© Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn

Premiere von Gaetano Donizettis "Lucia di Lammermoor"

Zur Premiere und Produktion 

Nach sechseinhalb Jahren kehrt Donizettis Lucia di Lammermoor zurück auf die Staatsopernbühne und feiert am 9. Februar 2019 Premiere in einer Inszenierung von Laurent Pelly. 

Lucia di Lammermoor – im Frühsommer 1835 in nur sechs Wochen entstanden – gilt als eines der Schlüsselwerke der Musikromantik. Nicht einmal zwei Jahre nach der Uraufführung (26. September 1835 am Teatro San Carlo in Neapel) wurde die Oper am Wiener Kärntnertortheater gezeigt. Es waren dies die ersten Aufführungen des Werks außerhalb des heutigen Italiens, erst danach folgten u. a. Paris, London, New Orleans und New York. Am neuen Hoftheater, also der heutigen Wiener Staatsoper, wurde das Werk im Jänner 1870 erstmals gezeigt und stand bis 1926 regelmäßig am Spielplan. Hervorzuheben in der weiteren Aufführungsgeschichte des Werkes an der Wiener Staatsoper sind auch zwei Gastspiele der Mailänder Scala im Haus am Ring: 1929 unter Arturo Toscanini mit Toti dal Monte, Benvenuto Franci und Aureliano Pertile sowie die legendären – und einzigen drei an der Wiener Staatsoper – Abende der Maria Callas 1956 mit Herbert von Karajan am Pult und Giuseppe di Stefano als Edgardo. Und mit der bisher letzten Staatsopernpremiere von Lucia di Lammermoor 1978, die bis zuletzt 2012 insgesamt 158 Mal gezeigt wurde, startete KS Edita Gruberova in der Titelpartie damals endgültig ihre Weltkarriere. 
Musikalisch geleitet wird die nun anstehende Premierenproduktion von Evelino Pidò. Der italienische Dirigent gilt wie wenige andere als Spezialist für das italienische Fach, besonders auch für Belcanto-Werke. Lucia di Lammermoor ist seine dritte Premiere an der Wiener Staatsoper nach Anna Bolena und Adriana Lecouvreur, aber auch eine Vielzahl an Repertoireabenden wurden bisher von ihm im Haus am Ring geleitet – darunter La Fille du régiment, La cenerentola, L’elisir d’amore, I puritani, Don Pasquale, La traviata und zuletzt Tosca

Für ihn gehören tiefschürfende musikalische Quellenstudien ebenso dazu wie das Studium, die Analyse und Auswertung des gesamten verfügbaren Materials rund um eine Oper. Bei dieser Produktion greift er auf die Kritische Notenausgabe zurück. „Mit dieser Fassung, denke ich, sind wir den Wünschen des Komponisten weit näher als mit bisherigen Ausgaben.“ Für ihn ist, wie er im Interview mit Staatsoperndramaturg Oliver Láng für das Staatsopernmagazin „Prolog“ erzählt, „Lucia di Lammermoor das Meisterwerk in Donizettis Schaffen. Abgesehen von den wunderbaren Melodien, der spannenden Harmonik ist beeindruckend, wie gekonnt er auf die drei Protagonisten der Oper zu fokussieren versteht. Man darf neben Edgardo und Lucia nicht auf Enrico vergessen, der unheimlich wichtig ist.“ Speziell auf die Stimme von Olga Peretyatko, der Premieren-Lucia, zugeschnitten, hat der Dirigent die Kadenz in der Wahnsinnsarie der Lucia zudem neu verfasst. Die Sopranistin wird nun übrigens in dieser Arie– so wie von Donizetti ursprünglich intendiert – von einer Glasharmonika begleitet. 

Für die anstehende Premiere, eine Koproduktion mit der Opera Philadelphia, konnte mit Laurent Pelly ein, wie ihn Andreas Láng im Staatsopernmagazin „Prolog“ bezeichnet, „Regie-Magier“ gewonnen werden. Seine Inszenierung von La Fille du régiment (er zeichnete hierfür, ebenso wie für Lucia di Lammermoor, auch für die Kostüme verantwortlich) zählt seit Jahren zu den beliebtesten im Haus am Ring und auf anderen internationalen Bühnen. Mit Lucia di Lammermoor präsentiert der französische Regisseur und Kostümbildner seine zweite Arbeit an der Wiener Staatsoper. 

Gemeinsam mit Bühnenbildnerin Chantal Thomas (für die er u. a. auch für La Fille du régiment zusammenarbeitete) schuf er für die aktuelle Lucia-Produktion eine zwischen Realem und Visionshaftem changierende Welt, inspiriert von Jean Epsteins 1928 herausgekommenem Horror-Stummfilm Fall of the House of Usher. In dieser nebelverhangenen, aus der Atmosphäre und Emotionalität der Donizetti-Partitur abgeleiteten traumhaft-mysteriösen Umgebung, in der sich Sein und Schein stets in einem fließenden Übergang befinden und in der von der Blutfarbe Rot in der Wahnsinnsszene ausgenommen, lediglich Schwarz-Weiß-Töne das Hell-Dunkel der Szenerie beherrschen, positioniert Laurent Pelly die unglückliche Protagonistin. Die der umgebenden patriarchalen Gesellschaftsordnung hilflos ausgesetzte, von Kindheit an psychisch labile Lucia, versteht der Regisseur als unschuldiges Instrument einer in Machtkämpfen verstrickten Männerwelt. Weggesperrt von der Öffentlichkeit, wird sie von ihrem ebenfalls verhaltensauffälligen Bruder Enrico immer nur hervorgeholt, um strategisch eingesetzt zu werden. Aber auch Edgardos Handlungsimpulse entspringen für Laurent Pelly nicht ausschließlich der großen Liebe zu Lucia. Aus der Hektik, seiner Kurzangebundenheit beim einzigen alleinigen Zusammensein mit Lucia, an seinem in diesem Moment aus der Musik abzulauschenden Wunsch, endlich davoneilen zu können, liest Pelly, dass die Liebe zu Lucia durchaus eine Rolle in Edgardos Seelenleben spielen mag, doch für ihn im Vordergrund ganz andere Absichten stehen, die er über die Verbindung zu Lucia zu erreichen gedenkt – insofern treiben Edgardo am Ende der Oper diesbezügliche Schuldgefühle in den Tod. Die letztendlich notorisch einsame Lucia (eine Art Schneelandschaft symbolisiert gleich zu Beginn ihre Reinheit) verlangt somit geradezu nach einem Anwalt – und ebendieser möchte Laurent Pelly mit dieser Produktion sein, wie Staatsoperndramaturg Andreas Láng nach seiner Einführung in Pellys Herangehensweise an Lucia di Lammermoor im Staatsopernmagazin „Prolog“ abschließend bemerkt. 

Das Lichtdesign stammt von Duane Schuler (Debüt an der Wiener Staatsoper). 


Die Besetzung 

Hochkarätig präsentiert sich auch die Sängerbesetzung – bis auf George Petean (Enrico) geben alle Solistinnen und Solisten ihr Rollendebüt an der Wiener Staatsoper. 

In der Titelpartie ist Olga Peretyatko zu erleben: Die aus Russland stammende international gefragte Sängerin sang die Lucia u. a. bereits an der New Yorker Met und Tokio und singt nun ihre erste Premiere an der Wiener Staatsoper, wo sie 2013 als Gilda (Rigoletto) debütierte und außerdem noch als Elvira (I puritani), Adina (L’elisir d’amore), Violetta (La traviata) sowie bei der künstlerischen Eröffnung des Wiener Opernballs 2016 zu erleben war. Im Interview mit Staatsoperndramaturg Oliver Láng charakterisiert sie die Lucia in der anstehenden Premierenproduktion: „Es ist wirklich eine arme, arme Lucia. Keiner kümmert sich um sie, es gibt keine Zärtlichkeit, keine Liebe, nichts. Ich habe eine verwandte Figur als Vorlage für diese Inszenierung gefunden, die Jane Eyre, ebenso von Anfang an traumatisiert. Man darf nicht vergessen, in dieser Zeit war der Wert einer Frau noch weniger als von diesem Sessel da. Ich habe mich bisher also immer ein wenig bemüht, einen feministischen, etwas kämpferischen Charakter in die Rolle der Lucia zu bringen – zum Beispiel in das Duett mit ihrem Bruder. Diese Konfrontation ist extrem wichtig! Aber diesmal darf ich als Lucia nicht ausbrechen – erst am Ende! Das ist aber sehr gut und spannend, weil es tatsächlich ein emotionaler Käfig ist, in dem Lucia sitzt, auch was die Körpersprache betrifft. Es ist anstrengend, aber extrem interessant! Zu dieser Einsamkeit kommt auch noch, dass sie ihre Visionen hat … Die Wahnsinnsszene hat Laurent Pelly übrigens genial inszeniert! Ganz besonders den Anfang!“ 

Den Edgardo verkörpert KS Juan Diego Flórez. Der Tenor gehört weltweit zu den gefragtesten Sängern seines Fachs und ist der Wiener Staatsoper seit seinem Debüt als Conte d’Almaviva (Il barbiere di Siviglia) 1999 eng verbunden. Hier sang er weiters u. a. Lord Arturo Talbo (I puritani), Nemorino (L’elisir d’amore), Lindoro (L’italiana in Algeri), Herzog von Mantua (Rigoletto), Roméo (Roméo et Juliette). Nach Rinuccio (Gianni Schicchi), Elvino (La sonnambula), Tonio (La Fille du régiment) und Ernesto (Don Pasquale) ist der Edgardo in Lucia di Lammermoor nun seine fünfte Staatsopernpremiere. Bisher war er u. a. in Barcelona sowie in einer Neuproduktion in München in dieser Partie zu erleben und sagt nun zu ihrer Charakteristik in Laurent Pellys Inszenierung: „Edgardo ist, zumindest in dieser Produktion, kein sehr sympathischer Mensch. Er benutzt Lucia für seine Zwecke. Daran ändert auch die schöne Musik nichts, die er singt. Er ist egoistisch und es geht ihm um seine Familie, seinen Einfluss. Am Ende freilich hat er alles verloren – da ähnelt er jenen Menschen, die bei einem Börsenkrach alles verlieren. So ist er im Finale auch alleine.“ 

Lucias Bruder Enrico wird von George Petean gesungen. Nach der Titelpartie von Macbeth (2015) ist Lucia di Lammermoor die zweite Staatsopernpremiere des rumänischen Baritons, der 2001 als Figaro (Il barbiere di Siviglia) sein Hausdebüt gab und hier in der Folge als Posa (franz. und ital. Don Carlo), Ankarström (Un ballo in maschera) und Rigoletto zu erleben war. Den Enrico in Lucia di Lammermoor sang er bereits 2009 im Haus am Ring. In der Premierenproduktion ist dieser aber nicht nur der „übliche Bösewicht“, sondern zusätzlich noch psychisch auffällig: „Enrico ist sicherlich für jeden, der später Jago oder Scarpia singen will, eine perfekte charakterliche Vorstudie: Ein mehrfacher Verbrecher zwar, der aber zum Schluss doch noch Gewissensbisse verspürt. Man kann sich also belcantesk im Bösen üben, ohne gleich kopfüber ins veristische schwarze Grundschlechte eines Jago zu springen. Dass Enrico in dieser Inszenierung auch noch Verhaltensauffälligkeiten aufweist, finde ich eine originelle Idee – sie erlaubt einen ganz eigenen Blick auf diese ganze Ashton-Familie, in der offenbar entweder ein genetisches Problem vorherrscht oder ein gravierender Erziehungsfehler die geschwisterliche Psyche aus der Bahn geworfen hat.“ 

In den weiteren Partien sind die Staatsopern-Ensemblemitglieder Lukhanyo Moyake als Arturo, Jongmin Park als Raimondo, Virginie Verrez als Alisa und Leonardo Navarro als Normanno zu erleben. 

Es spielen das Orchester der Wiener Staatsoper sowie das Bühnenorchester der Wiener Staatoper, es singt der Chor der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Martin Schebesta. 


Lucia di Lammermoor im Radio und Fernsehen 

Die Premiere am 9. Februar 2019 wird live auf Radio Ö1 (+ EBU) ausgestrahlt; ORF 2 überträgt die Vorstellung am 15. Februar 2019 ab 21.05 Uhr live-zeitversetzt

Ab 20.15 Uhr zeigt ORF 2 am 15. Februar vor der live-zeitversetzten Übertragung von Lucia di Lammermoor eine neue Dokumentation: „Wunderwelt Staatsoper“. In dieser führt Rolando Villazón durch das Haus am Ring und seine wechselvolle Geschichte und begegnet dabei vielen Kollegen – Sängern, Orchestermitgliedern, Direktoren und Bühnenarbeitern, die zum 150. Geburtstag des Hauses originelle wie berührende Geschichten zum Besten geben. Während ein Architektenteam die Baupläne der Oper auseinandernimmt, erweist sich Konrad Paul Liessmann einmal mehr als musikalischer Opernkenner mit philosophischem Hintergrund. Aber, worum es in der Oper wirklich geht, entscheidet letztlich ein vergnüglicher Sängerwettstreit mit den schönsten Arien. Regie und Buch: Felix Breisach. 

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