Unser Ensemble: Jörg Schneider im Porträt

Fünf Instrumente begann er zu studieren und jedes einzelne hat ihn von Anbeginn an „genervt“. Doch mit dem sechsten, dem natürlichsten und ursprünglichsten – der menschlichen Stimme – hat es geklappt, da war sie sofort und dauerhaft präsent: die Leidenschaft. Dass sich zu dieser Leidenschaft noch eine grundsätzliche Freude an der Bühnenluft hinzugesellte, eine Portion Fleiß, ferner das notwendige Glück im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein sowie schöne und vor allem in der jeweiligen Situation richtige Rollen, ergab in Summe Jörg Schneider, so wie ihn das Publikum liebt.
Seine musikalische Begabung wurde bereits vom entsprechend aufmerksamen Volksschullehrer erkannt und gefördert und bei den Wiener Sängerknaben in einer ersten musikalischen Schulung vorgeformt. Wobei dem aus Oberösterreich stammenden Jörg Schneider das Sängerknabendasein nach eigenen Worten „Ur-spaß“ gemacht hat, zumal ihm seine Sonderstellung als Sopransolist eine gewisse Narrenfreiheit gewährte und er diese, wenn auch unbewusst, ausnützte. Anders, etwas prosaischer ausgedrückt: Er war „superschlimm“. Davon unabhängig genoss er schon damals die Hauptingredienz, die das Sängerdasein im Ursächlichsten ausmacht: Die, für einen Außenstehenden nicht bis ins letzte beschreibbare, erfüllende Atmosphäre während eines Auftritts. Und daran hat sich offenbar bis heute nichts geändert. Kurzum: Nach 22 Saisonen als professioneller Solist kann er die Frage, ob er seinen Beruf, stünde er noch einmal am Beginn seiner Laufbahn, wieder ergreifen würde, mit einem klaren „ja“ beantworten.
Die Basis für diese ungetrübte Begeisterung ist wohl in Schneiders ausbalancierter Lebenseinstellung zu suchen, nach der er, als überzeugter Gefühls- und Genussmensch, zwar seinen Beruf hochhält, aber ihm nicht alles unterordnet respektive zusammen mit seiner Familie gerne ein normales Dasein führt. Dadurch behält er in allen Lebenslagen eine natürliche Grundfröhlichkeit beziehungsweise positive Ausstrahlung, die ihn bis hinaus auf die Bühne begleitet und sich auf das Publikum überträgt. Und zwar auf ein durch und durch internationales Publikum – schließlich konnte er (nach einer kurzen Vergangenheit als Mitglied des Wiener Staatsopernchores) eine sich schön entwickelnde solistische Laufbahn ergreifen, die ihn zunächst als fixes Ensemblemitglied nach Wiesbaden und Düsseldorf führte und danach immer wieder an zahlreiche wesentliche Bühnen: Scala, Liceu, La Monnaie, Concertgebouw, Semperoper, Bayerische Staatsoper, Baden-Baden, Zürich, Berlin, Paris, London, Madrid, Tokio, Washington, New York, Wiener Musikverein und Konzerthaus – seien hier stellvertretend genannt. Und nach zehnjähriger Ensembletätigkeit an der Wiener Volksoper ist er nun seit September 2017, damit schließt sich gewissermaßen der Kreis, Mitglied der Staatsoper (wo er übrigens schon in der Vergangenheit erfolgreiche Gastauftritte etwa als Tamino, Jaquino, Narraboth oder Froh absolvierte).
Gerade für die Interpretation wichtiger Partien ist natürlich von Vorteil, unterschiedliche Inszenierungsansätze an unterschiedlichen Bühnen zu kennen, um davon Taugliches in den eigenen künstlerischen Rucksack einstecken zu können. So hatte Jörg Schneider beispielsweise an der Deutschen Oper Berlin in einer „ganz coolen“ Regie einst einen Belmonte zu geben, der, vom konventionellen Typus abweichend, als echter glutäugiger Spanier mit Schwert und männlicher Entschlossenheit für seine Konstanze einstand. Mit einem Mal, so Schneider, wäre ihm die Arie leichter gefallen, weil er sich endlich stark fühlen durfte. Das hätte ihm in der Folge bei all den lyrischen Mozart-Partien, die oft als „dahinsiechende Weicheier“ gezeichnet werden, geholfen.
Ganz besonders in einer Inszenierung, in der er als Figur eines Bildes mit fixen Bewegungsmustern zu agieren hatte: da sah sich Jörg Schneider innerlich gerne als Pierce-Brosnan-Typ – und dieses Empfinden wurde nach außen projiziert. Aber auch ein ausnahmsweise „grauslicher Gefängniswärter“ Jaquino ist eine bereichernde, durchaus spaßige Erfahrung gewesen – denn, wie oft darf ein Tenor seines Faches, vom lüsternen Herodes abgesehen, schon einen Bösewicht mimen?

Essenziell ist für Jörg Schneider die Probenarbeit, selbst, wenn sie ihm „gelegentlich auf den Geist“ geht. Warum? Nun, um alle Regie- und Bewegungsabläufe so fest einzuprägen, dass am Abend nicht mehr über die Inszenierungsdetails nachgedacht werden müsse und er sich vollständig auf das Singen konzentrieren könne. Erst die perfekte, in den Proben erworbene dreifache Verknüpfung Musik- Text-Bewegung würde garantieren, dass komplexe Passagen, wie beispielsweise das Überwinden eines fünf Meter hohen Abgrundes und der kurz darauf folgende Gesangseinsatz in der jüngsten Lulu-Neuproduktion an der Wiener Staatsoper (in der Jörg Schneider den Maler verkörperte) funktionieren.
Als Zuschauer schätzt man an Sängern deren Bühnenpräsenz, Interpretation, Darstellung – und zumeist in erster Linie – deren Stimm- und Klangfärbung. Über letzteres, insbesondere über die Frage inwieweit Klangfarben in die Interpretation eingebunden werden, kann man mit Sängern trefflich diskutieren. Eher offen oder eher cuperto, eher dunkel oder eher hell, bewusst oder unbewusst? Für Jörg Schneider ist – natürlich in einem Haus mit idealer Akustik – die Art einer Rolle ebenso mitbestimmend für die gezielte, persönliche Färbung wie eine bestimmte Hörgewohnheit beziehungsweise Hörerfahrung. So hat er zum Beispiel seinen ersten Don Ottavio mit Frank Lopardo gehört, der diese Rolle stark abgedunkelt sang – da Schneider dies gefiel, denkt er diese Partie folglich eher cuperto.
Neben Jörg Schneiders Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Regisseuren sei zuletzt sei noch auf die Zusammenarbeit mit vielen bedeutenden internationalen Dirigenten – auch mit namhaften Spezialisten der Alten oder der zeitgenössischen Musik – sowie sein breites Repertoire hingewiesen, die allesamt ebenfalls mit zu diesem umfassenden und vielschichtigen Künstler beigetragen haben. Zu einem Künstler, der die Zuschauer Abend für Abend via Bühne abholt und in die emotionalen Weiten der großen Musiktheaterschöpfungen entführt…

Andreas Láng


Dantons Tod | Gottfried von Einem
Premiere: 24. März 2018
Reprisen: 27., 31. März, 3., 6., 9. April 2018
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