Im Portrait: Manuel Walser
Mit sieben fing alles an: Eine Singschule in der Nähe von St. Gallen, in der der Nachwuchssänger seine ersten Schritte unternahm und in der die Liebe für den späteren Beruf entzündet wurde.
Wobei – die wirklich ersten Schritte hatten ja bereits daheim stattgefunden, im Kreise der Familie. Zwar beruflich keine „Opernfamilie“, aber opern-, musikbegeistert – und damit der ideale Nährboden für den musikalischen Sohn. Man sang daheim also, der Vater, ein Optiker, übernahm den Bass- Part, der Sohn den Sopran. Man interpretierte Barockmusik und anderes, reiste durch die Lande und gab zahllose Konzerte. Bald folgte der nächste Schritt Richtung Opernbühne: Manuel Walser trat in der Zauberflöte als einer der drei Knaben auf, nahm professionellen Gesangsunterricht und wartete – wieder ein paar Jahre später – geduldig die Zeit des Stimmbruchs ab. Wobei geduldig eine Definitionsfrage ist. Denn viel Zeit verlor er auch damit nicht, widmete sich bald wieder der Musik und sang, freilich im Rahmen der Möglichkeiten, weiter. Später, gerade erst 18 Jahre alt, bewarb er sich für einen Meisterkurs bei Thomas Quasthoff, wurde genommen, kam so nach Berlin und blieb für fünf Ausbildungsjahre.
Noch vor dem eigentlichen Studienabschluss gelangte Walser für eine Spielzeit (2013/2014) an die Wiener Staatsoper, an der er zu Beginn der heurigen Saison nun endgültig als Ensemblemitglied landete. Viel Musik, viel Karriere, viel Ehre für ein so junges Sängerleben. Aber Walser war stets einer, der sich früh an Großes herangewagt hat. Wie zum Beispiel mit 16 – „viel zu früh natürlich!“ – an einen Brocken wie die Winterreise. Dennoch: Was zusammengefasst den Eindruck der Eile vermittelt, ist doch in der Realität ganz anders. Von einem beschleunigten Vorwärtsdrängen ist nichts spürbar, mehr noch: Walser strahlt eine Sicherheit und fast schon Bedächtigkeit aus, wenn es um Fragen der Karriere- und Lebensplanung geht. Bei Diskussionen, was die Zukunft wohl bringen wird, lässt er sich keine grauen Haare wachsen, sondern setzt Schritt vor Schritt. „Ich lasse mich nicht verrückt machen von Fragen wie: Wo werde ich in fünf Jahren stehen? Ich stehe heute hier im Jetzt, und genau in diesem Jetzt lebe ich auch!“ Um eine solche Sicherheit zu erlangen, braucht es freilich einige Voraussetzungen und Veranlagungen, zum Beispiel, wie er augenzwinkernd erzählt, eine „schweizerische Erziehung“, die auf sehr frühe und konzentrierte Vorbereitung setzt, oder aber ein stabiles Nervenkostüm. Um dieses wiederum beneiden ihn wohl ganze Heerscharen von Sängerkollegen. Denn Walser ist grundsätzlich ein „eher nicht nervöser“ Musiker, der zwar eine Spannung vor Auftritten spürt, aber deutlich weniger unter Herzrasen, Magenflattern und anderen Begleiterscheinungen leidet als so manch anderer. Ja, vor dem Debüt an der Wiener Staatsoper sei er nervös gewesen, erzählt er, aber nicht aus künstlerischen Gründen, sondern einfach, weil die Situation neu gewesen sei. Die große Bühne. Das Wiener Publikum. Die Wiener Staatsoper, ganz allgemein. Nun aber, nach einigen Auftritten, ist es keine Nervosität mehr, sondern eine spannungsgeladene Vorfreude auf das, was kommen wird. Denn gerade das Spontane macht ihm besonderen Spaß, das Miteinander mit den Kollegen, das plötzliche Entstehen von Situationen. „Im Liedgesang bereitet man sich für gewöhnlich sehr gut vor, mitunter sogar zu gut. Man versucht, alle Eventualitäten auszuschalten. Auf der Opernbühne geht das aber nicht, da kann immer etwas Unerwartetes passieren – auf das man reagieren muss. Dieses Reagieren macht es aber so attraktiv, weil Oper dadurch so lebendig, spontan ist!“ Wobei Walser, der sich im Liedgesang schon sehr profilieren konnte, eine allzu starke Trennung zwischen Lied und Oper grundsätzlich nicht gelten lassen will. Natürlich, sagt er, sind die Voraussetzungen andere. Beim Lied ist man mit dem Pianisten alleine auf der Bühne, in der Oper entsteht alles im großen Miteinander. Aber vom Ausdruck her, vom persönlichen Zugang, ähneln sich Lied und Oper sehr. „Wenn ich über das Wandern singe, dann bin ich der, der wandert. Ich versuche mich in die Figuren hineinzuleben, egal, ob das jetzt Lied- oder Opernfiguren sind. Dieses Kategoriendenken liegt mir nicht besonders. Ich bin ja kein Lied-, Konzert- oder Opernsänger, sondern möchte Sänger sein.“ Einen Gegensatz hebt er jedoch deutlich hervor. „Das Herausfordernde im Musiktheater ist, dass so viele Dinge gleichzeitig passieren. Hier singen, dort spielen, dann die Kollegen auf der Bühne, das Orchester, alles zusammen. Man muss auf so vieles parallel achten – und man weiß ja, dass das Gehirn eigentlich immer nur eine Sache machen kann. Also muss man damit leben, dass der eine oder andere Aspekt nicht ganz so abläuft, wie man es sich davor ausgemalt hat. Für Perfektionisten ist das eine echte Herausforderung, aber – wie gesagt – eben auch das Tolle!“
Und was ihn, abgesehen von der Leidenschaft für Musik, antreibt? „Ich erzähle gerne etwas“, meint Walser. „Ich möchte etwas ausdrücken, dem Publikum etwas geben und vor allem auch gemeinsam etwas mit anderen erarbeiten. Man hat ja nicht nur die eigene Energie, sondern spürt auch jene der anderen Musiker, dieses Gemeinsam-für-etwas- Arbeiten. Und man spürt auch das Publikum, die Aufmerksamkeit – daher fällt mir eine Vorstellung vor Menschen immer leichter als eine Probe, bei der kaum jemand anwesend ist. Und: Eine gute Aufführung ist ja ein tolles Geschenk an alle: an die Zuhörer, aber auch an uns. Man ist ja auch bereichert, wenn man am Ende nach Hause geht …“
Oliver Láng