Über das Werk
Norma ist eine gallische Druidenpriesterin, die sich der Frieden gebietenden Göttin des Mondes und der Fruchtbarkeit verpflichtet weiß.
Sie weigert sich, den kriegshungrigen Galliern das Signal zum Aufstand gegen die römische Fremdherrschaft zu geben. Die beiden Kinder, die sie in heimlicher Ehe mit dem Römer Pollione geboren hat, hält sie vor ihren Landsleuten verborgen. Als ihr Ehemann sie mit einer jüngeren Frau zu betrügen versucht, droht ihre Existenz zu zerbrechen. Sie überwindet die Versuchung, ihre Kinder zu töten und ihre Rivalin zu strafen. Ihre Selbstanzeige rettet ihnen das Leben.
Norma
Handlung

Oroveso, das Oberhaupt der Druiden, verpflichtet die Gallier, gegen die verhasste römische Fremdherrschaft ohne göttliche Zustimmung nichts zu unternehmen. Bei Aufgang des Mondes wird seine Tochter, die Priesterin Norma, den göttlichen Willen verkünden. Die Männer rufen Irminsul, den Gott des Krieges, an: Er möge das Zeichen zum Aufstand geben.
Heimlich führt Pollione, der römische Prokonsul, mit Norma ein eheähnliches Verhältnis. Sie haben zwei Kinder. Aber nicht um seine Familie zu sehen, hat Pollione sich in den Tempel eingeschlichen, sondern um Adalgisa willen, einer jungen Priesterin, in die er sich verliebt hat.
Norma tritt vor das Volk. Sie prophezeit den Untergang Roms: »Eines Tages wird es sterben; doch nicht durch euch. An den eigenen Lastern geht es zugrunde.« Ihre spirituelle Autorität zwingt die Gallier, in das Gebet an die Mondgöttin mit der Bitte um Frieden einzustimmen. Dann entlässt sie die Gemeinde. Einmal mehr hat sie Pollione und ihre Kinder vor der Gefährdung durch einen Aufstand bewahrt.

Pollione eröffnet der von Liebe und Schuldgefühlen bedrängten Adalgisa, dass er nach Rom zurückkehren wird. Adalgisa ent- scheidet sich, ihm zu folgen.
Norma offenbart ihrer Vertrauten Clotilde ihre Ängste angesichts der Entfremdung Polliones von ihr. Adalgisa bekennt Norma, dass sie sich verliebt hat. Zu ihrer Überraschung entbindet Norma sie von ihrem Gelübde. Doch als offenbar wird, dass ihr Geliebter der Vater von Normas Kindern ist, stößt Adalgisa Pollione als Lügner zurück. Norma verflucht ihn.

Norma glaubt, ihre Kinder töten zu müssen: bei den Galliern sei ihnen der Tod sicher, bei den Römern die Sklaverei, »schlimmer noch als Tod«. Sie vermag es nicht. Nun fordert sie Adalgisa auf, Pollione zu heiraten und sich ihrer beiden Kinder als Stiefmutter anzunehmen. Doch Adalgisa gelingt es, der zum Selbstmord entschlossenen Norma wieder Hoffnung zu geben: Sie selbst will Pollione dazu bewegen, zu ihr und den Kindern zurückzukehren.
Oroveso mahnt die Gallier, die das römische Lager überfallen wollen, zur Zurückhaltung, denn Pollione soll von einem wesentlich brutaleren Prokonsul abgelöst werden.

Clotilde bringt Norma die Nachricht, dass Adalgisas Vermittlungsversuch gescheitert ist. Norma gibt das von den Galliern ersehnte Signal zum offenen Aufstand. Pollione wird gefangen hereingeschleppt: Er hatte versucht, die sich ihm verweigernde Adalgisa zu entführen. Norma macht Pollione unter vier Augen ein letztes Angebot: Wenn er bereit ist, von Adalgisa abzulassen, wird sie ihm die Flucht ermöglichen. Doch seinen zynischen Gleichmut vermag erst ihre Drohung zu erschüttern, Adalgisa vor seinen Augen hinrichten zu lassen.
Norma ruft das Volk zurück. Sie habe den Landesverrat einer eidbrüchigen Priesterin anzuklagen. Doch statt Adalgisa zu denunzieren, antwortet sie auf die erregten Fragen nach deren Identität mit den Worten: »Ich bin es.« Angesichts ihres Selbstopfers bekennt sich Pollione wieder zu seiner Liebe zu ihr; doch seine Bitte, ihm zu verzeihen, lässt Norma unbeantwortet. Ihrem Vater Oroveso gesteht Norma, dass sie Mutter ist. Bevor sie den Scheiterhaufen besteigt, vermag sie dem Widerstrebenden das Versprechen abzuringen, ihre Kinder vor der Wut ihres Volkes zu schützen.
»Norma erzählt eine häusliche Geschichte, die Geschichte einer sehr besonderen Familie. Ein Thema, das in jeder Familie eine Rolle spielt, ist das Geheimnis. Norma ist in geheimer Liebe mit einem Landesfeind verbunden. Und aus dieser Verbindung sind zwei Kinder geboren, deren Abstammung geheim gehalten werden muss. Im Mittelpunkt dieser spannenden Geschichte steht eine sehr starke Frau: Sie ist das spirituelle Oberhaupt, die Priesterin ihres Volkes, aber sie hat auch eine politische Funktion. Und zugleich ist sie Mutter und Geliebte. Viele Aspekte weiblicher Identität sind in ihrer Figur verbunden. Diese sehr, sehr starke, sehr komplexe Frauengestalt ist gleichzeitig einem extrem patriarchalen System ausgeliefert, gegen das sie sich behaupten muss. Sie ist auf der Suche nach der Freiheit – nach ihrer persönlichen Freiheit in einem patriarchalen Gefüge.« (Cyril Teste)
Vincenzo Bellinis Oper Norma ist bekannt für ihre wunderschöne Musik und ihre emotionalen Höhepunkte. Besonders berühmt ist das Gebet der Oberpriesterin an die Mondgöttin („Casta diva“), der verführerische Gesang des römischen Prokonsuls Pollione („Vieni a Roma...“) und die Duette zwischen der Oberpriesterin und der Novizin, die die Harmonie und Spannung zweier Sopranstimmen eindrucksvoll zeigen.
Diese musikalischen Meisterwerke sind eingebettet in eine kontrastreiche Struktur. Sie reicht von einer leidenschaftlichen Ouvertüre über die geheimnisvolle Atmosphäre der nächtlichen Einführung bis hin zu kraftvollen Ensemble-Konfrontationen und mitreißenden Chornummern. Dabei setzt Bellini das Orchester gezielt ein, um die dramatischen Momente auf der Bühne zu verstärken.
Ein Höhepunkt ist das große Finale, in dem Normas klagender Gesang an ihren Vater alle Stimmen vereint und das Geschehen auf eine fast überirdische Ebene hebt.
Bellini schuf seine Oper gemeinsam mit seinem bevorzugten Librettisten, dem für Eleganz, Wohllaut und Pathos seiner Verse bewunderten Felice Romani, und für die Tragödin Giuditta Pasta, die in Rossinis Seria-Partien neue Maßstäbe gesetzt hatte: Die schauspielerische Beseelung ihrer Rollen galt als beispiellos, ihre Stimme faszinierte durch unerhörte Modulations- und Ausdrucksfähigkeit. Als Vorlage für die neue Oper wurde die kurz zuvor in Paris kreierte gleichnamige Tragödie von Alexandre Soumet gewählt. In einem Brief trägt Bellini der Pasta das Stück mit den Worten an: »Ich hoffe, dass dies Sujet Ihrem Geschmack entspricht: Romani hält es für sehr effektvoll und Ihrem enzyklopädischen Charakter angemessen.«