Die doppelte FLEDERMAUS
Sechsmal erklingt heuer die Fledermaus – in zwei Besetzungen. Die beiden Dirigenten – Yoel Gamzou und Patrick Lange – baten wir zum Fragebogen-Check.
Warum spielt man zu Silvester eigentlich die Fledermaus?
PATRICK LANGE Weil die Fledermaus auf der einen Seite augenzwinkernd nach hinten blickt, während sie auf der anderen Seite schwungvoll nach vorne – und damit ins neue Jahr stürmt.
YOEL GAMZOU Das ist eine sehr gute Frage, zu der ich keine Antwort habe. Vielleicht, weil in der Fledermaus alles steckt, was menschlich ist? Alle Gefühle, alle Abgründe, alle Bedürfnisse und alle Eigenarten des Menschen. Vor einigen Jah- ren fragte mich ein Journalist: »Welches Stück würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?« Ich antwortete: »Ein einziges könnte ich mir niemals aussuchen, es müssten mindestens zehn sein. Aber wenn ich ein einziges Werk aussu- chen müsste, das ich bis an mein Lebensende jeden Tag dirigieren dürfte, würde ich die Fleder- maus auswählen, und mir würde definitiv nie langweilig.« Deshalb könnte man von mir aus die Fledermaus jeden Tag spielen, nicht nur zu Silvester!
Ganz unabhängig von Johann Strauß und der Fledermaus: Was ist das Wienerischste, das Ihnen einfällt?
PL Mal abgesehen von Apfelstrudel mit Schlagobers und einer schönen Melange im Café Sperl ist es für mich dieses gelebte Bewusstsein um Tradition.
YG Die Tatsache, dass ich nach den zwei Jahren, in denen ich hier lebe, wirklich angefangen habe zu denken, dass die Welt an der Stadtgrenze aufhört – ein bisschen wie ein gebürtiger Wiener. Diese Stadt ist so ein reicher Kosmos, sie ist so intensiv und so widersprüchlich, so ambivalent und so endlos inspirierend, dass man plötzlich – mit Schrecken! – feststellt, dass man gar nicht mehr so viel anderes braucht ... außer Wien.
In Wien, wo jede*r Operninteressierte mindestens Operndirektor*in ist, glaubt auch jeder und jede ganz genau zu wissen, wie der vermeintlich per- fekte Walzer zu klingen hat. Was macht für Sie den perfekten Walzer aus?
PL Dass er eben nicht perfekt ist. Ein gerader Walzer kann schnell unerträglich fad werden – es braucht dieses gewisse Etwas, das man eben nicht so richtig in Worte fassen kann. Etwas »Luft« im Rhythmus. Sobald man aber anfängt daraus Regeln ableiten zu wollen, ist es schon zu viel und wirkt bemüht. Walzer darf man nicht »wollen« – man muss ihn kommen lassen und geschmackvoll dosieren. Das liegt einem, oder eben nicht. Es ist ein gewisses Mysterium um den Wiener Walzer und genau deswegen ist er so wunderbar. Hier in Wien hat man das im Blut, das ist herrlich.
YG In jeder Vorstellung, in jeder Stadt sitzen Hobbydirigenten. Man wird irgendwann immun, weil man als Künstler eh nur das sein kann – darf! –, was man wirklich ist. In dem Moment, wo man die Authentizität und die Integrität aufgibt und versucht zu gefallen, ist man als Künstler gescheitert. Natürlich wünsche ich mir, dass das Publikum meine Walzer mag – aber es wäre mir lieber, wenn die Hälfte des Publikums sie großartig findet und die andere Hälfte schrecklich, als wenn ein vereintes Publikum aus der Vorstellung kommt und sagt »Es war ganz nett«. Außerdem mache ich den Walzer ja nicht alleine! Ich freue mich außerordentlich, mit diesem wunderbaren Orchester, das nicht nur beim Walzer, sondern auch bei allem anderen so einzigartig ist, an diesem Abend musizieren zu dürfen.
Eisenstein oder Alfred, Rosalinde – oder gar Prinz Orlofsky? Mit welcher Fledermaus-Partie verbindet Sie am meisten? Und gibt es vielleicht sogar eine, in der Sie sich selber wiederfinden?
PL Das ist sehr tagesformabhängig. Oder mit den Worten von Orlofsky: »Champagner hat’s verschuldet!« Und dann selbstverständlich einzig und allein durch Champagner verschuldet.
YG Ich liebe sie und hasse sie alle zugleich, das ist genau so widersprüchlich wie Wien! Ich war für eine Weile mit einer Adele liiert – sie hieß nicht Adele, sondern hat eine Adele gesungen – deshalb bin ich vielleicht ein wenig voreingenommen... aber am meisten finde ich mich im Frosch wieder – denn er darf jedes Mal ein bisschen anders sein! Und so stelle ich mir Theater vor, jede Vorstellung ein Unikat, jeder Abend, im Moment, ein neues Erlebnis, das nie wieder so sein wird.
Die Wiener Operette ist eine Mischung aus vielem: da ist die französische Operette drinnen, das Wiener Vorstadttheater, der italienische Belcanto. Was ist aber das Alleinstellungsmerkmal?
PL Im Gegensatz zur Berliner Operette, die vor allen Dingen grell und bunt daher kommt, und der französischen Operette, die sich durch einen gewissen Hang zur Frivolität auszeichnet, hat die Wiener Operette diesen unwiderstehlichen Charme, den wir als Wiener Schmäh bezeichnen. Vielleicht beruht dieser auf den Wiener Walzern, vielleicht auf der inhaltlichen Darstellung des Großbürgertums – alles in allem ist es aber vor allen Dingen eine Unterhaltungsform, deren Komposition von musikalisch allerhöchster Qualität und alles andere als seicht ist.
YG Ich bin grundsätzlich ein riesiger Operetten-Fan – und ich finde auch, Operette ist das Schwerste zu dirigieren, was es gibt. Man braucht so viel Freiheit und gleichzeitig so viel Klarheit und Struktur. Man wandert an dem ganz schmalen Grat des guten Geschmackes – es gibt so viel Erotik, so viel Trieb, so viel Witz, so viel Melancholie, so viel Kitsch in der Operette, und es ist alles so echt und existenziell. Entscheidend ist aber – wenn es von all dem nicht zu viel ist, und nicht zu wenig, dann ist es extrem berührend. Immer das richtige Maß. Operette wird oft als die »kleinere Kunst« gesehen, was völlig falsch ist. Denn es nicht nur schwer, jede Kunstform gut zu machen – die Operette ist besonders heikel, weil man genau den richtigen Grad der Ironie finden muss, genau das richtige Maß an Geschmack. In Wien wird das Genre geschätzt und so gut beherrscht wie nirgendwo, und dementsprechend besetzt, musiziert, wahrgenommen, erlebt – und das macht einen riesigen Unterschied. Ich habe nirgends so viel über Operette gelernt wie hier! Vor allem, weil die Wiener Kultur, von Schubert bis Mahler, immer auf Tanzen und Singen basiert war. Das ist sowieso der Ursprung der Musik als menschliches Bedürfnis! Und es ist mir nicht nur sehr nahe, sondern es ist die beste Voraussetzung, um wahrhaftig zu musizieren.
Wenn zu Silvester die Fledermaus auf dem Spielplan steht, wo sind Sie am liebsten: Am Pult, im Publikum – oder vielleicht doch ganz woanders?
PL Definitiv am Pult des Wiener Staatsopernorchesters! Strauß ist ein wichtiger Teil der DNA dieses Orchesters mit dieser unglaublichen Tradition. Mit ihnen das musizieren zu dürfen ist ein Geschenk und definitiv der beste Start in das neue Jahr.
YG Ich muss zugeben, dafür schäme ich mich ein bisschen – aber Musik mache ich immer am liebsten selbst, zusammen mit meinen Musiker-Kolleginnen und -Kollegen! Dirigenten sind leider sehr sture Wesen, wir haben über alles immer sehr starke Meinungen – fast so starke wie die Opernfans – und ich dirigiere immer lieber selbst. Ich bin gerne Zuhörer bei anderen Musikgenres, besonders gern höre ich die Beatles und die Kammermusik von Schubert. Aber zu Silvester stehe ich am liebsten genau dort, wo ich sein werde, zum ersten Mal – was für mich eine riesige Ehre ist – am Pult an der Staatsoper.
DIE FLEDERMAUS
31. Dezember 2022 (13* & 19 Uhr) /
1. / 4. / 6. Jänner 2023 (13* & 19 Uhr)
Musikalische Leitung Yoel Gamzou / Patrick Lange*
Inszenierung Otto Schenk
Gabriel von Eisenstein Andreas Schager / Jörg Schneider*
Rosalinde Rachel Willis-Sørensen / Laura Aikin*
Frank KS Wolfgang Bankl / KS Hans Peter Kammerer*
Prinz Orlofsky Christina Bock / Daria Sushkova*
Alfred Daniel Jenz / Thomas Ebenstein*
Dr. Falke Clemens Unterreiner / Martin Häßler*
Adele Vera-Lotte Boecker / Maria Nazarova*
Dr. Blind Andrea Giovannini / Robert Bartneck*
Ida Ileana Tonca / Miriam Kutrowatz*
Frosch Peter Simonischek