»Was bedeutet Heimat für dich?«
Mit Hannah Eisendles neukomponierter Jugendoper Elektrische Fische, einer Koproduktion von Wiener Staatsoper, Jeunesse und Oorkaan (NL), tourt die Wiener Staatsoper durch die Bundesländer. Das Stück wird in verschiedenen Spielstätten gezeigt – einmal im Stadtsaal, dann wieder im Schulauditorium. Die Uraufführung findet am 26. Jänner 2024 in Zwettl (NÖ) statt. Die niederländische Regisseurin Kenza Koutchoukali führt Regie, das Bühnenbild und die Kostüme stammen von Mahshad Safaei.
»Ich kann Deutsch genauso gut wie Englisch - dachte ich! Die englische Sprache bin ich. Deutsch spreche ich nur. Deutsch ist Meere von mir entfernt.« Emma
»Freunde, wir haben eine neue Schülerin. Das ist Emma Keegan aus Dublin«. Mit diesem Satz beginnt die Oper, und sofort ist das Publikum mitten in Emmas neuer und – wie sie selbst findet – unglücklicher Lebenssituation. Aufgrund der Trennung ihrer Eltern muss sie mit ihren beiden Geschwistern von Dublin in einen kleinen, langweiligen Ort nach Mecklenburg-Vorpommern ziehen. Sie wurde nicht gefragt, sie wurde einfach mitgenommen und hasst alles an diesem neuen Ort: die andersartigen Teebeutel, das harte deutsche Brot, die neue Schule samt neuen Mitschüler*innen und Lehrpersonen. Bald lernt sie aber Levin kennen, mit dem sie sich anfreundet. Gemeinsam schmieden sie einen Plan, wie Emma am besten zurück in ihre Heimat kommen kann. Das Meer als Verbindung und Trennung der beiden durch Emmas Lebensgeschichte verbundenen Orte bekommt eine weitere Bedeutung, als Levins Mutter beinahe ertrinkt und Emma im richtigen Moment zu Hilfe kommt.
Mit feiner, poetischer Sprache und klanglichem Scharfsinn erzählt das Stück von Umbrüchen und großen Veränderungen, die im Leben geschehen, von Heimweh und vom Gefühl des Verloren-Seins in einer neuen Umgebung, aber auch von der Kraft von Freundschaft und dem Zusammenhalt innerhalb einer Familie. Elektrische Fische handelt von der Bedeutung der Sprache und von (Nicht-)Kommunikation und sucht nach Möglichkeiten des Zusammenlebens in schwierigen Situationen.
Vom Wo zum Wie: »Heimat ist da, wo man verstanden wird!«
Die faktische Entfernung zwischen Emmas Dublin und Mecklenburg-Vorpommern mag sich nicht bedeutend anfühlen. Aber was eine Heimat ausmacht, liegt im Auge des Betrachtenden. Emma vermisst ihre Großeltern, die englische Sprache, aber auch Pfefferminzkaugummi und das „Thank you“ – das höfliche Dankeschön an den Busfahrer beim Ein- und Aussteigen. Die Oper Elektrische Fische zeigt, wie schwierig es sein kann, sich an eine neue Umgebung anzupassen, aber auch, wie die Umgebung diese Anpassung beeinflussen kann, und welche Rolle jede*r von uns dabei spielen kann.
Als Bürger*innen nicht nur eines Landes, sondern einer Welt ist die Frage, wie wir zusammenleben können, eine wichtige, die wir uns immer wieder stellen. Die Frage nach dem "Wie?" bedeutet, offen zu sein für Unterschiede und verschiedene Standpunkte. Es braucht Verständnis dafür, dass es verschiedene Arten der Kommunikation und unterschiedliche Wege gibt, zueinander zu finden. Sprache ist dabei wichtig, aber nicht unerlässlich, um die Hand auszustrecken, Empathie zu zeigen und aufeinander zuzugehen.
Die Musik als Erzählerin – Die Komposition von Hannah Eisendle
In Elektrische Fische beginnt mit der Musik die Geschichte von Emma. Und die Musik beginnt mit den Musiker*innen. Wie eine Welle, die an Land bricht, wird Emma in ihre Geschichte und ihre neue Situation hineingeworfen.
Auf der Bühne stehen zwei Sänger*innen – ein Sopran und ein Tenor – sowie drei Musiker*innen, die Vibraphon und Percussion, Cello und Klarinette spielen. Als Ensemble verkörpern sie Musik als Sprache und Kommunikationsmittel. Die Komponistin Hannah Eisendle geht in dem Werk der Frage nach, wie Musik Inhalte unabhängig von szenischer und sprachlicher Darstellung vermitteln kann. Wie kann Musik als Mittel eingesetzt werden, um das Ungesagte mitzuteilen? Wie klingen Stille, Nicht-Verstehen und verweigerte Kommunikation?
Eine Besonderheit der Oper besteht darin, dass auch die Musik*innen Teil der Szene sind. So nehmen sie im Stück immer wieder unterschiedliche Rollen ein. Manchmal repräsentieren sie verschiedene Stimmungen und Atmosphären wie z.B. das Gefühl der Schwerelosigkeit oder des Chaos, manchmal verkörpern sie konkrete Rollen wie z.B. Emmas Schwester Aoife, einen Lehrer oder Mitschüler*innen; oder sie fungieren »nur« als Instrumentalist*innen, die die Musik zum Leben erwecken.
Die Elektronik dient als musikalisches Bindeglied, indem sie die Szenen akustisch konkretisiert. Zum Einsatz kommen auch Soundscapes, die unterschiedliche Orte vergegenwärtigen und so Verbundenheit ebenso wie Getrenntsein versinnlichen. Tonaufnahmen von Schauplätzen, die im Stück eine Rolle spielen, etwa von Irischer See und Ostsee, vermitteln den Eindruck des Realen wie – in elektronisch verfremdeter Form – den des Surrealen.
»Mit jeder Welle warte ich, mit jedem Zurück und mit jedem Vor«: Bühne und Kostüme von Mahshad Safaei
Bewegung, Verdrängung und Verschiebung verbinden sich in Mahshad Safaeis Kreation einer stilisierten Welle. Diese besteht aus fünf beweglichen Elementen, die die fünf Schichten des Ozeans widerspiegeln. Sie werden von den Darsteller*innen selbst verschoben und neu angeordnet und verwandeln sich in verschiedene Konstellationen, um die Atmosphäre der jeweiligen Szene zu verdeutlichen: Sie schaffen Tiefe und Abgeschlossenheit, Chaos und Ordnung, Transparenz und Reflexion. Sie zeigen mal konkret, mal abstrakt verschiedene Örtlichkeiten wie das Klassenzimmer, Levins Zuhause oder den vielschichtigen Ozean mit seinen mystischen Tiefen. Emma ist keine stumme Zuseherin ihrer Geschichte, sondern beteiligt sich schrittweise am Auf- und Umbau der Bühne, an der Gestaltung ihrer Umgebung und bringt im Laufe ihrer Reise ein Gefühl von Autonomie ein. Damit zeigt sie, dass die Erschaffung einer eigenen Geschichte keine magische Angelegenheit ist, sondern oft harte Arbeit erfordert.
Die Kostüme beschreiben den Übergang vom Sand zum Meer. Sie sind inspiriert von der fließenden, ungezwungenen Bewegung des Meeres und den natürlichen Elementen, die es umgeben, wie Wind, Sand, Korallen und Meerestiere.
Nach der Premiere in Zwettl wird die Jugendoper in Gmunden gezeigt. Elektrische Fische kommt ab der Saison 2024/2025 auch nach Wien. Auf Instagram sind unter wienerstaatsoper_jung bereits jetzt Einblicke in die Reise der Produktion zu finden.
Text: Katharina Augendopler