Die Ära Gustav Mahler
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Gustav Mahlers Dienstantritt, zunächst als Dirigent, dann als Direktor des Hauses, fällt 1897 nicht nur zusammen mit der Gründung der Secession, der Inbetriebnahme des Riesenrads im Prater, dem Tod von Johannes Brahms sondern auch mit der Promotion der ersten Frau an der Universität Wien.
Am 11. Mai 1897 gibt Gustav Mahler seine Antrittsvorstellung im Haus am Ring als Dirigent von Richard Wagners Lohengrin – der Erfolg ist gewaltig. Wenige Monate später, am 15. Oktober, übernimmt er die Direktion der Wiener Hofoper. Ohne Zweifel ist Gustav Mahler bis heute der wichtigste Direktor des Hauses. Hatte er zuvor schon unter anderem an Opernhäusern in Budapest und Hamburg zu neuer Bedeutung verholfen, so erblüht die Wiener Oper unter seinem energischen Reformwillen zur besten Musiktheaterbühne der Welt. Mahler ging von einem Konzept aus, das den Opernbetrieb dezidiert als organisches Ganzes auffasste. Die Probenarbeiten selbst spielten eine bisher ungewohnte zentrale Rolle, Mahler fasste sie als Experimentierfeld auf, nicht als Realisierungsort fertiger Modelle. So wurden im Laufe der Proben einzelne Szenen mitunter oftmals verändert, auch in scheinbar stehende Lösungen wurden erneut eingegriffen. Im ganzheitlichen Konzept Mahlers war die Einbindung der Wiener Moderne schon vor der zu Recht viel gerühmten Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Alfred Roller bedeutsam. Mit ihm gemeinsam revolutionierte er (als Direktor, Dirigent und Regisseur) die Aufführungen – Bühnenbild und Licht werden zum symbolhaften Ausdruck des inneren Gehalts jeden Werkes, die Regie bekommt einen neuen Stellenwert, purer Schöngesang ohne inneren Bezug zum Inhalt wird abgelehnt, musikalischen Schlampereien gebietet Mahler gnadenlos Einhalt.
Wagners Werk wird endlich vollständig strichlos gegeben. Wichtige Erstaufführungen säumen seine Zeit zudem ebenso, wie sie von bedeutenden Künstlerengagements zusätzlich zum Strahlen gebracht werden. Selbst in Kleinigkeiten lässt sich Mahlers Verbesserungswillen erkennen: So muss zum Beispiel der Zuschauerraum bereits bei der Ouvertüre verdunkelt werden, wodurch zu spät kommende Besucher erst in den Pausen Zutritt erhalten. Als Dirigent war Mahler einige hunderte Male im Haus am Ring zu erleben, ob Mozart oder Wagner – Zeitgenossen schrieben Euphorisches, ja Einzigartiges über den Feuergeist, der diese Aufführungen adelte. Doch Intrigen, Bürokratie und antisemitische Attacken, aber auch Mahlers schwer angeschlagene Gesundheit bereiten der Direktion 1907 ein vorzeitiges Ende. Es war auch eine künstlerische Enttäuschung spürbar, als Mahler seinen Abschied beschloss. Denn seine Vision, dass jeder einzelne Abend nicht nur höchste, sondern einzigartige Qualität auf allen Ebenen zu erreichen habe, konnte auch er nicht erfüllen. »Kein Theater der Welt ist auf einer solchen Höhe zu erhalten, dass eine Vorstellung der anderen gleiche. Das ist es aber, was mich vom Theater abstößt. Denn ich wünsche natürlich alle Vorstellungen auf gleicher Höhe zu sehen, also ein Ideal zu erreichen, welches eben nicht zu erreichen ist. Das hat vor mir niemand können, es wird es nach mir niemand fertig bringen.«
Am 15. Oktober dirigierte er seine letzte Vorstellung im Haus – Fidelio. In einem offenen Schreiben verabschiedete er sich am 7. Dezember 1907 von den Mitgliedern des Hauses:
»Die Stunde ist gekommen, die unserer gemeinsamen Tätigkeit eine Grenze setzt. Ich scheide von der Werkstatt, die mir lieb geworden, und sage Ihnen hiemit Lebewohl. Statt eines Ganzen, Abgeschlossenen, wie ich geträumt, hinterlasse ich Stückwerk, Unvollendetes: Wie es dem Menschen bestimmt ist. Es ist nicht meine Sache, ein Urteil darüber abzugeben, was mein Wirken denjenigen geworden ist, denen es gewidmet war. Doch darf ich in solchem Augenblick von mir sagen: Ich habe es redlich gemeint, mein Ziel hochgesteckt. Nicht immer konnten meine Bemühungen von Erfolg gekrönt sein. ‚Dem Widerstand der Materie‘ – ‚der Tücke des Objekts‘ ist niemand so überantwortet wie der ausübende Künstler. Aber immer habe ich mein Ganzes darangesetzt, meine Person der Sache, meine Neigungen der Pflicht untergeordnet. Ich habe mich nicht geschont und durfte daher auch von den anderen die Anspannung aller Kräfte fordern. Im Gedränge des Kampfes, in der Hitze des Augenblicks blieben Ihnen und mir nicht Wunden, nicht Irrungen erspart. Aber war ein Werk gelungen, eine Aufgabe gelöst, so vergaßen wir alle Not und Mühe, fühlten uns reich belohnt – auch ohne äußere Zeichen des Erfolges. Wir sind alle weiter gekommen und mit uns das Institut, dem unsere Bestrebungen galten. Haben Sie nun herzlichsten Dank, die mich in meiner schwierigen, oft nicht dankbaren Aufgabe gefördert, die mitgeholfen, mitgestritten haben. Nehmen Sie meine aufrichtigsten Wünsche für Ihren ferneren Lebensweg und für das Gedeihen des Hofoperntheaters, dessen Schicksal ich auch weiterhin mit regster Anteilnahme begleiten werde.«
Gemälde von R.B. KITAJ, Gustav Mahler (1860 - 1911), in Auftrag gegeben und der Wiener Staatsoper gewidment von Gilbert Kaplan anläßlich des hundertsten Jahrestages der Ernennung Gustav Mahlers zum Direktor der Wiener Hofoper (Wien, im Mai 1997)