© Markus Rössle

»Wie ein großer Rausch«

Elektrische Fische, eine Auftragskomposition für die Wiener Staatsoper, erzählt die bewegende Geschichte der 13-jährigen Emma, die von einem Tag auf den anderen von ihrem Zuhause in Dublin in einen kleinen, unscheinbaren Ort nach Mecklenburg-Vorpommern ziehen muss. Die mobile Jugendoper feiert am 26. Jänner 2024 ihre Uraufführung in Zwettl (NÖ) und tourt danach durch die Bundesländer.


Im Interview mit Katharina Augendopler gibt die Komponistin Hannah Eisendle Einblicke in ihren künstlerischen Zugang zum Werk und den Entwicklungsprozess und erzählt von den Besonderheiten des Schreibens für eine jugendliche Zielgruppe.


Was hat dich an der Thematik von Elektrische Fische besonders gereizt?

HE: In Elektrische Fische geht es für mich einerseits um Heimweh, um ein Gefühl der Zugehörigkeit. Aber es geht auch um fehlende oder nicht funktionierende Kommunikation, die auf halbem Weg stecken bleibt. Im Stück sind elektrische Fische diejenigen, die auch in trüben Gewässern miteinander kommunizieren können. Die dort, wo es schwierig ist, trotzdem zusammenfinden und den Versuch wagen, einander zu begegnen. Diese Funktion nimmt in dieser Oper für mich die Musik ein. Musik als Kommunikationsmittel, das wir heranziehen können, wenn es anders nicht funktioniert.

Reizvoll und wichtig finde ich auch, dass das Meer eine zentrale Rolle in der Geschichte spielt. Es fungiert nicht nur als Verbindung, sondern auch als Trennung zwischen den unterschiedlichen Lebenswelten von Emma. Mit Blick auf die Musik fasziniert mich diese Dualität, weil das Meer so viele verschiedene Facetten ausdrücken kann – von der Rauheit und Härte bis zur beruhigenden Stille.


Wie hat sich daraus die Komposition entwickelt? 

HE: Ich wusste relativ schnell, welche Besetzung und welche Instrumente ich für die Komposition wählen möchte – eine klangliche Entscheidung, die eng mit der Handlung und den Charakteren des Stücks verflochten ist. Die Wahl fiel auf eine Kombination von Cello, Klarinette und Vibraphon/Percussion. Die rebellische Natur und die inneren Konflikte von Emma spiegeln sich im Schlagwerk wider, während die Klarinette die sanften und reifen Seiten von Levin verkörpert. Das Cello hingegen verbinde ich unmittelbar mit Emmas Schwester Aoife, die ebenfalls unter dem Umzug leidet und plötzlich zu sprechen aufhört. Zusätzlich integrierte ich Elektronik, die uns in fantastische und surreale Klangwelten eintauchen lässt und so der Erzählung eine weitere Dimension hinzufügt.


Kannst du mehr über den Einsatz von Elektronik erzählen?

HE: Elektronik hat in der Oper mehrere Funktionen, die ich interessant finde. Sie eröffnet uns den Zugang zu einer mysteriösen, surrealen Welt und kann alles in ein anderes Licht rücken: das Glitzern von den Fischen und das Rauschen des Meeres. Andererseits dient die Elektronik dazu, zwischen den Szenen und Orten zu differenzieren. In Bezug auf das Kommunikationsthema ist es besonders interessant zu sehen, wie live gespielte Musik und Gesang mit der Elektronik interagieren können, wie sie eigenständig existieren und gleichzeitig miteinander verschmelzen. Um authentische Soundscapes zu schaffen, bin ich an die zentralen Orte der Handlung gereist: die Irische See und Ostsee. Dort habe ich Tonaufnahmen gemacht, die im Stück zu hören sind.


Gibt es denn einen klanglichen Unterschied zwischen der Irischen See und der Ostsee?  

HE: Absolut. Das irische Meer erscheint mir satter, intensiver und gleichzeitig rauer, wilder und schwerer zu bändigen. Im Kontrast dazu wirkt die Ostsee flacher und mit weniger Ecken und Kanten eher unspektakulär – was auch mit Emmas Wahrnehmung der beiden Orte im Stück übereinstimmt.

Beim Spazierengehen an den Stränden konnte ich mich intensiv in Emmas Situation und in ihre Emotionen einfühlen. Diese starken Eindrücke Diese starken Eindrücke fanden Eingang in den Speicher an Assoziationen, Ideen, Wahrnehmungen, Rechercheergebnissen, die sich letztlich direkt aufs Papier entladen und in Musik übersetzt werden.

Es fühlt sich an wie ein großer Rausch, und wenn ich am nächsten Tag aufwache, frage ich mich manchmal: Habe ich das wirklich geschrieben?


Wie verlief der weitere künstlerische Prozess des Komponierens?

HE: Bevor ich die erste Note aufs Papier bringe, schreibe ich sehr lange im Kopf. Es ist eine große Überwindung für mich, diese erste Note zu setzen. Denn ich gehöre nicht zu den Künstlerinnen, die am nächsten Tag alles wieder verwerfen.

Manchmal versinke ich so tief in den Schaffensprozess, dass beim späteren Betrachten das Gefühl aufkommt, das Stück habe sich quasi von selbst geschrieben. Es fühlt sich an wie ein großer Rausch, und wenn ich am nächsten Tag aufwache, frage ich mich manchmal: Habe ich das wirklich geschrieben?


Das Besondere an dieser Oper ist, dass die Musiker*innen aktiv in die Szenerie eingebunden sind – es gibt kein Dirigat, die Musiker*innen spielen auswendig und übernehmen zudem auch kleinere Rollen. Wie hat dieser Ansatz deine Komposition beeinflusst?

HE: Ich finde diesen Ansatz sehr spannend, wenn auch dabei viele logistische Dinge zu bedenken sind: Wenn eine Musikerin gerade spricht, kann sie zum Beispiel nicht gleichzeitig große musikalische Parts übernehmen.

Die Tatsache, dass die Musiker*innen auswendig spielen, hat einen erheblichen Einfluss auf meine kompositorischen Entscheidungen gehabt, und ich denke, ich habe gute Wege gefunden, damit umzugehen. Ein regelmäßiger Austausch mit der Regisseurin Kenza Koutchoukali und dem künstlerischen Team während des gesamten Prozesses war dafür sehr wichtig.


Hast du Lieblingsszenen? Teile, die dir besonders am Herzen liegen?

Generell kann ich sagen, dass mir die Gestaltung der Figur Levin mühelos von der Hand gegangen ist. Levin wirkt sehr reif und hilfsbereit, zugleich leidet er unter der psychischen Krankheit seiner Mutter. In seiner Arie, in der er über seine Mutter singt – „Sie kann alles denken, einfach alles“ – zeigt er seine Verbundenheit zu ihr trotz der Umstände. Er nimmt sie ernst: die Fähigkeit, alles zu denken, kann auch Positives beinhalten kann.

Das Ende der Oper liegt mir besonders am Herzen. Hier vereinen sich alle Elemente und kulminieren in einem einzigen Ton. Verschiedene Klangfarben lassen ein C im Raum erklingen – und dann verklingen. Diese musikalische Verschmelzung zu einem einzigen Ton spiegelt Emmas Entscheidung für ihre Familie und zeigt die Bedeutung von Zugehörigkeit.

Ich würde auf jeden Fall sagen, dass die Oper Ohrwurmpotenzial hat. Im Alltag stoße ich immer wieder auf Wortkombinationen, die auch im Libretto vorkommen und mich sofort in die Oper hineinkippen lassen. Das kannte ich früher nur von Werken wie Salome und Die Zauberflöte. Jetzt gesellt sich Elektrische Fische dazu.


Die Oper richtet sich an Jugendliche ab zwölf Jahren. Was findest du besonders wichtig, wenn junge Menschen zum Teil erstmals mit Oper in Berührung kommt?

HE: Für mich ist diese Zielgruppe besonders spannend, weil Jugendliche nicht lügen, weil sie nichts vortäuschen, weil sie jedenfalls zeigen werden, was ihnen gefällt und was nicht. Der erste Kontakt mit Oper, vor allem mit zeitgenössischer Oper, kann durchaus Unsicherheit gegenüber dem Genre erzeugen. Darum lag es mir am Herzen, diverse Klangwelten zu kreieren, auch mithilfe der Elektronik, und mit radikalen Szenenwechseln zu experimentieren, in denen sich plötzlich musikalische und rhythmische Elemente verändern. Ich bin überzeugt, dass diese Oper die Geschichte auf eine Weise vermittelt, die von Jugendlichen gut verstanden wird – und nicht nur von ihnen. Ich denke, die Handlung spricht auch Kinder und Erwachsene an, weil sie zeitlos und gut nachvollziehbar ist.

Ich bin schon gespannt darauf, wie das Stück aufgenommen wird. Während der gestrigen Probe sagte jemand aus dem Ensemble auf einmal: „Diese Stelle klingt wie Rock `n` Roll.“ Und genau darum geht es mir: eine Verbindung zu etwas Vertrautem herzustellen, kombiniert mit neuen Klängen.