Wiederkehr in drei Akten
Wie so oft, wenn es um Erstaufführungen von Meisterwerken an der Wiener Staatsoper geht, fand auch jene der Lulu beschämend spät statt: Mehr als 30 Jahre mussten nach der Zürcher Uraufführung vergehen, bis die Wiener 1968 Bekanntschaft mit dem Stück schließen konnten (wenn sie es nicht ohnehin schon woanders getan hatten.) Dabei war Alban Berg hier in Wien gewissermaßen über der Partitur des dritten Aktes gestorben, die damit von der Instrumentation her unvollendet blieb.
Einige Zeit nach dem Wozzeck-Erfolg hatte Berg 1927 beschlossen abermals das Terrain des Musiktheaters zu betreten. Nachdem der Plan Gerhart Hauptmanns Und Pippa tanzt zu vertonen auf Grund von absurden Tantiemenforderungen des Dramatikers gescheitert war, entschied sich Berg für die beiden Wedekind’schen Lulu-Dramen Erdgeist und Büchse der Pandora, die er zusammenzog und stark kürzte. Die Kompositionsarbeit zog sich dann verhältnismäßig lang dahin, vor allem auch, weil Berg, anders als beim Wozzeck, eine wirkliche Zwölftonoper zu schaffen gedachte und Zeit brauchte, um hier seine persönliche Vorgangsweise zu finden. Auch die sich immer mehr verdüsternde politische Situation, die Ablehnung seiner Werke durch die Nationalsozialisten in Deutschland und die damit verbundene Verschlechterung der persönlichen wirtschaftlichen Situation des Komponisten hemmten den Entstehungsprozess, sodass das Particell erst 1934 vollendet war. Als sich der Gesundheitszustand des 50jährigen Alban Berg gegen Ende 1935 rasant verschlechterte, wurde die Arbeit an der Instrumentation regelrecht zu einem Wettlauf mit dem Tod. Schlussendlich vollendete Berg die ersten beiden Akte und nur einen kleinen Teil des 3. Aktes, sodass das Werk für viele Jahre nur als Fragment (so auch bei der Wiener Erstaufführung) über die Bühne gehen konnte. Entsprechend groß war daher der Jubel, als Lulu 1979 in der von Friedrich Cerha komplettierten Version in Paris unter der Leitung von Pierre Boulez zur Weltpremiere gelangte. Die bislang jüngste Lulu-Neuproduktion an der Wiener Staatsoper (2000) in der Regie Willy Deckers folgte übrigens ebenfalls der früheren zweiaktigen-Aufführungstradition und wird nun mit der Premiere am 3. Dezember durch den Berg-Cerha’schen 3. Akt komplettiert.
Da die auf die Männerwelt so erotisierend wirkende Kindfrau Lulu, wie Regisseur Willy Decker betont, „oft als unablässige Folge von Kampfszenen beschrieben wird und die Oper die Grundspannung zwischen Männlich und Weiblich als einen immerwährenden Kampf beschreibt“, verlegte Decker die Handlung in eine symbolisierte Arena, „in der Frau und Mann stehen – die Frau ‚das wilde, schöne Tier‘ und der Mann, der sie anstarrt, begafft, sich nach ihr sehnt, sich vor ihr graut, und wenn er die Arena betritt, selbst zum Tier wird.“
Andreas Láng
Lulu | Alban Berg
Premiere: 3. Dezember 2017
Reprisen: 6., 9., 12., 15. Dezember 2017
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