© Katharina Schiffl

DER NEUE EISERNE VORHANG

Für den dreiundzwanzigsten »Eisernen Vorhang« in der Wiener Staatsoper wählte die Jury (Daniel Birnbaum, Hans Ulrich Obrist und seit diesem Jahr auch Bice Curiger) die international renommierte US-amerikanische Künstlerin Carrie Mae Weems aus. Ihr Werk »Queen B (Mary J. Blige)« kann von 7. September 2020 bis Anfang Juni 2021 vom Publikum vor und nach den Aufführungen sowie in den Pausen wahrgenommen werden. 

Anlässlich des Projektes ist im museum in progress eine limitierte und signierte Edition von Carrie Mae Weems erhältlich. Durch ihren Erwerb leisten Kunst- und Opernfreunde einen wichtigen Beitrag zur Fortsetzung der Ausstellungsreihe »Eiserner Vorhang«.

Die Ausstellungsreihe »Eiserner Vorhang« ist ein Projekt von museum in progress in Kooperation mit der Wiener Staatsoper und der Bundestheater-Holding, das 2020 von der Christian Zeller Privatstiftung ermöglicht wird. Mit zusätzlichem Support von der PRIVAT BANK der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, ART for ART und Foto Leutner. Medienpartner: Die Furche. Courtesy: Jack Shainman Gallery.

CARRIE MAE WEEMS: WHERE I ENTER...(1)

Von Deborah Willis

Angeregt von der vielseitigen Geschichte der Schönheit in bildender Kunst, Fotografie, Architektur und Mode, setzt die in Syracuse (New York) lebende Konzeptkünstlerin Carrie Mae Weems einen Augenblick der Sinnesfreude in Szene. Sie imaginiert Welten der Fülle, die zu gedanklicher Einkehr und stiller Betrachtung animieren. Weems wurde mit ihren Fotografien und der Performativität ihrer Foto- und Videokunst, die den Blick auf das Leben der schwarzen Bevölkerung weltweit richtet, international rezipiert und hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Wiener Staatsoper bildet den idealen Rahmen für dieses Bild, zumal die großformatige Fotografie Konzepte der Bühne und der Inszenierung von Schönheitscodes wiedergibt und gleichzeitig kostbare Momente sowie wörtlich gemeinte und symbolische Kostbarkeiten erkundet. 

Schönheit geht in der Oper oft ebenso von den auf der Bühne stattfindenden Aufführungen aus wie vom Bühnenbild, den Kulissen, Kostümen und den Schauspielerinnen und Schauspielern selbst. In dieser Fotografie wird Schönheit durch die in der Bildmitte platzierte Kultsängerin Mary J. Blige (Queen B) inszeniert, einer mit Edelsteinen und Perlen geschmückten schwarzen Frau im Pelz, die ihre Schönheit in einem ovalen Spiegel mit einer Rückwand aus rotem Samt begutachtet und sich ihrer vergewissert. Ich stelle mir vor, wie die Zuschauerinnen und Zuschauer in diesem Opernhaus die Monumentalität schwarzer Schönheit auf der Bühne der Welt schätzen, während sie, auf ihren Plätzen sitzend, die Objekte der Schönheit auf Weems’ Fotografie auf dem eisernen Vorhang betrachten. 

Sehr bewusst setzt Weems Sinnbilder oder Codes des Begehrens ein – vom Aufgebot frischer Pfingstrosen und rosafarbener Rosen über die den Spiegel spiegelnden ovalen Rahmen mit Krone und Diadem bis hin zu den Marmorbüsten des Künstlers Kehinde Wiley, die historische Werke des 18. und 19. Jahrhunderts in Miniaturform nachbilden. Zahlreiche geschichtliche Metaphern, Verflechtungen und Zusammen hänge ergeben sich aus der Verwendung eines Tyi-Wara-Kopfschmucks der Bambara aus Mali, der den Wohlstand und die Leistung jener würdigt, die Land nutzbar gemacht haben. Auf dem reich verzierten Kaminsims ist eine sitzende geschnitzte Ebenholzfigur aus Nigeria zu sehen. Durch Kristall, Silber, mit Goldborten eingefasste Kissen, Polsterstühle und geschmückte Marmorwände vermittelt Weems Opulenz. Der auf dem Bild in Erscheinung tretende »ausgestopfte« weiße Schwan steht für Schönheit und Anmut. Mit diesem Wechselspiel von Historie und Metapher verweist Weems auf das Narrativ des Balletts Schwanensee, das den Eleganzbegriff auslotet, welcher in diesem Bild stilsicher und opulent zur Geltung kommt. Weems setzt auf die Aussagekraft von Architektur und Innenräumen und lädt den Betrachter/die Betrachterin ein, einen Raum der Macht zu betreten.

Weems ist sich dessen gewahr, was die Schaffung eines »Environmental Portrait« – eines »Umgebungsporträts« – bedeutet, das uns Raum zum Träumen gibt, das neue Identitäten und Vorstellungen zulässt, die Freiheit, die Welt gleichzeitig zu bewahren und umzugestalten. Angesichts des Globus auf dem Tisch ergibt sich auch der Gedanke an Herrschaft und die Vermessung neuer Räume, in denen Örtlichkeit neu gedacht werden kann. Weems zaubert für den Betrachter/die Betrachterin und für Queen B eine imaginäre Welt hervor, indem Sinnesfreude und Fortschritt, Begehren und Möglichkeit durch Schmuck, einen Designer-Trainingsanzug und eine Hochsteckfrisur, welche die Schönheit der Dargestellten unterstreicht, ins Bild gesetzt werden. Die reich mit vollmundigen Früchten, Käse, Beeren und Brotlaib gedeckte Tafel bereitet dieser Inszenierung, welche mit der Geschichte der Negierung schwarzer Schönheit aufräumt, die Bühne. 

Carrie Mae Weems’ Bild ist durchdrungen von der Nostalgie und Romantik klassischer Kunst, von einer Geschichte der Kulturen, Rassen und Geschlechter. Darauf verweisen ikonische Bezugnahmen auf weltweit erfolgte Eroberungen und Übergriffe. Weems hinterfragt sowohl historische als auch zeitgenössische visuelle Narrative, die andere als privilegiert darstellen, indem sie schwarzen Stil und schwarze Klasse im symbolträchtigen Umfeld der Oper ins Rampenlicht rückt. Indem sie unseren Blick auf schwarzen Wohlstand und schwarze Schönheit richtet, verschafft Weems schwarzen Frauen aus aller Welt und allen Zeiten Präsenz und ihren Platz. Die Fülle und Komplexität dieser vielsagenden Fotografie vermitteln eine Überschneidung von politischer Körperlichkeit mit Populärkultur und Ästhetik. In der Serie »Eiserner Vorhang« werden Theater, Mode und Kunst einer Neuinszenierung unterzogen, um neue Geschichte(n) zu schreiben und neue Narrative der Gegenwart zu imaginieren. Auf Weems’ glamourösem, idealisiertem Porträt nimmt der schwarze Frauenkörper einen ebenso prominenten Platz in der Kunstgeschichte ein, wie ihn die Dargestellte in der Musik innehat. In diesem idealen Setting hat die Künstlerin eine vielschichtige Geschichte der Schönheit konstruiert und sichtbar gemacht.

Deborah Willis

1 Dieser Titel bezieht sich auf die Publikation von Paula J. Giddings, When and Where I Enter: The Impact of Black Women on Race and Sex in America, 1984.

CARRIE MAE WEEMS – QUEEN B (MARY J. BLIGE)

Von Bice Curiger

Prunk, Ruhe, Genuss, – es ist das Baudelair’sche »Luxe, calme et volupté«, das hier strahlend evoziert wird. Schließlich sind wir in der Oper. Und doch wird schnell spürbar, dass Carrie Mae Weems hier ein raffiniertes Kippbild erschaffen hat. Ein Kippbild, das bei längerer Betrachtung überall visuell semantische Reibungen, poetische Verschiebungen und vermeintliche Unstimmigkeiten offenbart, die sich dem Auge fordernd in den Weg stellen. 

Eine barocke Tafel lässt auf eine eurozentrische Historienszene schließen, doch da wird beiläufig eine nigerianische Skulptur auf einer klassischen Säule präsentiert. Und die Hauptfigur, in der Rolle einer Königin, ist schwarz, das Goldkrönchen trägt sie aufgesetzt als Dutt aus blonden Locken. Es ist die heutige, real existierende popkulturelle Größe, Mary J. Blige, die großartige R&B-Sängerin und Schauspielerin, die zu ihrem Pelz und Geschmeide einen Sweat Suit trägt, wie sie die weltumspannende Hip-Hopkultur aus den afroamerikanischen Gettos als Dresscode der Aufbegehrenden in die hinterste Ecke unseres Globus eingeschleust hat. Während die großen Medaillons an der Wand statt der Porträts des Herrscherpaares nur deren Kronen einrahmen, schaut das Update einer Königin in den Spiegel. »Ich schaute und schaute, aber ich konnte nicht erkennen, was Dich so erschreckt hat« (I Looked and Looked, but Failed to See What so Terrified You), so der Titel einer andern Arbeit von 2003, in welcher Carrie Mae Weems selber mit Spiegel posiert.

Irritierend ist auch der enorme Schwan am rechten Bildrand. Ist er lebendig oder ausgestopft? Ja, ist hier überhaupt das Leben in der Fotografie eingefroren? Oder im Gegenteil, ist eine statische Szene verlebendigt worden? Mit andern Worten: Hält das Foto eine Mise-en-scène, eine Aufführung, fest? Oder ist es eher dem Genre des Tableau vivant zuzuordnen, wo eine historische Vorlage lebendig nachgestellt wird, um Gegenwärtigkeit zu erschaffen? 

Es ist beides gleichzeitig, wir sind ja in einem Kippbild, wo Versatzstücke der Vergangenheit zugleich sanft und doch konfrontativ fruchtbar aufeinander stoßen. Alles ist »Bigger than life«, »größer als das Leben«, denn der Antrieb ist das Sich-Hinausträumen aus diesem Leben mit seinen Demütigungen, Einschränkungen und Unfreiheiten, ein Ausbrechen aus dem Schatten sowie den Repräsentationscodes der Geschichte und den Zuordnungen welche besonders schwarzen Frauen schmerzhaft auferlegt wurden. Es ist das Luxe, calme, et volupté – als eine süß-wilde Kraft von unten, die in die abgehobene Gediegenheit der historisierenden Atmosphäre eingebrochen ist.

Bice Curiger

ÜBER CARRIE MAE WEEMS

Carrie Mae Weems befragt in ihrer Arbeit die Lebensrealitäten der schwarzen Bevölkerung weit über die USA hinaus. Dabei untersucht sie etwa Beziehungen innerhalb der Familien, kulturelle und gesellschaftliche Identitäten, Repräsentation, Sexismus, politische Systeme und die Konsequenzen von Macht. Im Lauf mehrerer Jahrzehnte hat sie ein reichhaltiges und komplexes Werk geschaffen. Ihre bevorzugten Medien sind Fotografie, Text, Stoff, Ton, digitale Bilder, Installation und Video. 

Aktuell engagiert sich Weems mit ihrer großangelegten Öffentlichkeits-Kampagne »Resist Covid – Take 6!« für die Sensibilisierung der überproportional stark betroffenen schwarzen US-Bevölkerung auf einfache Schutzmaßnahmen gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus. »Carrie Mae Weems war schon immer eine großartige Bilderzeugerin und moralische Kraft, zielstrebig und unbezähmbar.« (Holland Cotter, New York Times)

Carrie Mae Weems (*1953, Portland, Oregon) konnte 2014 als erste afroamerikanische Frau eine Einzelausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York realisieren. Ihre zahlreichen Ausstellungen inkludieren unter anderem: Tate Liverpool (2009); Centro Andaluz de Arte Contemporáneo, Sevilla (2010); Palais de Tokyo, Paris (2012); Frist Art Museum, Nashville (2012); Prospect.3, New Orleans Triennale (2014); Triennale di Milano (2015) und Milwaukee Art Museum (2019). Die Künstlerin lebt in Syracuse, New York.

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