Über das Werk
»Ihre Schönheit war nicht irdischer, sondern göttlicher Natur, doch nicht nur wie die einer Nereide oder Bergnymphe, sondern wie die der Aphrodite selbst. Die Kunde von ihrem überwältigenden Anblick verbreitete sich überall, und Freier strömten nach Syrakus (...).«
Mit diesen Worten über seine Titelheldin Kallirhoe beginnt der Autor Chariton von Aphrodisias, der sich selbst als »Sekretär des Anwalts Athenagoras« betitelt, die Prosaerzählung über die Liebenden Kallirhoe und Chaireas, auf deren glückliche Hochzeit allerlei Konflikte, Katastrophen, unfreiwillige Reisen und Gefahren folgen, bevor sie am Ende wieder miteinander vereint sind.
Der früheste vollständig überlieferte antike Liebesroman Kallirhoe, vermutlich im 1. Jahrhundert n. Chr. entstanden, handelt von der »Eifersucht der Menschen und den Launen der Götter« und beschreibt große Gefühle wie Liebe, Neid, Verlust und Vergebung. Starchoreograf Alexei Ratmansky, seit jeher fasziniert von antiker Kunst und Kultur, hat diesen 2020 als Handlungsballett mit dem American Ballet Theatre uraufgeführt und ein Werk kreiert, welches ein choreografisches, zeitgenössisches Porträt einer alten Welt zeigt. Die europäische Erstaufführung von Kallirhoe mit dem Wiener Staatsballett verspricht – zur prächtigen und gleichsam poetischen Musik von Aram Chatschaturjan – episches Drama sowie großartigen Tanz.
»Es geht um eine große Liebe – und um Abenteuer. Die erste Liebe, die dann als reife Emotion zurückkehrt, gefestigt durch die Erfahrung schrecklicher Unglücke.«
Alexei Ratmansky
Kallirhoe
Handlung
Im Jahr 400 v. Chr. in der griechischen Stadt Syrakus feiert ein Chor von Frauen Aphrodite, die Göttin der Liebe. Sie wird von Kallirhoe begleitet, einer Frau, die so schön ist, dass sie mit Aphrodite verglichen wird. Eine Gruppe junger Athleten, angeführt von Chaireas und seinem Freund Polycharmus, kommt an. Kallirhoe und Chaireas erblicken einander und verlieben sich sofort.
Kallirhoes neidische Freier holen ihren Vater Hermokrates und Chaireas’ Vater Ariston, die erbitterte Feinde sind, in der Hoffnung, dass sie die jungen Liebenden auseinanderbringen. Doch die Väter lassen ihren Streit ruhen und stimmen zu, dass ihre Kinder heiraten dürfen. Kallirhoe und Chaireas tauschen Armbänder aus, um ihre Hingabe zu zeigen, und die Hochzeitsfeierlichkeiten beginnen. Unbeirrt schmieden die Freier einen neuen Plan. Einer gibt heimlich Kallirhoes Magd ein Armband, das identisch mit den Hochzeitsarmbändern ist, und sie benutzen es, um Chaireas glauben zu machen, Kallirhoe sei untreu. In einem Eifersuchtsanfall stürmt er zu ihr, um sie zur Rede zu stellen. Obwohl sie ihre Unschuld beteuert, hört er nicht auf sie. Sie bricht verzweifelt zusammen und ist scheinbar tot. Ihre reuige Magd enthüllt den Plan gegenüber Chaireas und er verfällt in Verzweiflung, da er glaubt, er habe Kallirhoe getötet.
Die trauernden Bürger beerdigen Kallirhoe. Nachdem alle gegangen sind, erwacht sie und stellt entsetzt fest, dass sie lebendig begraben ist. Der Pirat Theron und seine Bande kommen, um das Grab zu plündern, und entführen Kallirhoe zusammen mit dem Schatz.
In seiner Trauer kehrt Chaireas mit Polycharmus zu Kallirhoes Grab zurück und ist schockiert, dieses völlig leer vorzufinden. Sie erkennen, dass Kallirhoe am Leben sein muss, und eilen los, um sie zu finden.
Auf der anderen Seite des Meeres in Miletus beklagt der Adelige Dionysius den Tod seiner Frau. Die Piraten kommen an und verkaufen Kallirhoe an Dionysius. Sobald er sie sieht, vergisst er seinen Kummer und verliebt sich. Inzwischen vermutet sein Diener Plangon, dass Kallirhoe schwanger ist. Kallirhoe erklärt, dass es das Kind von Chaireas sei. Plangon rät ihr, Dionysius zu heiraten, um sich und ihr Kind zu schützen, und Kallirhoe stimmt widerwillig seinem Vorschlag zu. Als die Hochzeit beginnt, kommt Chaireas an. Plangon sieht sein Armband und schließt daraus, dass er Kallirhoes Ehemann ist. Loyal gegenüber Dionysius und bestrebt, dessen neu gefundenes Glück zu bewahren, lässt er Chaireas und Polycharmus verhaften.
Die nun Gefangenen Chaireas und Polycharmus werden zum Palast des mächtigen Mithridates gebracht. Er sieht Chaireas’ feines Armband und fragt ihn, wer er sei. Während Chaireas seine Geschichte erzählt, entfaltet sich diese vor ihm in einer Vision. Mithridates will Kallirhoe für sich selbst und befiehlt seinen Wachen, sie zu finden. Als sie ankommt, kämpfen Dionysius und Mithridates um sie. Doch sie werden gestoppt und daran erinnert, dass gemäß Gesetz alle Streitigkeiten zwischen Adeligen vom König von Babylon entschieden werden müssen.
In Babylon stellen Dionysius und Mithridates ihre Situation vor dem König dar. Dionysius erklärt, Mithridates habe versucht, seine Frau zu verführen, doch Mithridates argumentiert, dass Kallirhoe nicht Dionysius’ Frau sei, da sie bereits mit Chaireas verheiratet sei. Kallirhoe und Chaireas werden vorgeladen und ihre Armbänder beweisen, dass sie verheiratet sind. Obwohl sie sich wieder vereinen wollen, werden sie vom König gestoppt, der nun ebenfalls von Kallirhoe verzaubert ist. Er weigert sich, auf die Proteste aller zu hören und zwingt sie, mit ihm zu tanzen.
Plötzlich bricht Chaos im Palast aus, als Ägypten Krieg gegen Babylon erklärt. Der König bringt seinen Hof in Sicherheit, nimmt Kallirhoe mit sich und ernennt Dionysius zum General seiner Armee. Ein rachsüchtiger Chaireas tritt in die ägyptische Armee ein. Im Kampf wird der ägyptische General verwundet, und Chaireas’ Entschlossenheit, für seine Liebe zu kämpfen, wird doppelt so stark. Er führt die ägyptischen Truppen zum Sieg.
Nach ihrem überstandenen Abenteuer werden Kallirhoe und Chaireas wieder vereint. Ein reumütiger Chaireas bittet sie um Vergebung, und sie ist hin- und hergerissen. Obwohl sie Dionysius’ Freundlichkeit dankt, erkennt sie, dass sie nur Chaireas liebt. Sie entscheidet, ihm zu vergeben. Dionysius akzeptiert ihre Wahl und, als Geste seiner Liebe, lässt er Plangon Kallirhoe ihren Sohn bringen. Kallirhoe, Chaireas und ihr Sohn machen sich auf den Heimweg.
»Dieses Ballett ist keine Archäologie. Es ist für die Bühne gedacht, und alles ist von der Musik von Chatschaturjan geprägt, die ein antikes Gefühl mit sich bringt«, sagt Choreograph Alexei Ratmansky über sein Handlungsballett Kallirhoe, dass er zu verschiedenen Musiken des russischen Komponisten choreographiert hat. Arrangiert hat diese der britische Komponist und Pianist Philip Feeney. Als Grundlage diente ihm Chatschaturjans Ballettmusik Gayaneh, die er um Einschübe aus anderen Werken erweiterte.