Über das Werk
Ohne um die Bedrohungen zu wissen, die ihn umgeben, versucht der römische Kaiser Tito, seinem Amt ebenso gerecht zu werden wie seinem Anspruch an sich selbst.
Tito übt sich in Großherzigkeit: Er vergibt seinen Gegnern und stiftet das Geld, das für den Bau eines Tempels zu seinen Ehren gedacht ist, für die Opfer des letzten Vesuvausbruchs. Auch Servilia, die er aus Gründen der Staatsraison heiraten wollte, gibt er frei, als ihr Geliebter Annio ihn darum bittet. Nur gegen den heimlichen Zorn Vitellias, die ihn und die Mitregentschaft für sich beansprucht und seinen Freund Sesto zu Mord und Aufruhr anstiftet, ist er nicht gewappnet. Schon steht das Kapitol in Flammen. Als Sesto gesteht, Urheber des Aufstandes zu sein, steht Tito vor der Entscheidung, das Todesurteil des Senats zu unterzeichnen oder die sprichwörtliche Milde walten zu lassen.
Dem Kompositionsauftrag und der Vorlage, einem Libretto Pietro Metastasios, entsprechend, warf Mozart mit La clemenza di Tito einen Blick zurück auf die Opera seria. Indem er mit einer laut seinem Werkverzeichnis “zu einer wahren Oper reduzierten” Fassung des Dresdner Hofdichters Caterino Mazzolà arbeitete, hatte der Komponist allerdings eine kompaktere und der musikalischen Dynamik entgegenkommendere Fassung zur Verfügung: von den ursprünglich 25 Arien blieben nur sieben erhalten, vier mit neuem Text kamen hinzu.
Auch innerhalb der zur Entstehungszeit gelobten “strengen Form” gelangen Mozart ergreifende Momente wie das Duett No. 7 (Annio und Servilia), das Quintett zum Finale des 1. Aktes weist als spannungsreiches Aktionsfinale über die ältere Opera seria hinaus und vermag sogar Erinnerungen an die Finali der Da Ponte-Opern aufblitzen zu lassen. Bemerkenswert sind auch die Arien mit obligatem Klarinetten- bzw. Bassethornsolo (No. 9, Sesto und No. 23, Vitellia), die Mozart für seinen Freund und Logenbruder Anton Stadler schrieb, einen Virtuosen auf beiden Instrumenten.
Als Krönungsoper anlässlich der Krönung Kaiser Leopolds II hatten die böhmischen Stände das Werk beauftragt – eine Krönung, die Joseph II. noch verweigert hatte. La Clemenza di Tito war von den von Klerus und Adel dominierten Ständen auch als ein Appell an die Milde Leopolds in dem Sinn gemeint, dass sie sich die Rücknahme der zentralistischen Reformen Josephs II. zugunsten regionaler Privilegien erhofften. Eine Hoffnung, die enttäuscht wurde.
Gegenüber der Metastasio-Fassung fällt an der Oper des Freimaurers Mozart, die immerhin im Angesicht der Französischen Revolution uraufgeführt wurde, auf, dass die Milde des Herrschers nicht mehr aus dessen Gottesgnadentum, sondern aus seinen eigenen moralischen Überzeugungen erklärt wird.