Wenn Donizetti und Bellini das gehört hätten!
Gerne bezeichnet KS Edita Gruberova die Wiener Staatsoper als "meine Wiener Staatsoper"– und genauso gerne wird sie vom Wiener Publikum und den Mitarbeitern des Hauses am Ring als "unsere Gruberova" tituliert. Nun sind es tatsächlich bereits 45 Jahre her, dass diese gegenseitige Zuneigung, ja Zusammengehörigkeit ihren Anfang nahm. Und so ein Jubiläum gehört natürlich gefeiert – standesgemäß mit einem entsprechenden Fest, sprich mit einer Gala. Mit einer Gala, bei der diese außergewöhnliche Künstlerin Ausschnitte aus wichtigen Opern ihres Repertoires zum Besten geben wird. Anlässlich dieses mit Spannung und Vorfreude erwarteten Ereignisses am 7. Februar gab KS Edita Gruberova das nachfolgende Interview.
Frau Kammersängerin, Sie singen am 7. Februar Teile aus Lucia di Lammermoor, I puritani, Anna Bolena und Roberto Devereux – wie kam es zu dieser Auswahl?
KS Edita Gruberova: Es handelt sich grundsätzlich um Herzstücke, die ich seit langem singe und noch immer gerne mache. Die Lucia zum Beispiel ist seit 1978, also seit der Premiere der immer noch aktuellen Produktion an diesem Haus, sozusagen eine Art Säule in meinem Repertoire, und bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich die Elisabetta in Roberto Devereux zu singen begann, war Lucia sogar meine erklärte Lieblingspartie. Das ist ja kein Wunder, jede Koloratursopranistin will sich dieser Herausforderung stellen, jede diese Rolle singen, man lernt sie praktisch schon in der Hochschule. Vor allem in der Wahnsinnsarie kann ich, wie auch in jener von Puritani, so unendlich viele Emotionsfacetten ausbreiten, so viele Details herausarbeiten – das macht einfach ganz große Freude: mir, und, wie ich hoffe, auch dem Publikum.
Und Anna Bolena beziehungsweise Roberto Devereux?
KS Edita Gruberova: Das sind zwei so vollkommen unterschiedliche Welten – auf der einen Seite die junge Königin, die ihrem baldigen gewaltsamen Ende ins Auge blickt, auf der anderen Seite die alte mächtige Königin, die ihrerseits jemand anderen in den Tod schickt und darüber letztlich zerbricht. Donizetti hat in beiden Fällen tief in die Farbpalette gegriffen und jeweils ein kolossales Seelengemälde in Musik gegossen. Die Gefühlshochschaubahn der Elisabetta in Roberto Devereux, die alle Höhen und Tiefen von Hass, Enttäuschung, Verletztheit, Hoffnung, Verzweiflung und Resignation umfasst – und immer mit der Beimischung einer Portion Liebe – das ist einfach wunderbar und genial. Allein diese Schlussszene in Roberto Devereux ist für mich unbezahlbar.
Nun handelt es sich um vier verschiedene Charaktere – ist es nicht schwer, sich so jählings von einer in eine andere Figur zu verwandeln?
KS Edita Gruberova: Natürlich fehlt, wenn nur eine Finalszene gemacht wird, das davor gehende Leben der Bühnenfigur, ihre Entwicklung, ihr Werden. Andererseits besteht die Kunst für den Interpreten in so einem Fall unter anderem gerade darin, die ganze Handlung mitzufühlen und mitzudenken, das nicht gezeigte „Davor“ einzubinden. Im Prinzip ist das bei einem Liederabend ja auch nicht anders. Man präsentiert viele kleine, in sich geschlossene Welten, in denen in wenigen Minuten ein ganzer Kosmos entworfen werden muss. Und da ich die genannten Rollen inzwischen sehr oft verkörpern durfte, passiert die Verwandlung von der jungen Anna Bolena in die alte Elisabetta – um nur ein Beispiel zu nennen – augenblicklich und gewissermaßen unbewusstintuitiv. Ich kann gar nicht anders, selbst im Abendkleid der konzertanten Aufführung nicht. Wenn ich als Anna abgehe fühle ich mich jung, wenn ich als Elisabetta zurückkomme, fühle ich mich gebrechlich und alt. Dazu kommt natürlich noch, dass die geniale Musik, in diesem Fall jene von Donizetti, das ihre dazutut, diesen Wechsel zu ermöglichen.
Bei der Gala handelt es sich – wie Sie selbst kurz angedeutet haben – um eine konzertante Aufführung. Erschwert oder erleichtert dies das unbewusst-intuitive Hineinfühlen in eine Rolle?
KS Edita Gruberova: Ich genieße beides, die regulären Opernauftritte und die konzertanten. Letztere haben allerdings den Vorteil, dass ich vom Publikum nicht durch Kostüm und Orchestergraben getrennt bin. Es besteht also eine unmittelbare Verbindung zwischen den Zuhörern und mir, meine inneren Bewegmoment können direkter überspringen und ich fühle das Mitgehen, die Reaktion des Publikums intensiver.
Der Abend beinhaltet Musik von Donizetti und Bellini. Beides sind Belcanto-Komponisten – worin besteht für Sie der Unterschied?
KS Edita Gruberova: Donizetti ist ein wunderbarer, prickelnder Weißwein, Bellini ein gepflegter, seidiger Rotwein. Die Bellini’schen unendlichen Melodien einer Arie würde man am liebsten auf einem einzigen langen Atem singen, was natürlich unmöglich ist – aber es muss irgendwie diesen Anschein erwecken.
Der Belcanto-Gesang zeichnet sich unter anderem durch die differenzierten Verzierungen aus, die zum Teil vom Interpreten selbst stammen. Gibt es Verzierungen, die Sie persönlich besonders gerne haben?
KS Edita Gruberova: Wenn ich eine Partitur studiere, lerne ich sie zunächst ohne diese Fiorituren – die kommen erst beim zweiten Schritt, wenn der Rest schon „sitzt“. Und dann überlege ich mir, was musikalisch und damit verbunden emotional an dieser Stelle oder bei dem oder jenen Ton passen würde. Wichtig ist, dass diese Verzierungen niemals zum Selbstzweck verkommen. Bei einer traurigen, seelenschweren Passage passen zum Beispiel keine wilden Koloraturen, das würde dem Gehalt der Musik zuwiderlaufen. Welche Verzierung ich besonders gerne habe? Mit einem Triller kann man sehr viel ausdrücken, je nachdem, wie er gestaltet wird. Er kann weich sein, langsam beginnen und dann nach und nach schneller werden. Er kann aber auch von Anfang an eine gewisse Dramatik besitzen. Mit einem Triller kann man gut spielen. Es handelt sich ja nicht um Koloraturen, sondern um einen einzigen Ton, mit dem der Sänger irgendetwas unternimmt. Ein Triller kann drohende Gebärden ebenso ausdrücken, wie Versonnenes, Nostalgisches, Verzweifeltes, man kann ihn sogar quasi unendlich aushalten – wenn man es kann (lacht).
Wie schaut es hinsichtlich der Agogik aus? Sollte diese bei einer Belcanto-Arie eher vom Sänger oder eher vom Dirigenten bestimmt werden?
KS Edita Gruberova: Eher vom Sänger. Aber natürlich sollen und müssen Impulse auch vom Dirigenten kommen – ich mag es, wenn man sich gemeinsam auf den emotionalen Weg begibt, solange alle Betroffenen zu fühlen imstande sind. Wenn sich der musikalische Fluss nicht bei jedem wie von selbst, also organisch ergibt und beginnt einstudiert zu klingen, ist es vorbei. Beim Belcanto-Gesang ist ja das Problem, dass Sänger grundsätzlich zwei Phasen durchlaufen müssen. Zuallererst geht es darum, die Herausforderungen, die die Komponisten gestellt haben, gesanglich zu meistern – dass die Töne, die Phrasierungen, die Dynamik stimmen. In dieser Phase mag der Interpret den Außenstehenden vielleicht etwas unterkühlt vorkommen. Auch mir hat man das am Beginn meiner Laufbahn gelegentlich vorgeworfen. Ich habe diese Kritik zu Herzen genommen und erkannt, dass jeder Ton, und jede noch so kleine Koloratur, jeder noch so kurze Lauf, mit einem, aus der Musik bestimmten Ausdruck versehen sein sollte – und dieser Ausdruck muss sich dem Publikum mitteilen. Und natürlich dem Dirigenten. Wenn dieser die Impulse des Sängers aufzunehmen weiß, wird er auch seinerseits welche setzen können.
Wären Sie gerne beim Kompositionsprozess von Belcanto-Opern dabei gewesen? Hätten Sie also Donizetti oder Bellini über die Schulter schauen wollen, um eventuell Einfluss nehmen zu können?
KS Edita Gruberova: Ja, ja, ja! Wir wissen, dass sie damals auf die Stimmen von bestimmten Sängerinnen und Sängern hin geschrieben haben. Ach, das wäre wunderbar, wenn jemand das für mich machen würde. Andererseits: Karl Böhm ist nach jeder Ariadne-Vorstellung zu mir gekommen mit den Worten: „Mein Gott, wenn Strauss doch Ihre Zerbinetta gehört hätte!“ Und tatsächlich, die Zerbinetta ist so geschrieben, als ob Strauss meine Stimme im Kopf gehabt hätte – daher habe ich mir oft gesagt: Das ist meine Musik!
Apropos – hier schließt sich der Kreis: Mit der Zerbinetta haben Sie an der Wiener Staatsoper 1976 den internationalen Durchbruch geschafft …
KS Edita Gruberova: Ja, aber beinahe wäre es gar nicht dazu gekommen! Man wollte für die Premiere ursprünglich eine ganz andere Sängerin – und das, obwohl ich die Zerbinetta in den Jahren davor schon ein paar Mal auf dieser Bühne gesungen hatte. Voller Wut habe ich dann um die Premiere gekämpft – bis ich Karl Böhm vorsingen durfte. Bei diesem Vorsingen während einer Probenpause, bei dem es gewissermaßen und Sein oder Nichtsein ging, haben mir die Knie wie Espenlaub gezittert. Aber es ist alles gut gegangen und Böhm ist danach auf die Bühne gekommen und hat mir, die Schulter tätschelnd, zugesichert: „Kindchen, das machen wir gemeinsam.“ Böhm war also mein Retter, der mich später gerne, so wie die Ludwig und die Rysanek, als sein Kind bezeichnete.
Böhm war Ihr Retter und die Wiener Staatsoper …
KS Edita Gruberova: … mein Geburtshaus, das ich immer noch als den Olymp ansehe. Und als ein berühmter Dirigent einst schlecht über die Wiener Staatsoper gesprochen hat, fühlte ich mich persönlich angegriffen und war tief beleidigt. Hier kam ich gewissermaßen als Sängerin zur Welt, konnte als Königin der Nacht, aber auch als Tebaldo und Flora meine ersten Erfahrungen sammeln – davor war ich diesbezüglich ja noch ein Nichts. Merkwürdigerweise denke ich jetzt häufiger über diese 45 Jahre nach … geradezu nostalgisch. Es hat sich ja so viel an Äußerem geändert, was man nicht sofort bemerkt, wenn man immer wieder da ist und regelmäßig zurückkehrt. Das Wesentliche ist jedoch gleich geblieben, so auch das Publikum, das diese 45 Jahre gemeinsam mit mir zurückgelegt hat.
Andreas Láng