Über das Werk
Da er sich politisch absichern möchte, will Lord Enrico seine Schwester Lucia mit dem einflussreichen Lord Arturo verheiraten. Doch Lucia ist unsterblich in den Todfeind Enricos verliebt – in Sir Edgardo, der sie wiederliebt.
Enrico nutzt daraufhin eine längere Abwesenheit Edgardos, um die von ihm abgelehnte Verbindung erfolgreich zu unterlaufen und Lucia gefügig zu machen, den von ihr ungewollten Arturo zu akzeptieren. Als Edgardo unerwartet mitten in die Hochzeitsfeierlichkeiten Lucias und Arturos hineinplatzt und Lucia der Untreue bezichtigt, bricht diese endgültig innerlich zusammen: In einem Anfall von Irrsinn tötet sie in der Hochzeitsnacht Arturo und stirbt wenig später selbst. Als Edgardo von ihrem Tod erfährt, ersticht er sich.
Lucia di
Lammermoor
Handlung
Lord Enrico Ashton hat einst der Familie Ravenswood die Herrschaft entrissen und das Familienoberhaupt – Edgardos Vater – getötet.
Nach einem Thronwechsel gehört Enrico allerdings mit einem Male der politisch verfolgten Seite an und muss um sein Leben fürchten. Um sich zu retten, gedenkt er, seine Schwester Lucia, die er stets von der Außenwelt abgeschirmt hat, mit dem einflussreichen Lord Arturo Bucklaw zu verheiraten.

Als er dieses Vorhaben seinem näheren Umkreis mitteilt, weist Raimondo, der Erzieher Lucias, darauf hin, wie sehr Lucia noch um ihre kürzlich verstorbene Mutter trauert, und daher an eine Hochzeit nicht einmal zu denken imstande sei. Zu seinem großen Entsetzen erfährt Enrico daraufhin von seinem Hauptmann Normanno, dass Lucia trotz des Verlustes mittlerweile sehr wohl unsterblich verliebt wäre, und zwar in einen ihr Unbekannten, der sie heldenmütig vor dem plötzlichen Angriff eines wilden Stieres beschützt hatte und dass es sich bei diesem Unbekannten offenbar um niemand Geringeren handelte, als um Enricos Todfeind Edgardo.

Zornentbrannt schwört Enrico blutige Rache. Während die psychisch auffällige Lucia auf ein Zusammentreffen mit Edgardo wartet, erzählt sie ihrer Betreuerin Alisa von einer beängstigenden Vision, in der Lucia den Geist jener Frau gesehen zu haben meint, die von einem Ravenswood in einem eifersüchtigen Anfall ermordet und dann in einen Brunnen geworfen worden war. Doch die Liebe zu Edgardo und die Aussicht auf sein baldiges Kommen heitert ihre Laune sehr bald wieder auf. Allerdings eilt Edgardo kurz darauf nur herbei, um sich von Lucia vor einer längeren Reise nach Frankreich zu verabschieden. Seinem Plan, zuvor noch einen Versuch zur Versöhnung mit Enrico zu unternehmen, lehnt Lucia voller Furcht ab – ihre Liebe möge geheim bleiben. Zum Abschied wechseln die beiden rasch die Ringe zum Zeichen ihres Liebeseides.
Während der langen Abwesenheit Edgardos werden all seine Briefe an Lucia von Enrico und Normanno abgefangen und durch einen gefälschten ersetzt: Lucia soll auf diese Weise von der Untreue Edgardos überzeugt und für die Hochzeit mit Arturo gefügig gemacht werden. Da Lucia trotz allem Edgardo treu bleiben möchte, führt Enrico seiner Schwester vor Augen, dass ihre Weigerung Arturo zu heiraten, den Untergang ihrer Familie bedeuten würde. Als schließlich Raimondo auch noch an den Seelenfrieden der toten Mutter gemahnt, willigt Lucia verzweifelt ein, ersehnt aber zugleich den Tod.

Im Rahmen der Hochzeitsfeierlichkeiten mit Arturo wird die ihrer Sinne nur mehr bedingt mächtige Lucia zur Unterzeichnung des Ehevertrages genötigt. Kaum ist dies geschehen, betritt Edgardo unerwartet den Raum, um seine Rechte auf Lucia einzufordern. Als er jedoch erfährt, dass die junge Frau die Ehe mit Arturo bereits mit ihrer Unterschrift beglaubigt hat, gibt der Verzweifelte Lucia den Ring zurück und flieht auf sein Gut nach Wolferag. Ein Gewitter zieht auf.
Zornentbrannt verlässt Enrico die Hochzeit und sucht mitten in der Nacht seinen Kontrahenten in dessen Turm in Wolferag auf – von Hass, Rachegelüsten und Eifersucht getrieben, verabreden sich die beiden zu einem Duell im Morgengrauen bei den Gräbern der Ravenswood.
Währenddessen hat Lucia im Brautgemach in einem Anfall von Irrsinn Arturo erstochen. In vollständiger geistiger Verwirrung betritt sie den nach wie vor mit Gästen gefüllten Festsaal, wo sie sich in einer Vision zunächst auf ihrer Hochzeit mit Edgardo wähnt und dann den nicht anwesenden Geliebten beschwört, ihr zu verzeihen und an ihrem Grab zu trauern.

Den Wahnsinn seiner Schwester vor Augen, erkennt der zurückgekehrte Enrico nun viel zu spät seine Schuld. Bei den Gräbern der Ravenswood wartet Edgardo auf das Duell mit Enrico. Von einigen Vorbeigehenden erfährt er, dass Lucia den Verstand verloren habe, im Sterben liege und klagend nach ihm verlange.
Sofort will sich Edgardo aufmachen, um die Geliebte ein letztes Mal zu sehen, doch da tritt ihm Raimondo entgegen und bestätigt ihren Tod, den zuvor schon das Läuten der Totenglocken verkündet hat. In der Hoffnung, wenigstens im Jenseits mit Lucia verbunden zu sein, ersticht sich Edgardo.
Für die aktuelle Inszenierung diente Jean Epsteins Verfilmung von Edgar Allan Poes The Fall of the House of Usher als Inspirationsquelle: Einerseits übernahm Regisseur Laurent Pelly das dort eingefangene Changieren zwischen der realen und einer nebelverhangenen mystischen Welt und andererseits die schwarz-weiß bzw. Grautöne, um die dunkle Stimmung von Lucias Welt aufzuzeigen. Als einzigen Kontrast verwendete Pelly in der Wahnsinnsszene die Farbe Rot als Symbol des vergossenen Blutes. Anders als meist üblich, zeigt die Inszenierung überdies Lucias psychische Auffälligkeit als genetisches Erbe, das sie mit ihrem Bruder Enrico teilt. Nicht sie allein ist in dieser Produktion also dem Wahnsinn verfallen, sondern offenbar ihre gesamte Familie.
Lucia di Lammermoor gilt als Schlüsselwerk der italienischen romantischen Oper, in der, anders als in den zeitgleich entstandenen entsprechenden deutschen und französischen Beispielen, das übersinnliche Geschehen in das Innere des Menschen verlagert wird. Der Geisterspuk mutiert zur Geisteskrankheit, die traumatischen Erlebnisse verdichten sich zur Psychose. Und so steht auch in Lucia di Lammermoor nicht umsonst die für die Sängerin ungeheuer herausfordernde und zugleich effektvolle Wahnsinnsarie der Titelfigur im musikdramaturgischen Zentrum der Oper. Das Werk lebt überdies vom melodischen Reichtum, einer musikpsychologischen Durchgestaltung der Charaktere und einer atmosphärischen Stimmungsmalerei. Zugleich weichten Donizetti und sein Librettist Cammarano gekonnt das vorgeschriebene Formenschema der Belcanto-Oper auf und nahmen dabei sogar die gestische Szenensprache eines Giuseppe Verdi vorweg.
Gewissermaßen als Schlusspunkt einer ganzen Vertonungsserie von Sir Walter Scotts Roman The Bride of Lammermoor schufen Gaetano Donizetti und der Librettist Salvadore Cammarano mit ihrer ersten Zusammenarbeit innerhalb weniger Wochen die dreiaktige Lucia di Lammermoor. Da das für die Uraufführung vorgesehene Teatro San Carlo in Neapel in ein finanzielles Desaster geschlittert war, verzögerte sich der Premierentermin um mehrere Monate, bis das Werk mit großem Erfolg aus der Taufe gehoben wurde und den Siegeszug um die Welt antrat.
An der Wiener Staatsoper wurde Lucia di Lammermoor kurz nach der Eröffnung des Hauses bereits 1870 in den Spielplan aufgenommen und auch hier wurde es ein Paradestück der großen Primadonnen. So sind mit diesem Werk beispielsweise auch die einzigen Auftritte der legendären Maria Callas an der Wiener Staatsoper verbunden – sie sang die Titelpartie 1956 in einem Gastspiel der Mailänder Scala im Haus am Ring. Und auch Edita Gruberova schrieb ab 1978 als Lucia Wiener (und damit internationale) Aufführungsgeschichte.