbunden durch die künstlerische Kraft, mit der sie Theater und Musik nahtlos verflechten. Mozarts berühmtes Bild des „wahren Phönix“ aus Dichter und Komponist erfüllt sich hier durch Musikalität, Poesie und umwerfenden Witz.
Das Theater gibt uns heute die Freiheit, Mozarts und Da Pontes Werke nicht nur zu interpretieren, sondern als Dialog mit der Gegenwart zu erleben. Così fan tutte bleibt eine künstlerische Auseinandersetzung mit Fragen, die damals wie heute von Bedeutung sind. So verbindet das Werk seine Zeit mit unserer und bleibt zugleich in seiner Essenz ein Musiktheater voller Raffinesse, Witz und Tiefe.
Humor als verbindendes Element
Diese Opern sind durch einen gemeinsamen Humor gekennzeichnet: Szenische Komik, musikalischer Witz und sprachliche Ironie verbinden die Werke. Im Finale von Don Giovanni zitiert Leporello bekannte Opernmelodien, darunter Mozarts eigenen Hit „Non più andrai“ aus Le nozze di Figaro. Ein humorvolles Detail, das die Verbundenheit der Werke unterstreicht.
Der Titel von Così fan tutte und seine Bedeutung
Im Mittelpunkt von Così fan tutte steht die Zeile „Così fan tutte le belle; non c’è alcuna novità!“ – „So machen’s alle Schönen; das ist keine Neuigkeit!“ Dieser Ausspruch, entnommen dem ersten Akt von Le nozze di Figaro, dient hier als Thema und Motto. Ursprünglich hatte Da Ponte das Libretto für Antonio Salieri geschrieben, doch Mozart machte es sich letztlich zu eigen und schuf mit der Zeile „Così fan tutte“ die Leitmelodie des Stücks.
Ensemble statt Solo
Die Uraufführung von Così fan tutte fand 1790 im Wiener Burgtheater statt. Mozart und Da Ponte verfolgten hier eine neue Richtung: Ein Großteil der 31 Musiknummern ist für Ensembles geschrieben, was die Handlung dynamischer und interaktiver macht. Trotz eingängiger Arien wie „Un’ aura amorosa“ und „Per pietà, ben mio“ betonen die Ensembles die gemeinschaftliche Entwicklung der Figuren.
Frühe Kritiken und spätere Umdeutungen
Im 19. Jahrhundert begann sich die Meinung über das Werk zu ändern: Kritiker wie Eduard Hanslick verurteilten das Libretto als „platt“. Das moralische Empfinden jener Zeit störte sich an der Leichtigkeit, mit der die Oper das Thema der Untreue aufgreift. Bearbeitungen und Umschreibungen mit Titeln wie Mädchenlist, Mädchentreue oder Die verfängliche Wette versuchten, die Oper durch Anpassungen an die konservativen Wertvorstellungen des 19. Jahrhunderts „zu retten“.
Don Alfonso als „alter Philosoph“
Don Alfonso ist nicht zufällig als „alter Philosoph“ gestaltet. Die Schule der Liebenden, die er den Männern eröffnet, entspricht den Ansichten damaliger Denker wie Rousseau, die Frauen als emotional und Männer als rational definierten. Doch Così fan tutte bleibt ambivalent: Während die Männer durch das Verwirrspiel eine Lektion lernen, wird den Frauen diese Möglichkeit kaum zugestanden. Die Männer stellen am Ende ihre Schlussfolgerungen infrage, was das Werk als „Schule der Liebenden“ zur offenen Diskussion macht.
Interpretationen für heutiges Publikum
Heute steht Così fan tutte für ein lebendiges Wechselspiel zwischen Musik und Sprache, das auch Raum für moderne Fragen nach Geschlechterrollen und Identität lässt. Die Theaterkunst erlaubt uns, die Konstellationen und Widersprüche im Werk produktiv für heutige Diskussionen zu nutzen. Künstlerinnen und Künstler haben die Möglichkeit, das Werk als „Schule der Liebenden“ zu inszenieren, in der alle Beteiligten – Fiordiligi, Dorabella, Guglielmo und Ferrando – gleichermaßen Lernende und Lehrende sind.
Eine Lektion für hundert Zeichen
In Così fan tutte provoziert Don Alfonso die jungen Freunde Guglielmo und Ferrando mit der Behauptung, auch ihre Verlobten Fiordiligi und Dorabella könnten zur Untreue verführt werden. Eine Wette wird geschlossen, und mithilfe einer clever inszenierten Charade, bei der die Liebhaber in Verkleidung auftreten, sollen die Frauen getestet werden. Durch die tatkräftige Unterstützung der Zofe Despina fallen die Schwestern in die Falle und wenden sich dem vermeintlich „fremden“ Liebhaber der Schwester zu. Am Ende gewinnt Don Alfonso die Wette – und eine wertvolle Lektion bleibt in der Luft: Was bedeutet Vertrauen in der Liebe?