Michael Niavarani gibt sein Staatsopern Debüt
Saison 2024/2025 |
Man kann getrost sagen: Es ist unmöglich, Österreicherin oder Österreicher zu sein und Michael Niavarani nicht zu kennen. In einem seiner drei Theater (Kabarett Simpl, Globe Wien, Theater im Park) waren die meisten schon und via Fernsehen hat er ohnehin allen schon gefühlte 500 Mal den Abend gerettet. Und, und, und… Kurzum: Kein Wunder, dass man ihn auch im deutschsprachigen Ausland schätzt. Zum Auftakt des Johann-Strauß-Jahres am 31. Dezember wird er nun sein Staatsopern-Debüt als Frosch in der Fledermaus geben. Im folgenden Gespräch spricht er über eine weitsichtige Deutschprofessorin, über Witze, Pointen, eine wegweisende Mathematikprüfung und warum dieses Debüt ein wenig einer Heimkehr gleichkommt.
In den Corona-Monaten gab es von Ihnen einige aufmunternde Videos per WhatsApp, auf denen man im Hintergrund Ihre persönliche, große, schöne Bibliothek sehen konnte. Sie sind offensichtlich nicht nur Schauspieler, sondern auch in höchstem Grade bibliophil veranlagt.
Ich weiß gar nicht, ob es Schauspieler gibt, die nicht bibliophil sind. Bei mir ist diese Liebe jedenfalls regelrecht zur Sucht geworden. Und wenn ich zu Hause auf der Couch liege und zu den Büchern hinaufschaue, beruhigen sie mich meist, weil ich weiß, dass sie da sind. Aber sie können auch bösartig werden!
Mit Theaterstücken?
Nicht zwingend. Mich interessieren seit jeher auch Biologie und Geschichte – da besitze ich viel Fachliteratur. Aber natürlich auch Dramen. Es kann passieren, dass ich nach einem langen Tag mit Proben und Vorstellung müde, mit einer Zigarette im Mund, nach etwas Ablenkung vor dem Schlafen suche und zufällig zum Beispiel einen Goldoni erwische. Dann fange ich an zu lesen und plötzlich bin ich wieder hellwach und merke, dass ich auf etwas Wunderbares gestoßen bin, das sich herrlich für meine Bühnen bearbeiten ließe. Und schon bin ich wieder mitten im Theater.
Ein echter Theatermensch kommt wohl nie zur Ruhe?
Das Theater gleicht einem Sog. Es geht eine Faszination von ihm aus, die mich erfüllt. Otto Schenk hat einmal zu mir gesagt: »Nicht du hast das Theater ausgesucht, sondern das Theater dich.« Da ist was dran.
Aber wann ging das los mit dieser Sucht, dieser Liebe?
Im Gymnasium. Wir hatten eine wunderbare Deutschprofessorin – Hannelore Lazarus hieß sie –, die gemerkt hat, dass dieser schlechte Schüler Niavarani, dieser Halbperser, der nicht weiß, was er in dem großen Universum eigentlich soll, ein unerwartetes Talent an den Tag legt, wenn er bei der gemeinsamen Klassenlektüre die Hauptrolle vorzulesen hat. Begonnen hat es mit dem Willibald in Nestroys Schlimmen Buben in der Schule. Ich wurde von dieser Figur, von dem Text ungemein berührt. Die Frechheiten, die sich dieser Willibald gegenüber den Lehrern herausnimmt oder allgemeine Urteile über Menschen an sich – wie »Der Mensch ist auch ein Federvieh. Denn gar mancher zeigt, sobald er eine Feder in die Hand nimmt, was er für ein Vieh ist« – haben dazu geführt, dass ich am nächsten Tag in die Buchhandlung gegangen bin, um weitere Stücke dieses für mich damals unbekannten Johann Nestroy zu besorgen. Kurz darauf durfte ich in mehreren Schulaufführungen den Muffl in den Früheren Verhältnissen spielen. Dazu kam ein Besuch im Burgtheater – meine Oma hat mich mitgenommen –, bei dem ich den Josef Meinrad erlebte – diesen Urkomiker, der stets mit einem Ohr im Publikum war und daher das ideale Timing gehabt hat, genauestens spürte, wann und wo eine Pointe zu setzen war. Von da an war ich stets am Stehplatz des Burgtheaters zu finden. Allerdings schien mir der Weg vom Stehplatz auf die Bühne weiter zu sein als jener von Wien nach Australien. Praktisch unbewältigbar.
Sie haben den Weg trotzdem auf sich genommen?
Die Initialzündung, dass ich ein guter Komiker sein könnte, geschah bei einer Mathematikprüfung. Ich musste an der Tafel einen Term lösen und hatte, wie immer, keine Ahnung. Aber, inspiriert von einer Pension Schöller-Aufführung mit Maxi Böhm, die ich am Tag zuvor im Fernsehen erlebt hatte, legte ich meine Prüfung als Rolle à la Maxi Böhm an. Ich sprach wie er, bewegte mich wie er und baute noch ein paar Floskeln aus der Pension Schöller ein. Selbstverständlich bekam ich ein Nicht Genügend auf die Prüfung, aber die zahlreichen Lacher in der Klasse, die meine »Aufführung« begleiteten, stärkten mein Selbstbewusstsein, den vorhin erwähnten langen Weg auf die Bühne zu wagen. Schließlich ließ ich die Schule Schule sein und setzte alles auf die Karte Schauspieler.
Gab es jemanden in Ihrer Familie, den es ebenfalls ans Theater verschlagen hat?
Mein Großvater väterlicherseits war hauptberuflich Arzt in Teheran, schrieb jedoch hobbymäßig Theaterstücke und führte sie mit einer eigenen Truppe in einem angemieteten Theater sogar auf. Ein begeisterter Laie sozusagen. Ihn habe ich zwar nicht kennengelernt, aber meinen anderen Opa mütterlicherseits umso mehr. Er war Geiger der Wiener Philharmoniker und wann immer ich als Jugendlicher eine Vorstellung an der Staatsoper besuchte, holte ich ihn nachher am Bühneneingang Operngasse ab. Darum habe ich der Staatsoper gegenüber ein familiäres Gefühl und empfinde mein Debüt als eine Art Heimkommen.
Was ich als kleines Kind in Gesprächen mit meinem Opa allerdings zunächst lange nicht verstand, war diese bei älteren Philharmonikern heute noch gebräuchliche Unterscheidung zwischen Auftritten im Musikverein, die unter der Bezeichnung »Konzerte« liefen, und Vorstellungen in der Staatsoper, die als »Dienste« fungierten. Mir war klar: der Opa ist Geiger. Aber was unter den abendlichen »Diensten« zu verstehen war, wollte mir nicht einleuchten. Ich stellte mir so einiges vor: Mein Opa als Nachtwächter, als Busfahrer, als Schneeschaufler…
Es war aber nicht leicht, Sie zum Frosch an der Wiener Staatsoper zu überreden. Sie haben zunächst mehrfach abgelehnt. Aber dann doch zugesagt. Warum das eine, warum das andere?
Ich verehre und liebe die Staatsoper, ich schätze Bogdan Roščić schon lange, aber kann man auf einer fremden Bühne auftreten, wenn Vorstellungen in den eigenen Theatern angesetzt sind? Zu Silvester?? Es ging also längere Zeit hin und her zwischen Bogdan und mir, bis ich meine Skrupel auch einigen befreundeten Philharmonikern nach einer Vorstellung im Simpl erzählte. Irgendwann im Laufe des Gesprächs fiel aber das Totschlagargument schlechthin: »Nia, dein Opa war Philharmoniker und hat so oft am 31. Dezember in der Staatsoper in der Fledermaus gespielt. Was glaubst du, wie er sich gefreut hätte, seinen Enkel als Frosch auf der Bühne erleben zu dürfen?« Darauf habe ich tief gerührt – ich glaube, ich hatte sogar Tränen in den Augen – beschlossen, zuzusagen.
Ich werde allerdings nach der Vorstellung an der Staatsoper noch ins Simpl hinübereilen, um vielleicht noch in einer Nummer mitzuspielen, jedenfalls aber mit allen anstoßen.
Kommen wir zum Frosch selbst: Ist das eine Art Nestroy’sche Figur?
Absolut, er steht in der Tradition der versoffenen Wiener Typen, die Nestroy gerne auf die Bühne stellte, denken wir nur an den Knieriem im Lumpacivagabundus. Aber schon die Strauß-Operette als solche hat viel mit Nestroy zu tun: In den meisten Nestroy-Stücken gibt es eine Ouvertüre, Begleit- und Zwischenaktmusiken – nicht von ungefähr verfügte Nestroy im von ihm geleiteten Carltheater über ein Orchester samt Orchestergraben. Diese Werke hatten also etwas von einem Singspiel.
Dazu kommt, dass es Nestroy war, der Jacques Offenbach nach Wien geholt hat und u.a. die Wiener Erstaufführung von Orpheus in der Unterwelt im Carltheater realisierte. Und dass Offenbach Strauß inspiriert hat, ist bekannt.
Ist der Frosch lediglich versoffen oder auch bösartig-hinterlistig?
Er ist ein typischer Wiener Beamter, der aus Verzweiflung an der Welt zum Säufer geworden ist und auf diese Art zu allem Geschehen um ihn herum eine ironisch-zynische Distanz halten kann. Sicher, ein bisschen ein Gauner ist er auch.
Ursprünglich war die Rolle des Frosch eher klein konzipiert, als eine Art besserer Stichwortgeber. Durch Alexander Girardi gewann die Rolle an Größe, mittlerweile gibt es zahllose Traditions-Witze, die von Generation zu Generation weitergereicht werden. Was davon werden Sie übernehmen?
Ein Teil der alten Witze stammt aus einer Epoche, als diese mutig, subversiv, anarchistisch empfunden wurden. Durch den Wandel der Zeiten und der Gesellschaft haben sie jedoch ihr Salz verloren und wirken heute, wie man auf Wienerisch sagt, »bochn«, also seltsam naiv. Diese sollte man und werde ich durch eine zeitgemäßere Komik ersetzen. Was immer noch funktioniert, bleibt freilich auch bei Niavarani erhalten. Wichtig ist: Jeder Witz muss aus drei Teilen bestehen: Information – Vorbereitung – Pointe. Alles Zusätzliche ist überflüssig. In einem ernsten Drama wird die Pointe freilich durch eine hohe Emotionalität ersetzt und im Kabarett die Information durch eine intellektuelle Auseinandersetzung.
In Ihren ersten Jahren als Schauspieler sagten Sie vor jeder Vorstellung im Brustton der Überzeugung hochnervös: »Hätte ich doch einen vernünftigen Beruf gewählt, dann müsste ich jetzt nicht so zittern!« Leiden Sie immer noch an Lampenfieber?
Es hat sich insofern ein bisschen gebessert, als die Phase, in der ich nervös werde, immer kürzer geworden ist. Jetzt sind nur mehr die letzten Minuten vor dem ersten Auftritt wirklich furchtbar. Das Erstaunliche ist jedoch, dass es für die Vorstellung selbst egal ist, in welcher Verfassung ich mich tagsüber befunden habe: ob müde, traurig, depressiv, verzweifelt – das Theaterspielen geht immer und ich fühle mich danach jedes Mal auch sehr viel besser. Offenbar ist mein Beruf eine Art chiropraktische Behandlung für meine Seele – sie wird stets eingerenkt. Und das empfinde ich als Belohnung für die Angst, die ich vor dem Auftritt hatte.