© Michael Pöhn

»Die Fledermaus« vom 31. Dezember 2021 im Stream

Stream Die Fledermaus 
 

»Ich werde mein Herz weit aufmachen« - Rachel Willis-Sørensen singt Johann Strauß 

Ihren ersten Erfolg in Wien feierte sie 2011 als zweifache strahlende Gewinnerin des Belvedere-Wettbewerbs (Oper und Operette), fünf Jahre später debütierte die amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen bereits als Donna Anna an der Staatsoper. In der aktuellen Spielzeit kehrte sie – weitere fünf Jahre und viele beglückende Auftritte auf internationalen Bühnen später – an das Haus am Ring zurück. Diesmal mit drei vollkommen unterschiedlichen Partien innerhalb weniger Monate: Als Desdemona in Otello im September / Oktober, als Marguerite in Faust im Oktober / November und ab 31. Dezember als Rosalinde in der obligaten Fledermaus-Serie zum Jahreswechsel. Knapp vor Ausbruch des jüngsten österreichischen Lockdowns gab die perfekt deutsch sprechende Sängerin das folgende Interview.

Sie zeigen seit Saisonbeginn auf der Staatsopern-Bühne einen sehr abwechslungsreichen Ausschnitt Ihres großen Repertoires. Welche der drei hier präsentierten Rollen würden Sie als die herausforderndste ansehen?

RACHEL WILLIS-SØRENSEN Das Herausforderndste war wahrscheinlich die Tatsache, dass ich in der Faust-Serie in jeder Vorstellung einen anderen Tenor-Partner hatte, also insgesamt vier Faust-Sänger – als ob ein Fluch auf uns gelegen wäre (lacht). Nein, Spaß beiseite: Wahrscheinlich sind Marguerite und Rosalinde ungefähr gleich anspruchsvoll. Zwei doch sehr dramatische Rollen, die beide von der Sängerin sowohl in vokaler als auch in schauspielerischer Hinsicht viel abverlangen. Freilich, eine Rosalinde auf dieser Bühne zu verkörpern, überhaupt eine so Wienerische Operette vor einem erfahrenen Wiener Publikum zu geben, ist von Haus aus eine Königsdisziplin – oder besser eine Königinnen-Disziplin. Als ich für die Semperoper vor einigen Jahren zum ersten Mal die Lustige Witwe einstudierte, war das zunächst ein recht mühsamer Weg: Zwar spreche ich schon seit langem Deutsch, aber nie zuvor hatte ich das auf der Bühne machen müssen. Mir kam es plötzlich vor, als ob ich die Worte mit einem Mal anders betonen würde, als ein Native-Speaker. Es dauerte, bis sich jene nötige Lockerheit einstellte, die ich brauche, um mich hundertprozentig einbringen zu können. Und nun bin ich, die Amerikanerin, in Wien die Rosalinde. Das ist schon ein bisschen ein Risiko, obwohl ich die Partie schon auf mehreren großen Bühnen machen durfte. Aber Wien ist Wien. Andererseits bin ich voller Tatendrang und echter Begeisterung, schließlich findet man hier ideale Bedingungen – nicht zuletzt durch die Hilfe der wunderbaren Oberspielleiterin Katharina Strommer, mir der ich die gesprochenen Dialoge schon im November durchgegangen bin. Sie ist in ihrer Kritik extrem ehrlich und zugleich motivierend. Außerdem habe ich mein Herz weit aufgemacht und arbeite zudem sehr intensiv, um den Erwartungen zu entsprechen. 

Manche Sängerinnen und Sänger reisen ja mit ein, zwei Partien rund um die Welt. Ihr Kalender ist diesbezüglich deutlich bunter. Knapp vor der Fledermaus singen Sie in Dresden die Mim., von der Desdemona und Marguerite sprachen wir schon, im Jänner geht es mit der Ellen Orford in Peter Grimes in München weiter.

WS Idealerweise versuche ich, so viel Abstand zwischen den Partien einzubauen, dass ich die Möglichkeit habe, immer nur auf eine von ihnen zu fokussieren. Die Musik eines Werks geht mir nämlich unentwegt im Kopf herum – bis zur letzten Vorstellung einer Serie, und das erschwert das Studium eines zusätzlichen Stückes. Im Falle der von Ihnen angesprochenen Mim. liegt die Sache etwas anders: Ich habe die Boh.me schon .fter gemacht – auch in derselben Produktion, in der ich im November und Dezember auftrete – und die Vorstellungen liegen zum Teil weit auseinander. Ich kann ich mich also ausführlich mit der Rosalinde auseinandersetzen. Aber Sie haben recht, in den vergangenen Monaten war die Situation mühsamer, weil sich einiges überschnitten hat oder sehr Verschiedenes in kurzen Abständen aufeinander gefolgt ist. Doch es hat, Gott sei Dank, geklappt (sie klopft auf Holz). 

Und was machen Sie, wenn Sie kurzfristig einspringen müssen?

WS Wissen Sie, warum solche Einspringen klappen? Weil meist ein guter Souffleur zugegen ist! (lacht) Auch ich kenne natürlich die Situation, in der man eine schon länger nicht gesungene Partie unerwarteter Weise singen soll und keine andere Möglichkeit hat, als in den Pausen den jeweils nächsten Akt in sich aufzusaugen, bevor man adrenalingeladen vor das Publikum tritt. Man hofft halt, dass alles gut geht und die Zuschauerinnen und Zuschauer nachsichtig aufgelegt sind. Aber solche Momente sind wahrlich nicht das, was wir Interpreten uns aus künstlerischer Sicht wünschen.

Wie sieht es beim Einsingen aus? Wodurch unterscheidet sich zum Beispiel das Einsingen vor einem Einspringen vom Einsingen vor einer Rosalinde oder vor einer Marguerite?

WS Wenn ich mich einsinge, dann immer die ganze Stimme, alles wird vorbereitet: tief, hoch, superhoch – also höher als ich es auf der Bühne brauche –, die Mittellage, lange langsame Passagen, Koloraturen. Ich habe letztlich nur eine Stimme: meine Stimme, aber die möchte ich bei jeder Partie in ihrer ganzen Breite einsetzen – natürlich im Sinne des jeweiligen Stiles. Sie sollte andererseits weder künstlich eingefärbt sein, noch darf gepresst werden, um sie größer erscheinen zu lassen, auch soll sie nicht stranguliert werden, damit sie kleiner wirkt. Nur in ganz seltenen Fällen gehen die Emotionen so mit mir durch, dass ich die Grenzen meiner Stimme kurz etwas ausdehne – etwa am Ende von Otello.

Johann Strauß soll nicht eben gut für Stimmen geschrieben haben.

WS Das stimmt. Der berühmte Csárdás der Rosalinde im zweiten Akt zum Beispiel wirkt wie für eine Geige einer Roma-Kapelle geschrieben, das macht diese Nummer nicht gerade leicht. Aber es ist immer noch leichter als Mozart. (lacht) 

Der Gipfel der Rosalinde ist mit dem Csárdás also erklommen?

WS Sagen wir: ein gewisses Hochplateau – denn das nachfolgende Uhrenduett ist auch nicht ohne, ja sogar noch spannender: Da ist auch ein hohes D zu platzieren und im Spiel muss das perfekte Timing mit Eisenstein passen, der Feuer und Flamme ist, seine Frau unwissentlich mit ebendieser, gut maskierten Frau betrügen zu wollen. Der Cs.rd.s ist eine Arie, die man gut üben kann, ich habe ihn außerdem unzählige Male in Konzerten, bei Wettbewerben und Vorsingen gegeben – mittlerweile läuft er schon fast von selbst. Aber bei dem Duett geht das viel schwerer, da gibt es nicht so viele Gelegenheiten und an braucht einen guten Partner.

Und der erste Akt? Der lebt ebenso von Duetten und Ensembles?

WS Im ersten Akt geht es vor allem darum, das Komische gut rüberzubringen, ohne zu outrieren, aber auch ohne zu unterspielen. Vieles hängt außerdem von den Reaktionen des Publikums ab – und die sind nur schwer im Vorhinein einzukalkulieren. Rein vom Vokalen her ist der erste Akt wunderschön, aber nicht schwer. 

Die Rosalinde und die lustige Witwe begleiten sie schon seit l.ngerem. Ihr Herz schlägt also auch für die sogenannte leichtere Muse.

WS Als Kind habe ich einige dieser berühmten alten Operetten-Verfilmungen geradezu verschlungen – auch die von Schenk inszenierte Fledermaus übrigens. Außerdem hat es mir von Anfang an Freude bereitet, ein Publikum zum Lachen zu bringen. Und so ergab eins das andere. Das Terzett aus dem 1. Akt der Fledermaus habe ich schon mit 19 in einem Konzert gesungen – das hat damals schon großen Spaß gemacht. Und ganz früh standen sogar Musicals auf meinem Programm – wobei ich da wahrlich noch nicht klassisch gesungen habe… eher geschrien (lacht). Auf jeden Fall ist die Musik der wichtigen Operetten einfach großartig und wunderschön! Dass ich beim Belvedere-Wettbewerb zusätzlich in der Operetten-Sparte angetreten bin, hat aber eher damit zu tun gehabt, dass ich hoffte, mit einem weiteren Preis einen größeren finanziellen Gewinn einstreifen zu können. Ich lebte zu dieser Zeit nicht gerade im Überfluss. Und so sang ich damals unter anderem auch den Csárdás. 

Der von Ihnen angesprochene Otto Schenk meinte einmal, dass die Handlung der Fledermaus von zwei Elementen vorangetrieben wird: von der Sentimentalität und der Blamage.

Sentimentalität ist klar, aber Blamage – daran habe ich noch nie gedacht. Das hat auch sicher mit der Kultur eines Landes zu tun. In Amerika ist es nicht so schlimm, wenn etwas misslingt, hier im deutschen Sprachraum wird schneller etwas peinlich, da spielt Scham wohl eine größere Rolle. Andererseits: Wenn ich die Heuchelei des Paares Rosalinde-Eisenstein aus der Perspektive der Peinlichkeit und Schadenfreude ansehe und nicht nur aus jener der Komik – beide wollen fremdgehen und ärgern sich darüber, dass der andere fremdgeht – ja… da hat dieser Gedanke der Blamage als Handlungsmotor schon sehr viel für sich.

Wie wird es denn mit den beiden weitergehen nach dem Schluss der Operette?

WS Das hängt natürlich davon ab, wie die Inszenierung angelegt ist. Aber die Produktion in Wien suggeriert schon, dass es eine Aussöhnung geben kann und man alles »vergisst, was nicht zu ändern ist«. Wie kam es denn zu dieser Krise? Das Feuer war ein bisschen aus der Ehe draußen und beide waren auf der Suche nach etwas Neuem, nach etwa Abwechslung – ohne zu wissen, dass sie ebendas beieinander finden würden. Es kann in jeder Beziehung der Moment kommen, wo es darum geht, dass man einander neu entdecken muss. Aber dazu braucht es vor allem auch einen ehrlichen, intensiven Gesprächsaustausch. Wenn der nicht existiert, geht die Partnerschaft in Brüche, oder man geht fremd oder lebt ein Roboterleben. Aber da sich Eisenstein und Rosalinde meiner Meinung nach letztlich doch lieben, könnten alles wieder ins Lot kommen – einigermaßen jedenfalls.

Was für ein Bild haben Sie persönlich von Wien und von den Wienern – es werden da sehr unterschiedliche Klischees kolportiert.

WS Wissen Sie, ich reise viel und habe dadurch den Vorteil, dass ich überall nur das Schöne sehen darf. Ein derartig warmherziges Publikum, das am Bühneneingang wartet, mir nach Vorstellungen über Social Media-Kanäle Lob und Zuspruch mitteilt, so sehr mit den Darbietungen während der Vorstellung mitgeht, die Arbeit, die man leistet, schätzt, das findet man selten. Ja, ich liebe diese bezaubernde Stadt und freue mich über die hier fühlbare Begeisterung für klassische Musik!

Letzte Frage: Waren Sie schon jemals in Baden bei Wien, also am eigentlichen Handlungsort der Fledermaus?

WS Aber ja!! 2011 als ich den schon angesprochenen Belvedere-Wettbewerb gewonnen habe. Das Schlusskonzert der Gewinnerinnen und Gewinner fand in Baden statt. Ich bin also absolut im Bilde!