Turandot

GIACOMO PUCCINI

»Was fürchtet Turandot?«

CLAUS GUTH

OPER in drei Akten
Text GIUSEPPE ADAMI & RENATO SIMONI
nach CARLO GOZZI


Musikalische Leitung  MARCO ARMILIATO
Inszenierung  CLAUS GUTH
Bühne  ETIENNE PLUSS
Kostüme  URSULA KUDRNA
Choreographie  SOMMER ULRICKSON
Licht  OLAF FREESE
Video  ROCAFILM


Turandot  ASMIK GRIGORIAN
Calàf  JONAS KAUFMANN
Liù  KRISTINA MKHITARYAN
Altoum  JÖRG SCHNEIDER
Timur  DAN PAUL DUMITRESCU
Mandarin  ATTILA MOKUS
Ping  MARTIN HÄSSLER
Pang  NORBERT ERNST 
Pong  HIROSHI AMAKO


Die zweite Serie dirigiert AXEL KOBER
FABIO SARTORI singt die Partie des Calàf.


Einführungsmatinee 26. NOVEMBER 2023
Premiere 7. DEZEMBER 2023
Premierenserie 7. / 10. / 13. / 16. / 19. / 22. DEZEMBER 2023
Zweite Serie 1. / 4. / 7. / 10. JUNI 2024


ZU DEN TICKETS

Drei Rätsel stellt Turandot. Drei Minister warnen vor dem Tod, der denjenigen erwartet, der an den Rätseln scheitert. Und drei Künstler versuchten sich daran, Giacomo Puccinis unvollendetes Werk im Sinn des verstorbenen Komponisten zu Ende zu bringen.

Als Calàf, der entthronte und nach Peking geflohene mongolische Prinz, sich in Prinzessin Turandot verliebt, begibt er sich in tödliche Gefahr: Denn nur, wer die drei Rätsel der Prinzessin löst, kann ihr Bräutigam werden. Wer scheitert, wird hingerichtet – wie alle bisherigen Bewerber. Calàfs Vater Timur und Liù, die Calàf ohne sein Wissen liebt, beschwören ihn umsonst.
Er nimmt die Herausforderung an. In der Partitur des großen Musik- Erzählers Puccini stehen einander Individuum und Gesellschaft in hochgradig irritierender Weise gegenüber. Das unerbittliche System, das Turandot um sich errichtet hat, trägt Züge von Zeremonie und Groteske, von totaler Organisation und gelenkter Massenhysterie: Eine Welt, die sich aufspannt zwischen der undurchdringlichen, todbringenden Anziehungskraft Turandots und scheinbar unausgesetzten Ritualen von Bewerbung, Warnung, Prüfung und Mord. Schatten und Priester bevölkern sie. Grell überzeichnete Minister sprechen ihre Warnungen in einem Ton, der auch musikalisch zwischen Provokation und Verhöhnung oszilliert – man glaubt ihnen aufs Wort, dass sie Hochzeit und Beerdigung zugleich vorbereiten. Als Basis all dessen – der Partitur wie des Staats – fungiert die Menge, die wechselweise nach Blut schreit und um Gnade für den Verurteilten bittet. Eine unberechenbare, unheimliche Größe.

Puccini kodierte seine Partitur mit Klangzeichen, die sein Publikum einem fernöstlichen Kulturraum zuordnen würde: einer pentatonisch grundierten Klangsprache und dem pointierten Einsatz von Schlagwerk. Diese fremdvertrauten Klänge sind dabei nicht ohne Chimäre. Eingebettet in Puccinis eigene Klangsprache ergeben sie einen neuen Sinnzusammenhang, ein Puccini-Peking, das in ferne Welten zu entführen scheint, tatsächlich aber außerhalb des Theaterraumes nicht existiert. Inte- ressanterweise ist Puccinis Peking seinem »Wilden Westen« verwandt – auch in La fanciulla del West bedient der Komponist sich der Pentatonik, um »Fremdheit« zu suggerieren.

Calàf widerfährt, so könnte die Fabel des Werks gelesen werden, Ähnliches: Fasziniert steht er vor Turandot, und triumphierend löst er ihre Rätsel. Doch auch nachdem er die letzte Antwort – »Turandot« – gefunden hat, ist er weit davon entfernt, das Wesen der Prinzessin dechiffriert zu haben. Die Faszination für das Fremde – in diesem Fall die Prinzessin – ist die Faszination für ein Phantasma. Kann es Calàf gelingen, zu der Frau vorzudringen, die dahintersteckt?

Puccinis Komposition endet mit dem Tod Liùs. Das große Finale, das glückliche Zusammenkommen von Turandot und Calàf, konnte er nicht mehr ausführen. Aber der Komponist hinterließ nicht nur eine unvollendete Oper, sondern auch eine Spur. Für das Finale, vor allem für das Schlussduett, hatte er eine ganz besondere Musik gesucht – »tipica, vaga, insolita« sollte die Oper an dieser Stelle klingen, so hatte es Puccini noch in der Partitur notiert. »Typisch, undeutlich, ungewöhnlich.« Er hatte damit selbst ein Rätsel hinterlassen, eine Aufgabe für die Nachwelt im Besonderen wie im Allgemeinen: Wie ist eine Geschichte, ein Ereignis, ein Gefühl in Musik zu setzen?

Auf Empfehlung des Uraufführungsdirigenten Arturo Toscanini komponierte Franco Alfano den Schluss nach. Davon unabhängig ließ Toscanini die Uraufführung an der Stelle enden, an der Puccini zu komponieren aufgehört hatte, im Andenken an den Komponisten. Aber der Maestro war auch mit Alfanos Arbeit nicht völlig einverstanden und bearbeitete und kürzte dessen Komposition für die Folgevorstellungen. In der Aufführungsgeschichte setzte sich diese Bearbeitung zunächst durch, der ursprüngliche Alfano-Schluss geriet in Vergessenheit und wurde erst 1978 wiederentdeckt. 2002 versuchte sich Luciano Berio an einer kompositorischen Neudeutung des Schlussduetts mit besonderem Fokus auf die Kussszene zwischen Calàf und Turandot. Alle drei Versionen haben ihre unterschiedlichen Blickwinkel und ihren je eigenen Reiz; die komplexe Psychologie Turandots spiegelt der erste von Franco Alfano komponierte Schluss am stärksten wider. Der Inszenierung von Claus Guth liegt diese ursprüngliche Version zugrunde.

SPOTIFY-PLAYLIST ZUR EINSTIMMUNG



Über die Playlist

Eingerahmt von der klanglich spektakulären Studio-Aufnahme unter Zubin Mehta ist diese Playlist eine Reise durch die Turandot-Geschichte der Wiener Staatsoper, angefangen mit den Sängern der Wiener Erstaufführung, Lotte Lehmann und Jan Kiepura. Die unglaublich vielseitige Maria Cebotari, Helge Rosvaenge und Hilde Güden stehen für die Wiener Turandot-Aufführungen der Nachkriegsjahre im Theater an der Wien. Nach dem frühen Tod der Cebotari war Gertrude Grob-Prandl die stimmgewaltige Turandot der Wiener Oper, bevor Birgit Nilsson in der Neuinszenierung 1961 triumphierte, neben Giuseppe di Stefano als Calaf und Leontyne Price als Liu. In den folgenden Jahren war das Duo Birgit Nilsson / Franco Corelli weltweit der absolute Maßstab für diese Oper. Von der Wiener Neuproduktion 1983 ist vor allem Eva Marton in der Titelpartie in Erinnerung geblieben.  Aleksandra Kurzak als Liu steht für die bislang letzte Serie der Oper in Wien, Jonas Kaufmanns Aufnahme kündet die Premiere im Dezember an, in der er neben Asmik Grigorian die Partie des Calaf singen wird.

Wer ist Turandot? Sie errichtet ein hochbürokratisches, brutales Terrorregime – niemand kann sich unbeobachtet darin bewegen; jeder, der ihr zu nahe kommt, wird hingerichtet.

Private wie gesellschaftliche Schutzwälle entstehen immer aus der Angst – was fürchtet Turandot? Was fürchten wir? Welchen Wert hat ein geschütztes, sicheres Leben, das die Realität nur über hoch differenzierte Filter an sich herantreten lässt?

Ein Mann – Calàf – ist bereit, all diese schützenden Mauern zu durchbrechen; warum tut er das? Hat er nichts zu verlieren? Liebt er Turandot? Oder will er nur ihre Macht an sich reißen?

Puccini entwirft im scharfen Kontrast zum märchenhaft-exotischen Rahmen ein feinfühlig gezeichnetes Psychogramm zweier sehr verschiedener Menschen, deren Verhalten genau motiviert ist. Es gilt, dies herauszuarbeiten und uns für die Menschen hinter dem System zu interessieren.