Von Eisbergen & Germteigen
Wie wenige andere hat KS Piotr Beczała seinen Weg aus eigener Kraft geschafft: Aus dem kommunistischen Polen kommend, arbeitete er sich nach oben, war Straßensänger auf der Kärntnerstraße, begeisterter Stehplatzler, Schüler der großen Sena Jurinac. Und schaffte eine einzigartige internationale Karriere, die ihn an den Olymp brachte. Eine seiner besonderen künstlerischen Heimaten ist die Wiener Staatsoper, an der der Kammersänger bislang einhundert Mal aufgetreten ist und an der er im Februar als Cavaradossi in Tosca und im Rahmen der Opernball-Eröffnung zu hören sein wird. Im Gespräch mit Oliver Láng erzählt der Tenor von Wünschen der Kindheit, seiner Sicht auf Cavaradossi und über seine große Karriere.
Piotr Beczała im Gespräch mit Oliver Láng.
In Ihrer Autobiografie schrieben Sie, dass Sie als Kind unter anderem den Berufswunsch »Kapitän« hatten: Sie wollten die Welt sehen und bereisen, fremde Länder kennenlernen. Doch hatte »Kapitän« auch mit dem Wunsch nach dem Übernehmen von Führung und Anleiten zu tun?
Es war tatsächlich die große Sehnsucht nach fernen Regionen, die diesen Berufswunsch auslöste. In der kommunistischen Diktatur durfte man nicht einfach verreisen, es war also klar, dass ich von entlegenen Orten träumte. Durch meinen Beruf hat sich das übrigens geändert: Heute reise ich, weil ich muss und nicht so sehr, weil ich will. Ich weigere mich zum Beispiel, im Urlaub privat irgendwohin zu fliegen. Und was das Übernehmen von Führung anbelangt: das war damals kein Thema für mich. Auch heute nicht! Nach 31 Jahren Ehe weiß ich, dass die Führungsrolle in unserer Familie nicht bei mir liegt! (lacht)
Weil Sie den Urlaub angesprochen haben: Der ist für Künstlerinnen und Künstler nicht immer einfach. Enge Zeitpläne, internationale Engagements, Festivals… Reservieren Sie sich bewusst Zeiten im Jahr, in denen Sie absolut gar nicht auftreten?
Schön wär’s! Es ist wirklich so, dass ich im Auftrittskalender immer mehr darauf achten muss, eine Zeit zum Ausruhen zu reservieren. Mit meiner Frau haben wir solche Pausen seit Jahren eingeplant, aber immer wieder wird diese Regel gebrochen. Wissen Sie, es kommt ein tolles Angebot, eine spannende Anfrage… und schon sind die freien Tage futsch! Doch wir schaffen ein paar Momente im Jahr, die wirklich frei bleiben müssen. Das wird daheim übrigens immer heftig verhandelt!
Sie singen gerade an der Metropolitan Opera den Don José in Carmen. Wie Sie einmal erzählten, sind die Applauskulturen an den einzelnen internationalen Häusern sehr unterschiedlich.
Stimmt! An der Met ist der Applaus heftig und kurz. Zum Beispiel: Der Carmen-Erfolg ist groß und das Publikum reagiert entsprechend. Aber wenn erst einmal der Vorhang fällt, ebbt der Jubel schnell ab. In Wien wäre das undenkbar, da sind die Publikumsreaktionen – besonders auch vom Stehplatz – auf einem ganz anderen Level! Bei guten Vorstellungen wird noch lange weitergeklatscht, auch nachdem der Vorhang gefallen ist. Es herrscht einfach eine andere Spannung. Das ist natürlich ein großer Unterschied! Und es kommt noch ein weiterer Aspekt dazu: Weltweit werden Applausordnungen am Schluss, also, wer wann vor das Publikum tritt, immer wieder ganz genau durchinszeniert. Auch das hat seinen Einfluss auf die Reaktion im Saal. Es kommt also, nicht nur auf das Wo, sondern auch das Wie an.
Ein besonderes Beczała-Merkmal ist, dass er nicht nur künstlerisch brennt, sondern auch mit klarem Kopf auf Professionalität setzt. Sänger zu sein ist Hingabe, aber auch Arbeit.
Ja, und ich beziehe das vor allem auf die Vorbereitung. Klar, wenn man auf die Bühne geht, muss das Technische und alles, was hinter einem Auftritt steht, beiseitegeschoben werden: Es geht um das Stück. Aber im Vorfeld: Da braucht es Vorbereitung, und die muss top sein! Ohne Wenn und Aber. Wenn man zur Probe kommt, muss alles sitzen und man muss gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen die Aufführung entwickeln und zusammenbauen. Sehr genau und professionell! Alles andere ist undenkbar. Oper ist eine komplexe Geschichte, da müssen viele Komponenten zusammenpassen und ineinandergreifen.
Und wenn sich die Kollegen nicht verstehen?
Es gibt einen Energieaustausch, nicht nur zwischen Sängerin beziehungsweise Sänger und Publikum, sondern auch zwischen uns Darstellern auf der Bühne. Die Chemie muss stimmen! Das bedeutet nicht, dass wir uns alle sofort ineinander verlieben, und natürlich hat jeder und jede seine Vorlieben in puncto Kollegenschaft. Aber auch mit Partnern, die nicht die persönlichen Lieblingssänger sind, kann man etwas Tolles entwickeln! Wie gesagt: Es geht um Professionalität!
Sie haben sich aus eigener Kraft emporgearbeitet, haben ohne familiäres Opernnetzwerk Ihren Weg gemacht. Ist das etwas, das in Ihnen auch ein Gefühl des Stolz auslöst?
Dass ich es vom Straßensänger in Wien bis nach oben geschafft habe, erfüllt mich durchaus mit Stolz. Manches ist vielleicht etwas später passiert als bei anderen – aber auch das akzeptiere ich, und es war richtig so. Jedenfalls hatte ich keinen besonderen Mentor, der mich emporgetragen oder der mir einen Weg vorbereitet hat, sondern es war immer ich. Verstehen Sie mich richtig: Es ist schön, wenn man auf jemanden zählen kann und viele Studierende haben eine Meisterin oder einen Meister, oder eben jemanden, der die Mentorenstelle einnimmt. Das ist wunderbar! Nur war es in meinem Fall eben nicht so. Ich bin für meinen Weg selbst verantwortlich und war keiner Theaterfamilie zugehörig, die mich fördern konnte.
Die Verantwortung: Empfinden Sie eine solche gegenüber Ihrem Talent? Im Sinne von: Das wurde mir geschenkt, dem muss ich dienen?
Ich fühle eine große Verantwortung, und zwar: Seit Jahrzehnten trete ich an wichtigen Häusern auf, vor Zuschauerinnen und Zuschauern. Oft wird offiziell oder inoffiziell mitgeschnitten. Das alles erzeugt einen gewissen Druck. Aber das mag ich und diese Verantwortung übernehme ich sehr gerne. Was nun das Talent betrifft… Ohne ein solches wird man in unserem Beruf nicht viel erreichen. Doch das ist ja überall so! »Mir gelingt der Germteig nicht, dazu fehlt mir das Talent«, hört man vielleicht – dann kann derjenige halt nicht Bäcker werden. Begabung muss schon sein.
Und dann eben die Arbeit, wie vorhin besprochen.
Wie wir alle kenne ich diese, durchaus richtigen, Vergleiche mit einem Eisberg: Zehn Prozent sieht man, die darunterliegenden 90 Prozent nicht. Das Sichtbare ist der Erfolg, das Unsichtbare die Arbeit. Damit sind wir übrigens wieder bei Ihrer Frage von vorhin, in der es um die Notwendigkeit von Arbeit ging. Immer wieder habe ich wirklich sehr ernsthafte Gespräche mit jungen Kolleginnen und Kollegen, in denen es um unseren Beruf geht. Man muss wissen, worauf man sich einlässt. Man muss wissen, dass nicht Spaß, Champagner und Designer-Kleider den Beruf ausmachen, sondern es sehr stark um Leistung, weitsichtige Planung und auch Verzicht geht. Sänger zu sein ist wunderbar! Aber es ist auch ein sehr schwieriger Job. Ich dränge mich bei den jungen Sängerinnen und Sängern mit meinen »Weisheiten« nicht auf, aber wenn mich wer fragt, sage ich ganz offen, wie die Realität ausschaut. Denn mir geht es ja um einen tollen, auch informierten Nachwuchs.
Und wenn Sie vergleichen: Welche Phase der Karriere ist die Schönste? Der Anfang, wenn man voller Hoffnungen träumt, der Aufstieg oder der Status als Weltstar?
Das sind unterschiedliche Paar Schuhe. Was gleichgeblieben ist, ist die Begeisterung, wenn ich auf die Bühne gehe. Aber natürlich, meine Perspektive ist eine andere als in den ersten Jahren, meine Erfahrung ist größer geworden und ich genieße es, eine gewisse Ruhe und Gelassenheit gewonnen zu haben. Es ist nicht mehr ein Hurra und eine Tagesform. Ich habe mehr Erfahrung, auch was das Repertoire anbelangt und das Wissen um Stilistik. Mein Glück war es, dass ich mit Größen wie Sena Jurinac, Pavel Lisitsian, Christian Thielemann, Franz Welser-Möst oder Nello Santi arbeiten durfte – und dass wir viele Gespräche führten. Ich versuchte, ihr Wissen in meine Welt, meine mentale Welt, einzubauen. Dieses Erfahrungen-Sammeln ist selbstverständlich eine niemals endende Geschichte. Alleine schon, weil sich das Repertoire immer wieder ändert. Derzeit bin ich wieder an einem Punkt, an dem sich meine Partien ein bisschen ändern. Und ich bekomme Angebote für Rollen, bei denen ich bedenken muss, ob ich sie überhaupt will oder nicht. Wie Sie wissen, bin ich ein Sänger, der nicht zehn neue Partien in zwei Jahren »von der Stange« singt, sondern ich versuche, immer neue Aspekte in einzelnen Rollen zu finden und diese immer weiter zu vertiefen.
Und kann es einen Punkt geben, an dem Sie sagen: Der Cavaradossi hat mir nichts mehr zu sagen, ich habe ihn einfach schon so oft gesungen?
Das Schöne ist, dass mein Repertoire so variabel und stilistisch breit ist, dass das nicht passieren kann. Abgesehen davon: Den Don José etwa, den habe ich bislang etwa ein Dutzendmal gesungen, ebenso den Cavaradossi. Wenn man bedenkt, dass ich fast 140 Taminos in der Zauberflöte und 160 Lenskis in Eugen Onegin gemacht habe, dann ist das noch ein langer Weg bis zu solchen Zahlen. Und abgesehen von der Auftrittszahl: Gedanken, dass so bedeutende Rollen ausgeschöpft sein könnten, mache ich mir keine. Denn das Entwicklungspotenzial eines Cavaradossi, eines Don José ist so groß: wo sie anfangen, wohin sie sich entwickeln. Das sind Dinge, die mich sehr interessieren!
Im Falle von Cavaradossi: Wir lernen ihn als Maler und Freund des geflüchteten Angelotti kennen, gehen über den Freiheitskämpfer und landen bei der berühmten »Sternenarie«, also »E lucevan le stelle«.
Man kann sich fragen, was vorher war? War Cavaradossi immer schon ein politischer Mensch? Ja! Scarpia nennt ihn ja »politisch verdächtig«. Und er kennt Angelotti gut. Dass sich die Wege dieses ehemaligen Konsuls der Republik auf seiner Flucht gerade mit jenen Cavaradossis kreuzen, ist ein Zufall. Dass der Maler dem Flüchtigen hilft und so die Sache ins Rollen kommt, ist aber keiner. Denn die Sympathien für Freiheit und die Antipathie Scarpia gegenüber, die kommen bei Cavaradossi nicht von ungefähr. Auch wenn es am Ende in seiner »Sternenarie« nur um die Liebe geht und die Politik in den Hintergrund tritt.
Meinen Sie, dass er im Augenblick der »Sternenarie« sein Leben ändern würde, wenn er es könnte?
Sie meinen, wenn er in der Zeit zurückspringen könnte? Und sich ruhig verhielte? Das ist immer schwierig zu sagen. Aber ich glaube, dass Cavaradossi eine sehr konsequente Figur ist, und er würde an dem, was er gewagt und getan hat, nichts ändern wollen. Zumindest würde ich es als Cavaradossi so halten.
Puccini ist bekannt dafür, dass er sehr genaue Dynamik- und Interpretationsanweisungen in seine Partituren schrieb. Wie sieht es diesbezüglich mit Ihrer Freiheit aus? Wie genau müssen Sie sich an das halten, was dasteht?
Puccini war ein Theatermensch, genauso wie Verdi. Das bedeutet, dass man immer die Umstände beachten muss. Wenn er ein mehrfaches Piano schreibt, muss nicht gesäuselt werden und wenn ein fünffaches Forte notiert ist, heißt das nicht schreien. Es geht mehr um die Farben, um Proportionen und um eine Richtung, nicht um eine absolute Lautstärkenangabe. Es ist ja auch so, dass es ganz unterschiedliche Stimmen gibt, ein Piano von Pavarotti ist nicht das Piano von Corelli. Dazu kommen noch der Dirigent, das Orchester und die Akustik des Hauses. Das alles lässt sich nicht vereinheitlichen. Wenn Verdi ein vierfaches Piano mit einem Diminuendo schreibt, also extrem leise und dann auch noch leiser werdend – was genau bedeutet das? Das sind Vorgaben, die man ernst nehmen muss, die aber in einen Bezug gesetzt werden müssen. Der Dirigent Nello Santi erzählte mir einst, dass Verdi schlechte Erfahrungen mit schlampigen Sängerinnen und Sängern gemacht hatte und manchmal Dinge in Noten schrieb, deren Befolgung zur Hälfte bereits zu seiner Zufriedenheit geführt haben. Wie soll ein Verdi-Sänger punktierte Zweiunddreißigstelnoten singen? Das geht gar nicht. Vielleicht bei Mozart oder Rossini. Aber dennoch steht es da. Aus der Hoffnung heraus, dass der Sänger oder die Sängerin es versucht – und wenn es halbwegs gelingt, ist es schon fein.