Geschichte der Wiener Staatsoper

Der Bau der Wiener Staatsoper

Im Dezember 1857 wurde in der Wiener Zeitung ein kaiserliches Dekret veröffentlicht, das den Abriss der Wiener Stadtmauern und die Errichtung der Ringstraße ankündigte. Diese neue Prachtstraße sollte von bedeutenden Bauwerken gesäumt werden und die Stadtlandschaft Wiens nachhaltig prägen. Den Auftakt der öffentlichen Bauvorhaben bildete das Projekt eines neuen Opernhauses. Im Juli 1860 wurde ein Wettbewerb zur Gestaltung dieses neuen Logentheaters ausgeschrieben. Gefordert wurde ein Bau für rund 2.500 Zuschauer, geeignet sowohl für Opern als auch für Ballettaufführungen. Die Aufgabe war ambitioniert: Das Opernhaus sollte ein Monument sein, das der Residenzstadt Wien würdig war.

Von den 35 eingereichten Entwürfen setzten sich die Wiener Architekten August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll durch. Unter den Mitbewerbern befanden sich Architekten aus ganz Europa, darunter der Architekt des Londoner Royal Opera House und Konkurrenten aus Berlin und Dresden. Der Bauleiter Josef Hlávka, ein Schüler der beiden Siegerarchitekten, übernahm die bauliche Umsetzung. Ursprünglich für 1864 geplant, verzögerte sich die Fertigstellung jedoch mehrfach, sodass die Oper erst 1869 eröffnet werden konnte.

Kritik und Kontroversen um das neue Opernhaus

Bereits während der Bauphase geriet das Opernhaus in die öffentliche Kritik. Die Planungsunterschiede zwischen dem Stadtbauamt und der Opernbauleitung führten dazu, dass das Gebäude aufgrund seiner Lage etwas tiefer als die Ringstraße lag und bald als »versunkene Kiste« verspottet wurde. Der berüchtigte Feuilletonist Ludwig Speidel äußerte sich bissig: »Das Haus liegt bei den reizendsten Einzelheiten als Ganzes so schwer und in der Erde sinkend auf seinem Platze wie ein in der Verdauung liegender Elefant«. Auch über die Mischung aus gotischen und Renaissance-Elementen wurde gespottet, wie der folgende Reim verdeutlicht:

Sicardsburg und van der Nüll
Die haben keinen rechten Stül
Ob Gotik oder Renaissans
Das ist den Herrn alles ans.

Tragischerweise belastete die öffentliche Kritik die beiden Architekten schwer: Van der Nüll, der an Depressionen und einem Gehirntumor litt, beging noch vor der Fertigstellung Selbstmord, und auch Sicard von Sicardsburg verstarb kurz danach. Zum Gedenken an die beiden Architekten sind ihre Profilportraits heute prominent über der Feststiege des Opernhauses angebracht.

Kaiserliche Einflüsse und künstlerische Details

Die Baukosten der Oper beliefen sich auf 6.116.647,61 Gulden. Kaiser Franz Joseph nahm dabei persönlich Einfluss auf einige Details. So bestimmte er beispielsweise, dass im Schwindfoyer, das nach dem Maler Moritz von Schwind benannt ist, auf den Lunettenflächen Szenen aus beliebten Opern dargestellt werden sollten. Der Kaiser änderte eigenhändig den Entwurf zu einer Szene aus Norma und wünschte stattdessen eine Darstellung aus Carl Ditters von Dittersdorfs Doktor und Apotheker, die noch heute dort zu sehen ist.

Die Eröffnung des Hauses am Ring

Am 25. Mai 1869 eröffnete das Haus am Ring mit einer Aufführung von Mozarts Don Giovanni – in deutscher Sprache. Die Wahl der Eröffnungsoper sorgte im Vorfeld für rege Diskussionen. Drei Werke standen zur Auswahl: Don Giovanni, die populärste Oper Mozarts und ein Repertoirestück, das als sicherer Publikumserfolg galt; Die Zauberflöte, die als »Wienerische Oper« angesehen wurde und deren Motive bereits in der Dekoration des Schwindfoyers verewigt waren; sowie Armide von Christoph Willibald Gluck, die wegen ihrer exotischen Handlung und der damit verbundenen Möglichkeit für ein aufwendiges Bühnenbild vor allem von der Operndirektion favorisiert wurde.

Die Entscheidung zog sich bis knapp vor die Eröffnung hin. Letztlich fiel die Wahl auf Don Giovanni, nicht zuletzt, weil man argumentierte, dass das vom »Steuergeld des Volkes« finanzierte Opernhaus mit einer deutschen Oper eröffnet werden sollte. Einen Monat vor der Eröffnung stand die Entscheidung offiziell fest.

Der erste Direktor: Freiherr von Dingelstedt

Der erste Direktor des neuen Opernhauses, Freiherr von Dingelstedt, galt als erfahrener Theaterleiter und Organisationstalent. Er war Anhänger eines prunkvollen Ausstattungstheaters und schaffte es, die Übersiedlung des Ensembles aus dem alten Kärntnertortheater sowie die Eröffnung des neuen Hauses am Ring reibungslos zu organisieren. Unter seiner Leitung etablierte sich ein abwechslungsreiches Repertoire, das neben Mozart-Opern auch Werke von Wagner umfasste und das Wiener Publikum begeisterte.

In den folgenden Jahrzehnten wuchs die künstlerische Bedeutung des Hauses stetig. Ein erster Höhepunkt wurde um die Jahrhundertwende unter Gustav Mahler erreicht. Mahler erneuerte das Aufführungssystem, stärkte den Ensemblegeist und führte eine präzise, neue Ästhetik auf der Bühne ein, die das Erscheinungsbild der Wiener Oper nachhaltig prägte.

Von der Hofoper zur Wiener Staatsoper

Nach dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie und mit der Gründung der Ersten Republik änderte sich auch der Name des Hauses. Zunächst wurde es in »Operntheater« umbenannt, bis schließlich die heute gebräuchliche Bezeichnung »Wiener Staatsoper« festgelegt wurde. Die Wiener Staatsoper bleibt bis heute ein Symbol der Wiener Kultur und ist ein bedeutendes Opernhaus von internationalem Ruf.

Dunkle Jahre im Nationalsozialismus

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1938 änderte sich das Leben und die Kultur in Wien dramatisch, insbesondere auch im berühmten Haus am Ring. Der »Anschluss« an das nationalsozialistische Deutsche Reich brachte sofort verheerende Folgen für das kulturelle Leben, insbesondere für die Wiener Staatsoper. Zahlreiche Künstler und Mitarbeiter, insbesondere jüdischer Herkunft oder politisch unliebsam, wurden verfolgt, ausgegrenzt und aus dem Haus entfernt. Diese Verfolgung hatte Auswirkungen auf den gesamten Betrieb – von der Bühnentechnik bis hin zur Direktion. Gleichzeitig fanden NS-Künstler und Regime-treue Protegés ihren Platz an der Wiener Staatsoper.

Die systematische Ausgrenzung und Verfolgung

Bereits unmittelbar nach dem 13. März 1938 wurden Listen von Künstlern und Mitarbeitern erstellt, die beurlaubt, gekündigt oder zwangspensioniert werden sollten. Diese systematische Verfolgung und Vertreibung war ein beispielloser Angriff auf die kulturelle Identität des Hauses. Die künstlerische Vielfalt und offene Ausdrucksformen, die das Haus prägten, wurden durch ein repressives Regime ersetzt, das die künstlerische Freiheit stark einschränkte und kontrollierte.

Verbotene Werke und Zensur

Im Zuge der nationalsozialistischen Zensur wurden nicht nur künstlerische Mitarbeiter entfernt, sondern auch zahlreiche Werke verboten. Werke von jüdischen Komponisten und Librettisten, darunter bekannte Werke wie Wozzeck, Les Contes d’Hoffmann, La Juive oder Die tote Stadt, durften nicht mehr aufgeführt werden. Die Zensur hatte dabei fatale Auswirkungen auf das Repertoire und die kreative Vielfalt des Hauses. Zugleich wurden NS-konforme Werke und Propagandastücke in das Repertoire aufgenommen. So musste beispielsweise Rudolf Wille’s »Königsballade«, eine Oper mit nationalsozialistischem Inhalt, unter Zwang uraufgeführt werden, blieb jedoch aufgrund des mangelnden Publikumsinteresses ein Misserfolg.

Die skurrile Erstaufführung von „Friedenstag“ und der Zweite Weltkrieg

Eine der bizarreren Episoden in der Geschichte der Staatsoper während dieser Zeit war die Uraufführung von Richard Strauss’ Friedenstag am 10. Juni 1939. Diese Oper, die den Frieden thematisiert, wurde unter Anwesenheit von Adolf Hitler aufgeführt, was die perverse Verflechtung von Kunst und Ideologie zur damaligen Zeit symbolisierte. Interessanterweise kritisierte ein Sänger dieser Aufführung in einem privaten Akt die Situation und schrieb das Wort »Krieg« auf einen seiner Klavierauszüge, was eine subtile Form des Widerstands darstellt.

Die letzten Aufführungen vor der Zerstörung

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Theatersperre ab Juni 1944 wurde der reguläre Vorstellungsbetrieb an der Staatsoper stark eingeschränkt. Viele glaubten, dass Wagners Götterdämmerung die letzte Aufführung im alten Haus gewesen sei, doch tatsächlich fanden auch in den folgenden Monaten weiterhin einzelne Vorstellungen statt. Die definitiv letzte Aufführung vor der Zerstörung des Hauses war jedoch Martha von Friedrich von Flotow am 5. Januar 1945 – ein symbolischer Akt am Ende eines Jahrhunderts voller künstlerischer Blüte.

Wiederaufbau und Zwischenlösungen

Bereits am 1. Mai 1945 eröffnete die Staatsoper in der Volksoper mit einer Aufführung von Mozarts Le nozze di Figaro.

Am 6. Oktober 1945 wurde das in Eile restaurierte Theater an der Wien mit Beethovens Fidelio wiedereröffnet. In den folgenden zehn Jahren diente das Theater an der Wien als Ersatzspielstätte, während das Stammhaus aufwendig wiederaufgebaut wurde. Bereits am 24. Mai 1945 hatte Staatssekretär Julius Raab den Wiederaufbau der Wiener Staatsoper angekündigt.

Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper

Nur die Hauptfassade, die Feststiege und das Schwind-Foyer waren vom Bombenangriff verschont geblieben. Mit einem neuen Zuschauerraum und modernster Bühnentechnik wurde die Wiener Staatsoper am 5. November 1955 unter Karl Böhm mit Beethovens Fidelio feierlich wiedereröffnet. Die Feierlichkeiten wurden vom Österreichischen Fernsehen übertragen und weltweit als Symbol des Neubeginns der Zweiten Republik wahrgenommen.