Was uns Don Giovanni fragt

Wenn man Ihre Auftritte der letzten Zeit durchforstet, findet man viel Rodrigo, Boccanegra, Scarpia, Luna – aber keinen Don Giovanni.

Ludovic Tézier: Das ist richtig. Mein letzter Giovanni ist tatsächlich schon lange her, und zwar rund zehn Jahre: da sang ich ihn in Toulouse.

Wie kam es zu dieser Pause?

Ludovic Tézier:
Das kann ich nicht sagen… an mir liegt es jedenfalls nicht, denn ich würde den Giovanni gerne öfter, regelmäßig singen, am besten ein oder zwei Serien pro Jahr. Irgendwie hat es sich aber lange nicht ergeben. Wissen Sie, das sind so Mechanismen des Opernbetriebs. Wenn ein Sänger ins Verdi-Fach geht, dann denken die meisten, dass er keinen Mozart mehr singt. Entweder, weil er keine Lust dazu hat oder weil er es nicht mehr kann. Das ist aber falsch! Denn ich hatte von Anfang an immer das Gefühl, dass Verdi und Mozart verwandt sind und uns Sänger betreffend eine Verbindung haben. Wenn man sich ein Rezitativ von Verdi anschaut und es mit einem aus Don Giovanni vergleicht – dann wird man viele Gemeinsamkeiten entdecken. Ich jedenfalls fühle mich in beiden Welten daheim. Und fühle mich in beiden Welten sehr wohl.

Für viele Ihrer Kollegen ist Mozart geradezu so etwas wie Medizin für die Stimme.

Ludovic Tézier: Absolut! Wenn ich Gelegenheit habe, einer jungen Sopranistin Unterricht zu geben – und sie kann die Arie singen –, dann bitte ich sie immer um die „Dove sono“-Arie der Gräfin aus Nozze di Figaro. Schon die erste Phrase ist extrem schwer und ich sehe immer wieder, wie herausfordernd es für die meisten jungen Sängerinnen ist, sie rein und richtig zu singen. Wenn man das kann – dann ist vieles, was man später singt, ziemlich einfach. Mozart ist und bleibt die beste Schule für unsere Stimmen. Das ist kein Zufall… Wenn man die Stellung von Mozart in der Musikgeschichte beachtet, dann sieht man, dass er genau an der Kreuzung zwischen Barock und Romantik liegt. Das bedeutet: In Mozart ist alles enthalten! Alles, was es musikhistorisch vor ihm gab und alles was nach ihm kommt. Wenn man also seine Werke singt, dann ist man perfekt gewappnet: für die Barockmusik und das 19. Jahrhundert!

Nun sind zehn Jahre eine doch eher lange Zeit. Wie viel vom Giovanni haben Sie noch im Kopf?

Ludovic Tézier: Viel. Sehr viel! Don Giovanni war die erste Partie, die ich gelernt habe – mit 18 Jahren, einfach so aus Spaß, so wie man ein Buch liest. Ich habe mich ausführlich und genau mit ihm beschäftigt und vieles, was man in jungen Jahren aus ganzem Herzen verfolgt, bleibt einem lange erhalten. Denken Sie nur an eine junge Liebe, daran erinnert man sich ja ebenfalls für immer. Abgesehen davon war Don Giovanni meine erste große Partie auf der Bühne: Ich war in Luzern im Ensemble und nach ein paar kleineren Rollen sang ich – mit 21! – den Giovanni. Auch das ist für mich erinnerungswürdig.

Sie sangen hier in Wien den Figaro-Grafen. Lassen sich Parallelen zwischen den Rollen finden?

Ludovic Tézier: Man kann das ein bisschen augenzwinkernd beantworten. Beide, der Graf und Don Giovanni, haben einen Abend lang keinen Erfolg. Das verbindet sie. Aber es gibt einen großen Unterschied: Don Giovanni hat ein packendes Finale, in der der Titelheld noch einmal seine Lebensart bestätigt und auf seinen Weg beharrt. Der Graf ist da mit seinem „Contessa, perdono“ ganz anders, weniger konsequent. Vielleicht ist gerade darum Don Giovanni zu einem Mythos geworden und der Graf nicht.

Aber ein ehrlicher Charakter sind beide nicht.

Ludovic Tézier: Nein, natürlich nicht. Wie der Graf ist, zeigt sich im dritten Teil der Figaro- Trilogie noch deutlicher. Und Don Giovanni ist auch nicht unbedingt ein Beispiel für einen „guten“ Menschen. Aber er ist auch so etwas wie ein Rock‘n‘Roller, ein Rebell, er hat, auch wenn er nichts zustande bringt, etwas Heldenhaftes an sich. Für mich ist der Graf viel weniger faszinierend.

Das Nichts-Zustandebringen hat ja etwas Komi- sches. Wie komisch darf Don Giovanni sein?

Ludovic Tézier: Ja, das ist eine seltsame Situation. Man weiß nicht: Warum klappt plötzlich nichts? Zuvor scheint ja alles gut, aber dann, ab dem Mord am Komtur, läuft alles schief. Es ist, als ob Don Giovanni die Kontrolle über sein Leben, über alles verloren hätte. Warum das so ist, weiß keiner. Ich habe eine Hypothese: Nämlich, dass Don Giovanni nach dem Mord die Freude am Leben verloren hat. Plötzlich merkt er: Es ist alles schon dagewesen, er hat das alles schon oftmals erlebt. Die wunderschöne Serenade, die er singt: die hat er schon tausendmal gesungen, die Frauen, die er verführt: er hat schon so viele verführt. Auf einmal ist alles nur noch Routine, die große Leidenschaft ist vorbei. Und er verliert die Lust am Leben – das einzig Neue, der letzte Reiz ist, dass ein Toter, also der Komtur, ihn besucht. Auch wenn es sein Leben kostet!

Mozart nannte die Oper ein „dramma giocoso“.

Ludovic Tézier: Die Bezeichnung der Oper als dramma giocoso ist auch so eine Sache: Man kann es heiter sehen wie einen Falstaff, doch das Ende ist sicherlich nicht mehr „gioccoso“, es ist tiefgründig und hinterfragend. Denn worum geht es? Es geht um die Frage, wie man ein Leben zu leben hat. Ordentlich, angepasst, den Spielregeln folgend, „normal“? Oder soll man leben, als ob es keine Grenzen gäbe, alles genießend, ohne soziale Einschränkungen? Rebell oder angepasst? Wir alle haben uns diese Frage schon gestellt. Und Don Giovanni stellt sie uns stets aufs Neue.

Das ist auch der Gedanke, den das Publikum aus den Vorstellungen mitnehmen soll?

Ludovic Tézier: Was man sicher nicht mitnehmen kann, ist eine Antwort. Denn Don Giovanni ist eine unendliche Geschichte. Es handelt sich ja um einen Mythos, und das Wesen eines solchen ist, dass er Fragen in den Raum stellt, die uns alle, quer durch die Zeiten, beschäftigen. Zum Beispiel das Verhältnis der Frauen zu Don Giovanni: Eine der schönsten Arien in der Musikgeschichte ist „Mi tradi“ von Donna Elvira. Sie singt, dass sie ihn liebt, auch wenn er ein Betrüger, ein Bösewicht ist. Sie liebt ihn leidenschaftlich, mit ganzem Herzen, gegen jede Logik. So etwas passiert tagtäglich! Wir könnten uns fragen: Wie kann eine Frau einen Mann nur so sehr lieben? Trotz aller offensichtlichen Fehler, die sie sieht, trotz seiner großen Charakterschwächen? Das ist etwas, was nichts mit Theater zu tun hat: das ist das echte Leben, das haben wir alle schon gesehen. Don Giovanni stellt Fragen, die unser aller Leben betreffen. Und die jeder von uns nach der Vorstellung nach Hause mitnimmt …

Oliver Láng


Don Giovanni | W. A. Mozart
14., 17., 20. Jänner 2018
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