Wie ein Bild von Botticelli
Staatsopernehrenmitglied Zubin Mehta dirigiert mit der Neuproduktion von Falstaff seine sechste Verdi-Oper und seine insgesamt neunte Premiere im Haus am Ring.
Es scheint, dass es leichter ist, einen Otello zu dirigieren als einen Falstaff?
Zubin Mehta: Warum denken Sie, dass Otello leichter ist?
Weil viele Dirigenten für Otello weniger Proben verlangen als für Falstaff.
Zubin Mehta: (lacht) Schauen Sie, jede späte Verdi-Oper hat ihre Schwierigkeiten. Andererseits: Mit einem Orchester wie den Wiener Philharmonikern, mit denen ich das Werk noch dazu in Salzburg schon gemacht habe, ist nichts sehr schwer. Warum? Weil diese Musiker in jedem Stil zu Hause sind. Ganz gleich ob sie Rossini, Mozart, Wagner, Strauss, Verdi, Puccini oder sonst einen Komponisten spielen – es geschieht immer mit der gleichen Disziplin und Stilkenntnis.
Und wenn auch der Dirigent Stilkenntnis mitbringt, funktioniert es! Und welche Stilkenntnis muss der Dirigent bei Falstaff mitbringen, wo liegt hier die konkrete Schwierigkeit?
Zubin Mehta: Er muss wissen, dass es bei dieser Oper auf eine rossinische Durchsichtigkeit ankommt. Er muss wissen, und wenn er es nicht weiß, wird er es bald erfahren, dass das berühmte Nonett am Ende des 1. Aktes eine ganz besondere Herausforderung darstellt. Dieses Nonett gehört ganz intensiv geprobt! Zuerst langsam bis es sitzt und erst dann im Tempo, es soll ja schlussendlich ganz natürlich, wie von selbst fließen – auf diese Weise ist es für jeden ein Genuss, für die Hörer und für uns Interpreten. Wenn dieses Nonett gut über die Bühne gegangen ist, weiß ich: das Herausforderndste ist geschafft. Ähnliches gilt für das knapp davor liegende a cappella Frauen-Quartett – jede Stimme singt einen anderen Text und trotzdem muss diese Passage ebenfalls möglichst klar und luzid klingen. Ganz allgemein wäre es darüber hinaus natürlich günstig, wenn der Falstaff-Dirigent das gesamte Schaffen von Verdi gut kennt. Ich selbst war um die 60, als ich den Falstaff zum ersten Mal geleitet habe und konnte damals auf Dirigate von wesentlichen Verdi-Stücken aus all seinen Epochen zurückblicken: Natürlich auf die drei populären Opern Rigoletto, Trovatore und Traviata, weiters auf Don Carlo und Forza del destino aus der mittleren Schaffensperiode, Jérusalem aus der früheren und selbstverständlich Aida und Otello aus der Spätzeit.
Gibt es denn irgendeinen roten Faden, der vom Frühschaffen bis zum Falstaff erkennbar ist, etwas was sozusagen im Falstaff mündet, sich stetig aufbaut und im Falstaff zur Vollendung gebracht wird?
Zubin Mehta: Tatsächlich ist im Falstaff die Summe des verdischen OEuvres zu erkennen – deshalb meinte ich ja, dass der Falstaff-Dirigent ganz grundsätzlich Verdi kennen sollte. Ein Vergleich aus der Kunstgeschichte veranschaulicht am besten, was ich meine: Auf dem Primavera-Gemälde von Sandro Botticelli sind nicht nur schöne Frauen zu sehen, sondern unzählige Blüten und Blätter, quasi verteilt über das gesamte Bild. Und genau solche Blüten und Blätter, die in unserem Fall nichts anderes sind als Erinnerungen an die früheren Verdi-Opern, finden sich in der Falstaff-Partitur. Sie ist voll von ihnen. Dabei handelt es sich freilich nicht um ganze mehrtaktige Phrasen oder bestimmte Melodien, sondern lediglich um kleine atmosphärische Reminiszenzen, Andeutungen, Anspielungen, scheinbare Zitate.
Worin besteht dann das Neue, das Verdi in Falstaff bringt, was entspricht, um beim von Ihnen genannten Vergleich zu bleiben, den schönen Frauen?
Zubin Mehta: Der Stil. Jener von mir bereits angesprochene rossinisch anmutende Stil. Verdi wollte offenbar zurück zu einer Art Klassik, um dadurch die Zeit der englischen Könige Heinrich IV. und Heinrich V. auch musikalisch zu vermitteln. Nun, bis Monteverdi ist er nicht ganz zurückgegangen, aber immerhin bis Rossini. Und das war für die Zeitgenossen ein großer Bruch, zumal Aida und Otello doch von Wagner beeinflusst scheinen, viel mehr auf jeden Fall als der nachfolgende Falstaff. Deshalb war es mein großer Wunsch eine Neuproduktion zu machen,in der auch das szenische Ambiente in diese Richtung zeigt. Also bat ich Regisseur David McVicar, als wir uns im Vorfeld dieses neuen Wiener Falstaffs zum ersten Mal, trafen: „Schau, ich habe schon so viele Falstaffe dirigiert und alle waren in irgendeiner Form modern. Ich möchte einmal, nur ein einziges Mal eine Produktion im Stil der originalen Falstaff-Zeit aus der Taufe heben – und er war sofort einverstanden.“
Der Rossini-Stil weist zurück, gibt es im Falstaff etwas was vorwärts weist?
Zubin Mehta: Die Passage in der Nannetta als Feenkönigin verkleidet mit ihrem Gefolge auftaucht ist geradezu das erste impressionistische Stück der Musikgeschichte – hier antizipiert Verdi die musikalische Entwicklung der nachfolgenden 20 Jahre. Und auch das leichtfüßige Herumspringen von einer Tonart zur nächsten, etwas was bei ihm in dieser Form in früheren Stücken nicht zu finden ist, weist klar in die damalige Zukunft voraus.
Was muss der Zuschauer wissen, wenn er zu einer Falstaff-Vorstellung geht?
Zubin Mehta: Nichts Wesentliches. Die Interpreten haben dafür zu sorgen, dass er eine Aufführung der Oper erlebt, in der die Genialität des Werkes überspringt und ihn in den Bann zieht.
Rossini sprach Verdi einst das komische Talent ab – wie viel Humor findet sich in der Musik von Falstaff?
Zubin Mehta: Die Partitur ist zwar gesättigt von Humor, oder besser von Charme, nichtsdestotrotz ist Falstaff selbst eine eher tragische Figur. Er hatte seine guten Zeiten als er zum unmittelbaren Umfeld des Prinzen und späteren König Heinrich V. gehörte. Mittlerweile ist er verarmt und heruntergekommen, hält sich aber dennoch für einen unwiderstehlichen Frauenhelden. Das macht ihn eher zu einer traurigen denn zu einer lustigen Gestalt. Das Duett von Fenton und Nannetta ist ferner atmosphärisch ein inniges Liebesduett und daher nicht unter der Rubrik komisch einzugliedern, selbst die „Reverenza“-Szene von Falstaff und Quickly ist nicht durchwegs komisch, da Quickly von dem, was sie erblickt schockiert ist und nervös wird. Das Duett Ford-Falstaff ist bei näherem Hinsehen eher tragisch als komisch: Ford weint und bricht regelrecht zusammen als er erfährt, dass Falstaff ein geheimes Rendezvous mit seiner Frau hat. Und Bardolfo und Pistola sind ohnehin schlichtweg arme Menschen. Die Genialität dieser Oper zeichnet sich nicht zuletzt durch eben die Mischung aus: hier komödiantische Oberfläche, dort hochtragische Tiefenstruktur.
Sie beschäftigen sich schon lange mit dieser Partitur. Sind für Sie alle Fragen in Bezug auf Falstaff gelöst?
Zubin Mehta: Nein. Ich würde gerne wissen, in welchem Stil Verdi seine nächste Oper geschrieben hätte, ob es ein durchgehend impressionistisches Musiktheaterwerk geworden wäre. Darauf habe ich bis heute keine Antwort gefunden (lacht).
Das Gespräch führte Andreas Láng
Falstaff | Giuseppe Verdi
Premiere: 4. Dezember 2016
Reprisen: 7., 9., 12., 15. Dezember 2016
Dirigent: Zubin Mehta
Regie: David McVicar
Bühnenbild: Charles Edwards
Kostüme: Gabrielle Dalton
Licht: Paul Keogan
Bewegungsregie: Leah Hausman
Mit: Ambrogio Maestri, Ludovic Tézier, Paolo Fanale, Carmen Giannattasio, Hila Fahima, Marie-Nicole Lemieux, Lilly Jørstad, Thomas Ebenstein, Herwig Pecoraro, Riccardo Fassi